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Chamberlain, Houston Stewart: Die Grundlagen des Neunzehnten Jahrhunderts. Bd. 2. München 1899.

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Die Germanen als Schöpfer einer neuen Kultur.
seiner grossen allgemein organisatorischen Thätigkeit.1) Ein anderes
Beispiel wäre Friedrich der Grosse von Preussen, der die Interessen
des gesamten Germanentums in Centraleuropa nur als unbedingt auto-
kratischer Kriegsführer und Staatenlenker wahren konnte, dabei aber
so echt freisinnig war, dass mancher Wortführer der französischen
Revolution bei diesem Monarchen hätte in die Schule gehen sollen.
Und dabei fällt mir noch ein politisches Beispiel von dem Wert dieses
Kardinalprinzipes ein: wer die Entwickelung und Blüte des Germanen-
tums als massgebend betrachtet, wird nicht lange im Zweifel sein,
welches Dokument am meisten Bewunderung verdient: die Declara-
tion des droits de l'homme
oder die Declaration of Independence der
Vereinigten Staaten Nordamerika's. Hierauf komme ich noch zurück.
Auf anderen Gebieten als auf dem politischen bewährt sich die Ein-
sicht in die individuelle Natur des germanischen Geistes eben so sehr.
Die kühne Erforschung der Erde erweiterte nicht bloss das Feld für
einen Unternehmungssinn wie keine andere Rasse ihn je besessen hat,
noch heute besitzt, sondern befreite unseren Geist aus der Stuben-
atmosphäre der klassischen Büchereien, gab ihn sich selbst zurück;
Kopernikus riss das einengende Himmelszelt herunter und damit auch
den ins Christentum übergegangenen Himmel der Ägypter, und sofort
stand das Himmelreich des Germanen da: "Die Menschen haben je
und allewege gemeint, der Himmel sei viele hundert oder tausend
Meilen von diesem Erdboden -- -- -- der rechte Himmel ist aber
allenthalben, auch an dem Orte, wo du stehst und gehst".2) Der
Buchdruck diente zu allererst zur Verbreitung des Evangeliums und
Bekämpfung der antigermanischen Theokratie. Und so weiter ins
Unendliche.

Hieran knüpft sich nun noch eine für die klare Erkenntnis undInnere
Gegensätze

Unterscheidung des echt Germanischen sehr wichtige Bemerkung.
In den zuletzt genannten Dingen, sowie in tausend anderen entdecken
wir überall jene spezifische Eigentümlichkeit des Germanen: das enge
Zusammengehen -- wie Zwillingsbrüder, Hand in Hand -- des
Praktischen und des Idealen (siehe S. 510). Ähnlichen Widersprüchen

1) Es thut gut, immer wieder Buckle's Philippica gegen Ludwig XIV. zu
lesen (Civilization II, 4), doch giebt Voltaire (auf den auch Buckle hinweist) ein
weit gerechteres Bild in seinem Siecle de Louis XIV (siehe namentlich das 29. Kapitel
über die Arbeitskraft, die Menschenkenntnis und die organisatorischen Gaben des
Königs).
2) Jakob Böhme: Aurora 19.

Die Germanen als Schöpfer einer neuen Kultur.
seiner grossen allgemein organisatorischen Thätigkeit.1) Ein anderes
Beispiel wäre Friedrich der Grosse von Preussen, der die Interessen
des gesamten Germanentums in Centraleuropa nur als unbedingt auto-
kratischer Kriegsführer und Staatenlenker wahren konnte, dabei aber
so echt freisinnig war, dass mancher Wortführer der französischen
Revolution bei diesem Monarchen hätte in die Schule gehen sollen.
Und dabei fällt mir noch ein politisches Beispiel von dem Wert dieses
Kardinalprinzipes ein: wer die Entwickelung und Blüte des Germanen-
tums als massgebend betrachtet, wird nicht lange im Zweifel sein,
welches Dokument am meisten Bewunderung verdient: die Déclara-
tion des droits de l’homme
oder die Declaration of Independence der
Vereinigten Staaten Nordamerika’s. Hierauf komme ich noch zurück.
Auf anderen Gebieten als auf dem politischen bewährt sich die Ein-
sicht in die individuelle Natur des germanischen Geistes eben so sehr.
Die kühne Erforschung der Erde erweiterte nicht bloss das Feld für
einen Unternehmungssinn wie keine andere Rasse ihn je besessen hat,
noch heute besitzt, sondern befreite unseren Geist aus der Stuben-
atmosphäre der klassischen Büchereien, gab ihn sich selbst zurück;
Kopernikus riss das einengende Himmelszelt herunter und damit auch
den ins Christentum übergegangenen Himmel der Ägypter, und sofort
stand das Himmelreich des Germanen da: »Die Menschen haben je
und allewege gemeint, der Himmel sei viele hundert oder tausend
Meilen von diesem Erdboden — — — der rechte Himmel ist aber
allenthalben, auch an dem Orte, wo du stehst und gehst«.2) Der
Buchdruck diente zu allererst zur Verbreitung des Evangeliums und
Bekämpfung der antigermanischen Theokratie. Und so weiter ins
Unendliche.

