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Chamberlain, Houston Stewart: Die Grundlagen des Neunzehnten Jahrhunderts. Bd. 2. München 1899.

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Der Kampf.
analoge Auffassung des Sühnopfers; doch verdient gerade der Jude
für nichts aufrichtigere Bewunderung, als für seinen unablässigen Kampf
gegen Aberglauben und Zauberwesen; seine Religion war Materialismus,
doch, wie ich in einem früheren Kapitel ausführte, abstrakter Materia-
lismus, nicht konkreter.1) Dagegen hatte sich bis gegen Ende des
2. Jahrhunderts unserer Ära ein durchaus konkreter, wenn auch mystisch
gefärbter Materialismus wie eine Pest durch das ganze römische Reich
verbreitet. Dass dieses plötzliche Aufflammen alter Superstitionen von
Semiten ausging, von denjenigen Semiten nämlich, die nicht unter
dem wohlthätigen Gesetze Jahve's standen, ist erwiesen;2) hatten doch
die jüdischen Propheten selber Mühe genug gehabt, den immer von
Neuem auftauchenden Glauben an die magische Wirkung genossenen
Opferfleisches zu unterdrücken;3) und gerade dieser unter den geborenen
Materialisten weitverbreitete Glaube war es, der jetzt wie ein Lauffeuer
durch alle Länder des stark semitisierten Völkerchaos flog. Ewiges Leben
verlangten diese elenden Menschen, die wohl empfinden mochten, wie
wenig Ewigkeit ihr eigenes Dasein umfasste. Ewiges Leben versprachen
ihnen die Priester der neu umgestalteten Mysterien durch die Teilnahme
an "Agapen", gemeinsamen feierlichen Mahlen, in denen Fleisch und
Blut, magisch umgewandelt zu göttlicher Substanz, genossen, und durch
die unmittelbare Mitteilung dieses die Unsterblichkeit verleihenden
Ewigkeitsstoffes, der Leib des Menschen ebenfalls umgewandelt
wurde, um nach dem Tode zu ewigem Leben wieder aufzuerstehen.4)
So schreibt z. B. Apulejus über seine Einweihung in die Isismysterien,
er dürfe das Verborgene nicht verraten, nur so viel könne er sagen:
er sei bis an die Grenzen des Todesreiches gelangt, habe die Schwelle
der Proserpina betreten, und sei von dort "in allen Elementen neu-
geboren" zurückgekehrt.5) Auch die Mysten des Mythraskultus hiessen
in aeternam renati, auf ewig Wiedergeborene.6)

Dass wir hierin eine Neubelebung der urältesten allgemeinsten
totemistischen Wahnvorstellungen erblicken müssen, Vorstellungen,
gegen welche die Edelsten aller Länder seit lange und mit Erfolg an-

1) Siehe S. 230 fg.
2) Siehe namentlich Robertson Smith: Religion of the Semites (1894), p. 358.
Für diese ganze Frage lese man die Vorträge 8, 9, 10 und 11.
3) Siehe Smith a. a. O. und zur Ergänzung Cheyne: Isaiah, p. 368.
4) Rohde: Psyche, 1. Aufl., S. 687.
5) Der goldene Esel, Buch XI.
6) Rohde: a. a. O.

Der Kampf.
analoge Auffassung des Sühnopfers; doch verdient gerade der Jude
für nichts aufrichtigere Bewunderung, als für seinen unablässigen Kampf
gegen Aberglauben und Zauberwesen; seine Religion war Materialismus,
doch, wie ich in einem früheren Kapitel ausführte, abstrakter Materia-
lismus, nicht konkreter.1) Dagegen hatte sich bis gegen Ende des
2. Jahrhunderts unserer Ära ein durchaus konkreter, wenn auch mystisch
gefärbter Materialismus wie eine Pest durch das ganze römische Reich
verbreitet. Dass dieses plötzliche Aufflammen alter Superstitionen von
Semiten ausging, von denjenigen Semiten nämlich, die nicht unter
dem wohlthätigen Gesetze Jahve’s standen, ist erwiesen;2) hatten doch
die jüdischen Propheten selber Mühe genug gehabt, den immer von
Neuem auftauchenden Glauben an die magische Wirkung genossenen
Opferfleisches zu unterdrücken;3) und gerade dieser unter den geborenen
Materialisten weitverbreitete Glaube war es, der jetzt wie ein Lauffeuer
durch alle Länder des stark semitisierten Völkerchaos flog. Ewiges Leben
verlangten diese elenden Menschen, die wohl empfinden mochten, wie
wenig Ewigkeit ihr eigenes Dasein umfasste. Ewiges Leben versprachen
ihnen die Priester der neu umgestalteten Mysterien durch die Teilnahme
an »Agapen«, gemeinsamen feierlichen Mahlen, in denen Fleisch und
Blut, magisch umgewandelt zu göttlicher Substanz, genossen, und durch
die unmittelbare Mitteilung dieses die Unsterblichkeit verleihenden
Ewigkeitsstoffes, der Leib des Menschen ebenfalls umgewandelt
wurde, um nach dem Tode zu ewigem Leben wieder aufzuerstehen.4)
So schreibt z. B. Apulejus über seine Einweihung in die Isismysterien,
er dürfe das Verborgene nicht verraten, nur so viel könne er sagen:
er sei bis an die Grenzen des Todesreiches gelangt, habe die Schwelle
der Proserpina betreten, und sei von dort »in allen Elementen neu-
geboren« zurückgekehrt.5) Auch die Mysten des Mythraskultus hiessen
in aeternam renati, auf ewig Wiedergeborene.6)

