Chamberlain, Houston Stewart: Die Grundlagen des Neunzehnten Jahrhunderts. Bd. 2. München 1899.Entdeckung. nur dadurch erfülle sie ihren göttlichen Zweck.1) Wie erging es nundiesem bei aller Wissbegier doch äusserst frommen und (charakteristischer Weise!) zur schwärmerischen Mystik geneigten Manne? Auf Befehl des Papstes Nikolaus I. wurde er von seinem Lehramt in Paris verjagt und schliesslich ermordet, und noch vier Jahrhunderte später wurden seine Werke -- die inzwischen unter allen wirklich religiösen, antirömischen Germanen verschiedener Nationen grosse Verbreitung gefunden hatten -- durch die Sendlinge Honorius III. überall aufgestöbert und verbrannt. Ähnliches geschah bei jeder Regung des Wissenstriebes. Gerade im 13. Jahrhundert, im Augenblick, wo man die Schriften des Scotus Erigena so eifrig den Flammen überlieferte, wurde jener unbegreiflich grosse Geist, Roger Bacon,2) geboren, der zur Entdeckung der Erde durch "Hinaussegeln nach Westen, um nach Osten zu gelangen" anzufeuern suchte, der die Vergrösserungslupe konstruierte und das Teleskop in der Theorie entwarf, der als erster die Bedeutung wissenschaftlicher, streng philologisch bearbeiteter Sprachkenntnisse nachwies, u. s. w. ohne Ende, und der vor Allem die prinzipielle Bedeutung der Beobachtung der Natur als Grundlage alles wirklichen Wissens ein für alle Mal hinstellte und sein ganzes eigenes Vermögen auf physikalische Experi- mente ausgab. Welche Ermunterung fand nun dieser Geist, geeignet wie kein Anderer vor oder nach ihm, das gesamte Germanentum zum plötzlich hellen Auflodern seiner geistigen Fähigkeiten zu bringen? Zuerst begnügte man sich, ihm zu verbieten, die Ergebnisse seiner Versuche aufzuschreiben, d. h. also, sie der Welt mitzuteilen; dann wurde das Lesen der schon hinausgegangenen Bücher mit Exkommunikation bestraft; dann wurden seine Papiere -- die Ergebnisse seiner Studien -- vernichtet; zuletzt wurde er in schwere Kerkerhaft geworfen, in der er viele Jahre, bis zum Vorabend seines Todes, verblieb. Der Kampf, den ich hier an zwei Beispielen flüchtig skizziert habe, währte Jahr- hunderte und kostete viel Blut und Leiden. Im Grunde genommen ist es genau derselbe Kampf, den mein achtes Kapitel schildert: Rom gegen das Germanentum. Denn, was man auch sonst über römische Unfehlbarkeit denken mag, das Eine wird jeder unparteiische Mann zugeben: Rom hat stets mit unfehlbarem Instinkt es verstanden, das- jenige, was geeignet war, das Germanentum zu fördern, hintanzuhalten, 1) De divisione naturae V, 33. Vergl. auch oben S. 640. 2) Nicht mit dem vier Jahrhunderte später lebenden, weit weniger bedeutenden Francis Bacon zu verwechseln. 49*
Entdeckung. nur dadurch erfülle sie ihren göttlichen Zweck.1) Wie erging es nundiesem bei aller Wissbegier doch äusserst frommen und (charakteristischer Weise!) zur schwärmerischen Mystik geneigten Manne? Auf Befehl des Papstes Nikolaus I. wurde er von seinem Lehramt in Paris verjagt und schliesslich ermordet, und noch vier Jahrhunderte später wurden seine Werke — die inzwischen unter allen wirklich religiösen, antirömischen Germanen verschiedener Nationen grosse Verbreitung gefunden hatten — durch die Sendlinge Honorius III. überall aufgestöbert und verbrannt. Ähnliches geschah bei jeder Regung des Wissenstriebes. Gerade im 13. Jahrhundert, im Augenblick, wo man die Schriften des Scotus Erigena so eifrig den Flammen überlieferte, wurde jener unbegreiflich grosse Geist, Roger Bacon,2) geboren, der zur Entdeckung der Erde durch »Hinaussegeln nach Westen, um nach Osten zu gelangen« anzufeuern suchte, der die Vergrösserungslupe konstruierte und das Teleskop in der Theorie entwarf, der als erster die Bedeutung wissenschaftlicher, streng philologisch bearbeiteter Sprachkenntnisse nachwies, u. s. w. ohne Ende, und der vor Allem die prinzipielle Bedeutung der Beobachtung der Natur als Grundlage alles wirklichen Wissens ein für alle Mal hinstellte und sein ganzes