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Chamberlain, Houston Stewart: Die Grundlagen des Neunzehnten Jahrhunderts. Bd. 2. München 1899.

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Religion.
dogmatische Fürwahrhalten kommt wenig an, sondern es kommt
darauf an zu wissen, was ein Mensch von Hause aus, durch die
ganze Anlage seiner Persönlichkeit, ist und sein muss, was ein
Mensch will und wollen muss, und Dante trieb es dazu, nicht
bloss in heftigen Worten über die unantastbare Person des pontifex
maximus
herzufallen und alle Diener der Kirche fast unausgesetzt
zu geisseln, sondern die Grundvesten der römischen Religion zu
untergraben.

Auch dieser Angriff prallte spurlos von den mächtigen Mauern
Rom's ab.

Mit Absicht habe ich den Kampf zwischen Nord und Süd nur
in seiner Erscheinung innerhalb der römischen Kirche betont, und
zwar nicht allein, weil ich von anderen Erscheinungen schon zu sprechen
Gelegenheit hatte oder weil sie erst in die nächste Kulturepoche zeitlich
und historisch gehören, sondern weil mich dünkt, dass gerade diese
Seite der Betrachtung meist ausser Acht gelassen wird und dass gerade
sie für das Verständnis unserer Gegenwart von grosser Bedeutung ist.
Durch die Reformation erstarkte später die katholische Kirche; denn
durch sie schieden unassimilierbare Elemente aus ihrer Mitte aus, die
ihr in der Gestalt unterwürfiger und dennoch aufrührerischer Söhne --
nach Art Karl's des Grossen und Dante's -- weit mehr Gefahr brachten,
als wären sie Feinde gewesen, Elemente, welche innerlich die logische
Entwickelung des römischen Ideals hemmten, und äusserlich sie wenig
oder gar nicht fördern konnten. Ein Karl der Grosse mit einem Dante
als Reichskanzler hätte die römische Kirche in den Grund gebohrt;
ein Luther dagegen klärt sie dermassen über sich selbst auf, dass
das Konzil von Trient den Morgen eines neuen Tages für sie be-
deutet hat.

Auf die schon früher berührten Rassenunterschiede will ich hierReligiöse
Rassen-
instinkte.

nicht zurückkommen, wenngleich sie dem Kampf zwischen Nord und Süd
zu Grunde liegen; Evidentes braucht ja nicht erst erwiesen zu werden.
Doch will ich diese kurze Betrachtung über die nordische Kraft im
christlichen Religionskampf nicht abbrechen und zu "Rom" übergehen,
ohne den Leser gebeten zu haben, irgend ein gutes Geschichtswerk
zur Hand zu nehmen, z. B. den ersten Band von Lamprecht's Deutscher
Geschichte;
ein aufmerksames Studium wird ihn überzeugen, wie tief ein-
gewurzelt im germanischen Volkscharakter gewisse Grundüberzeugungen
sind; zugleich wird er einsehen lernen, dass wenn auch Jakob Grimm
mit seiner Behauptung -- "germanische Kraft habe den Sieg des

Religion.
dogmatische Fürwahrhalten kommt wenig an, sondern es kommt
darauf an zu wissen, was ein Mensch von Hause aus, durch die
ganze Anlage seiner Persönlichkeit, ist und sein muss, was ein
Mensch will und wollen muss, und Dante trieb es dazu, nicht
bloss in heftigen Worten über die unantastbare Person des pontifex
maximus
herzufallen und alle Diener der Kirche fast unausgesetzt
zu geisseln, sondern die Grundvesten der römischen Religion zu
untergraben.

Auch dieser Angriff prallte spurlos von den mächtigen Mauern
Rom’s ab.

Mit Absicht habe ich den Kampf zwischen Nord und Süd nur
in seiner Erscheinung innerhalb der römischen Kirche betont, und
zwar nicht allein, weil ich von anderen Erscheinungen schon zu sprechen
Gelegenheit hatte oder weil sie erst in die nächste Kulturepoche zeitlich
und historisch gehören, sondern weil mich dünkt, dass gerade diese
Seite der Betrachtung meist ausser Acht gelassen wird und dass gerade
sie für das Verständnis unserer Gegenwart von grosser Bedeutung ist.
Durch die Reformation erstarkte später die katholische Kirche; denn
durch sie schieden unassimilierbare Elemente aus ihrer Mitte aus, die
ihr in der Gestalt unterwürfiger und dennoch aufrührerischer Söhne —
nach Art Karl’s des Grossen und Dante’s — weit mehr Gefahr brachten,
als wären sie Feinde gewesen, Elemente, welche innerlich die logische
Entwickelung des römischen Ideals hemmten, und äusserlich sie wenig
oder gar nicht fördern konnten. Ein Karl der Grosse mit einem Dante
als Reichskanzler hätte die römische Kirche in den Grund gebohrt;
ein Luther dagegen klärt sie dermassen über sich selbst auf, dass
das Konzil von Trient den Morgen eines neuen Tages für sie be-
deutet hat.