Dass wir hierin eine Neubelebung der urältesten allgemeinsten
totemistischen Wahnvorstellungen erblicken müssen, Vorstellungen,
gegen welche die Edelsten aller Länder seit lange und mit Erfolg an-

1) Siehe S. 230 fg.
2) Siehe namentlich Robertson Smith: Religion of the Semites (1894), p. 358.
Für diese ganze Frage lese man die Vorträge 8, 9, 10 und 11.
3) Siehe Smith a. a. O. und zur Ergänzung Cheyne: Isaiah, p. 368.
4) Rohde: Psyche, 1. Aufl., S. 687.
5) Der goldene Esel, Buch XI.
6) Rohde: a. a. O.
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[636/0115] Der Kampf. analoge Auffassung des Sühnopfers; doch verdient gerade der Jude für nichts aufrichtigere Bewunderung, als für seinen unablässigen Kampf gegen Aberglauben und Zauberwesen; seine Religion war Materialismus, doch, wie ich in einem früheren Kapitel ausführte, abstrakter Materia- lismus, nicht konkreter. 1) Dagegen hatte sich bis gegen Ende des 2. Jahrhunderts unserer Ära ein durchaus konkreter, wenn auch mystisch gefärbter Materialismus wie eine Pest durch das ganze römische Reich verbreitet. Dass dieses plötzliche Aufflammen alter Superstitionen von Semiten ausging, von denjenigen Semiten nämlich, die nicht unter dem wohlthätigen Gesetze Jahve’s standen, ist erwiesen; 2) hatten doch die jüdischen Propheten selber Mühe genug gehabt, den immer von Neuem auftauchenden Glauben an die magische Wirkung genossenen Opferfleisches zu unterdrücken; 3) und gerade dieser unter den geborenen Materialisten weitverbreitete Glaube war es, der jetzt wie ein Lauffeuer durch alle Länder des stark semitisierten Völkerchaos flog. Ewiges Leben verlangten diese elenden Menschen, die wohl empfinden mochten, wie wenig Ewigkeit ihr eigenes Dasein umfasste. Ewiges Leben versprachen ihnen die Priester der neu umgestalteten Mysterien durch die Teilnahme an »Agapen«, gemeinsamen feierlichen Mahlen, in denen Fleisch und Blut, magisch umgewandelt zu göttlicher Substanz, genossen, und durch die unmittelbare Mitteilung dieses die Unsterblichkeit verleihenden Ewigkeitsstoffes, der Leib des Menschen ebenfalls umgewandelt wurde, um nach dem Tode zu ewigem Leben wieder aufzuerstehen. 4) So schreibt z. B. Apulejus über seine Einweihung in die Isismysterien, er dürfe das Verborgene nicht verraten, nur so viel könne er sagen: er sei bis an die Grenzen des Todesreiches gelangt, habe die Schwelle der Proserpina betreten, und sei von dort »in allen Elementen neu- geboren« zurückgekehrt. 5) Auch die Mysten des Mythraskultus hiessen in aeternam renati, auf ewig Wiedergeborene. 6) Dass wir hierin eine Neubelebung der urältesten allgemeinsten totemistischen Wahnvorstellungen erblicken müssen, Vorstellungen, gegen welche die Edelsten aller Länder seit lange und mit Erfolg an- 1) Siehe S. 230 fg. 2) Siehe namentlich Robertson Smith: Religion of the Semites (1894), p. 358. Für diese ganze Frage lese man die Vorträge 8, 9, 10 und 11. 3) Siehe Smith a. a. O. und zur Ergänzung Cheyne: Isaiah, p. 368. 4) Rohde: Psyche, 1. Aufl., S. 687. 5) Der goldene Esel, Buch XI. 6) Rohde: a. a. O.

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Dieses Werk wurde gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien im Double-Keying-Verfahren von Nicht-Muttersprachlern erfasst und in XML/TEI P5 nach DTA-Basisformat kodiert.




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Zitationshilfe: Chamberlain, Houston Stewart: Die Grundlagen des Neunzehnten Jahrhunderts. Bd. 2. München 1899, S. 636. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/chamberlain_grundlagen02_1899/115>, abgerufen am 24.11.2024.