eigenes Vermögen auf physikalische Experi- mente ausgab. Welche Ermunterung fand nun dieser Geist, geeignet wie kein Anderer vor oder nach ihm, das gesamte Germanentum zum plötzlich hellen Auflodern seiner geistigen Fähigkeiten zu bringen? Zuerst begnügte man sich, ihm zu verbieten, die Ergebnisse seiner Versuche aufzuschreiben, d. h. also, sie der Welt mitzuteilen; dann wurde das Lesen der schon hinausgegangenen Bücher mit Exkommunikation bestraft; dann wurden seine Papiere — die Ergebnisse seiner Studien — vernichtet; zuletzt wurde er in schwere Kerkerhaft geworfen, in der er viele Jahre, bis zum Vorabend seines Todes, verblieb. Der Kampf, den ich hier an zwei Beispielen flüchtig skizziert habe, währte Jahr- hunderte und kostete viel Blut und Leiden. Im Grunde genommen ist es genau derselbe Kampf, den mein achtes Kapitel schildert: Rom gegen das Germanentum. Denn, was man auch sonst über römische Unfehlbarkeit denken mag, das Eine wird jeder unparteiische Mann zugeben: Rom hat stets mit unfehlbarem Instinkt es verstanden, das- jenige, was geeignet war, das Germanentum zu fördern, hintanzuhalten, 1) De divisione naturae V, 33. Vergl. auch oben S. 640. 2) Nicht mit dem vier Jahrhunderte später lebenden, weit weniger bedeutenden Francis Bacon zu verwechseln. 49*
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nur dadurch erfülle sie ihren göttlichen Zweck. 1) Wie erging es nun
diesem bei aller Wissbegier doch äusserst frommen und (charakteristischer
Weise!) zur schwärmerischen Mystik geneigten Manne? Auf Befehl des
Papstes Nikolaus I. wurde er von seinem Lehramt in Paris verjagt und
schliesslich ermordet, und noch vier Jahrhunderte später wurden seine
Werke — die inzwischen unter allen wirklich religiösen, antirömischen
Germanen verschiedener Nationen grosse Verbreitung gefunden hatten —
durch die Sendlinge Honorius III. überall aufgestöbert und verbrannt.
Ähnliches geschah bei jeder Regung des Wissenstriebes. Gerade im
13. Jahrhundert, im Augenblick, wo man die Schriften des Scotus Erigena
so eifrig den Flammen überlieferte, wurde jener unbegreiflich grosse
Geist, Roger Bacon, 2) geboren, der zur Entdeckung der Erde durch
»Hinaussegeln nach Westen, um nach Osten zu gelangen« anzufeuern
suchte, der die Vergrösserungslupe konstruierte und das Teleskop in
der Theorie entwarf, der als erster die Bedeutung wissenschaftlicher,
streng philologisch bearbeiteter Sprachkenntnisse nachwies, u. s. w. ohne
Ende, und der vor Allem die prinzipielle Bedeutung der Beobachtung
der Natur als Grundlage alles wirklichen Wissens ein für alle Mal
hinstellte und sein ganzes eigenes Vermögen auf physikalische Experi-
mente ausgab. Welche Ermunterung fand nun dieser Geist, geeignet
wie kein Anderer vor oder nach ihm, das gesamte Germanentum zum
plötzlich hellen Auflodern seiner geistigen Fähigkeiten zu bringen?
Zuerst begnügte man sich, ihm zu verbieten, die Ergebnisse seiner
Versuche aufzuschreiben, d. h. also, sie der Welt mitzuteilen; dann wurde
das Lesen der schon hinausgegangenen Bücher mit Exkommunikation
bestraft; dann wurden seine Papiere — die Ergebnisse seiner Studien —
vernichtet; zuletzt wurde er in schwere Kerkerhaft geworfen, in der
er viele Jahre, bis zum Vorabend seines Todes, verblieb. Der Kampf,
den ich hier an zwei Beispielen flüchtig skizziert habe, währte Jahr-
hunderte und kostete viel Blut und Leiden. Im Grunde genommen
ist es genau derselbe Kampf, den mein achtes Kapitel schildert: Rom
gegen das Germanentum. Denn, was man auch sonst über römische
Unfehlbarkeit denken mag, das Eine wird jeder unparteiische Mann
zugeben: Rom hat stets mit unfehlbarem Instinkt es verstanden, das-
jenige, was geeignet war, das Germanentum zu fördern, hintanzuhalten,
1) De divisione naturae V, 33. Vergl. auch oben S. 640.
2) Nicht mit dem vier Jahrhunderte später lebenden, weit weniger bedeutenden
Francis Bacon zu verwechseln.
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