Auf die schon früher berührten Rassenunterschiede will ich hierReligiöse
Rassen-
instinkte.

nicht zurückkommen, wenngleich sie dem Kampf zwischen Nord und Süd
zu Grunde liegen; Evidentes braucht ja nicht erst erwiesen zu werden.
Doch will ich diese kurze Betrachtung über die nordische Kraft im
christlichen Religionskampf nicht abbrechen und zu »Rom« übergehen,
ohne den Leser gebeten zu haben, irgend ein gutes Geschichtswerk
zur Hand zu nehmen, z. B. den ersten Band von Lamprecht’s Deutscher
Geschichte;
ein aufmerksames Studium wird ihn überzeugen, wie tief ein-
gewurzelt im germanischen Volkscharakter gewisse Grundüberzeugungen
sind; zugleich wird er einsehen lernen, dass wenn auch Jakob Grimm
mit seiner Behauptung — »germanische Kraft habe den Sieg des

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[623/0102] Religion. dogmatische Fürwahrhalten kommt wenig an, sondern es kommt darauf an zu wissen, was ein Mensch von Hause aus, durch die ganze Anlage seiner Persönlichkeit, ist und sein muss, was ein Mensch will und wollen muss, und Dante trieb es dazu, nicht bloss in heftigen Worten über die unantastbare Person des pontifex maximus herzufallen und alle Diener der Kirche fast unausgesetzt zu geisseln, sondern die Grundvesten der römischen Religion zu untergraben. Auch dieser Angriff prallte spurlos von den mächtigen Mauern Rom’s ab. Mit Absicht habe ich den Kampf zwischen Nord und Süd nur in seiner Erscheinung innerhalb der römischen Kirche betont, und zwar nicht allein, weil ich von anderen Erscheinungen schon zu sprechen Gelegenheit hatte oder weil sie erst in die nächste Kulturepoche zeitlich und historisch gehören, sondern weil mich dünkt, dass gerade diese Seite der Betrachtung meist ausser Acht gelassen wird und dass gerade sie für das Verständnis unserer Gegenwart von grosser Bedeutung ist. Durch die Reformation erstarkte später die katholische Kirche; denn durch sie schieden unassimilierbare Elemente aus ihrer Mitte aus, die ihr in der Gestalt unterwürfiger und dennoch aufrührerischer Söhne — nach Art Karl’s des Grossen und Dante’s — weit mehr Gefahr brachten, als wären sie Feinde gewesen, Elemente, welche innerlich die logische Entwickelung des römischen Ideals hemmten, und äusserlich sie wenig oder gar nicht fördern konnten. Ein Karl der Grosse mit einem Dante als Reichskanzler hätte die römische Kirche in den Grund gebohrt; ein Luther dagegen klärt sie dermassen über sich selbst auf, dass das Konzil von Trient den Morgen eines neuen Tages für sie be- deutet hat. Auf die schon früher berührten Rassenunterschiede will ich hier nicht zurückkommen, wenngleich sie dem Kampf zwischen Nord und Süd zu Grunde liegen; Evidentes braucht ja nicht erst erwiesen zu werden. Doch will ich diese kurze Betrachtung über die nordische Kraft im christlichen Religionskampf nicht abbrechen und zu »Rom« übergehen, ohne den Leser gebeten zu haben, irgend ein gutes Geschichtswerk zur Hand zu nehmen, z. B. den ersten Band von Lamprecht’s Deutscher Geschichte; ein aufmerksames Studium wird ihn überzeugen, wie tief ein- gewurzelt im germanischen Volkscharakter gewisse Grundüberzeugungen sind; zugleich wird er einsehen lernen, dass wenn auch Jakob Grimm mit seiner Behauptung — »germanische Kraft habe den Sieg des Religiöse Rassen- instinkte.

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Zitationshilfe: Chamberlain, Houston Stewart: Die Grundlagen des Neunzehnten Jahrhunderts. Bd. 2. München 1899, S. 623. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/chamberlain_grundlagen02_1899/102>, abgerufen am 22.11.2024.