Hieran knüpft sich nun noch eine für die klare Erkenntnis undInnere
Gegensätze

Unterscheidung des echt Germanischen sehr wichtige Bemerkung.
In den zuletzt genannten Dingen, sowie in tausend anderen entdecken
wir überall jene spezifische Eigentümlichkeit des Germanen: das enge
Zusammengehen — wie Zwillingsbrüder, Hand in Hand — des
Praktischen und des Idealen (siehe S. 510). Ähnlichen Widersprüchen

1) Es thut gut, immer wieder Buckle’s Philippica gegen Ludwig XIV. zu
lesen (Civilization II, 4), doch giebt Voltaire (auf den auch Buckle hinweist) ein
weit gerechteres Bild in seinem Siècle de Louis XIV (siehe namentlich das 29. Kapitel
über die Arbeitskraft, die Menschenkenntnis und die organisatorischen Gaben des
Königs).
2) Jakob Böhme: Aurora 19.
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[723/0202] Die Germanen als Schöpfer einer neuen Kultur. seiner grossen allgemein organisatorischen Thätigkeit. 1) Ein anderes Beispiel wäre Friedrich der Grosse von Preussen, der die Interessen des gesamten Germanentums in Centraleuropa nur als unbedingt auto- kratischer Kriegsführer und Staatenlenker wahren konnte, dabei aber so echt freisinnig war, dass mancher Wortführer der französischen Revolution bei diesem Monarchen hätte in die Schule gehen sollen. Und dabei fällt mir noch ein politisches Beispiel von dem Wert dieses Kardinalprinzipes ein: wer die Entwickelung und Blüte des Germanen- tums als massgebend betrachtet, wird nicht lange im Zweifel sein, welches Dokument am meisten Bewunderung verdient: die Déclara- tion des droits de l’homme oder die Declaration of Independence der Vereinigten Staaten Nordamerika’s. Hierauf komme ich noch zurück. Auf anderen Gebieten als auf dem politischen bewährt sich die Ein- sicht in die individuelle Natur des germanischen Geistes eben so sehr. Die kühne Erforschung der Erde erweiterte nicht bloss das Feld für einen Unternehmungssinn wie keine andere Rasse ihn je besessen hat, noch heute besitzt, sondern befreite unseren Geist aus der Stuben- atmosphäre der klassischen Büchereien, gab ihn sich selbst zurück; Kopernikus riss das einengende Himmelszelt herunter und damit auch den ins Christentum übergegangenen Himmel der Ägypter, und sofort stand das Himmelreich des Germanen da: »Die Menschen haben je und allewege gemeint, der Himmel sei viele hundert oder tausend Meilen von diesem Erdboden — — — der rechte Himmel ist aber allenthalben, auch an dem Orte, wo du stehst und gehst«. 2) Der Buchdruck diente zu allererst zur Verbreitung des Evangeliums und Bekämpfung der antigermanischen Theokratie. Und so weiter ins Unendliche. Hieran knüpft sich nun noch eine für die klare Erkenntnis und Unterscheidung des echt Germanischen sehr wichtige Bemerkung. In den zuletzt genannten Dingen, sowie in tausend anderen entdecken wir überall jene spezifische Eigentümlichkeit des Germanen: das enge Zusammengehen — wie Zwillingsbrüder, Hand in Hand — des Praktischen und des Idealen (siehe S. 510). Ähnlichen Widersprüchen Innere Gegensätze 1) Es thut gut, immer wieder Buckle’s Philippica gegen Ludwig XIV. zu lesen (Civilization II, 4), doch giebt Voltaire (auf den auch Buckle hinweist) ein weit gerechteres Bild in seinem Siècle de Louis XIV (siehe namentlich das 29. Kapitel über die Arbeitskraft, die Menschenkenntnis und die organisatorischen Gaben des Königs). 2) Jakob Böhme: Aurora 19.

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Zitationshilfe: Chamberlain, Houston Stewart: Die Grundlagen des Neunzehnten Jahrhunderts. Bd. 2. München 1899, S. 723. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/chamberlain_grundlagen02_1899/202>, abgerufen am 23.11.2024.