Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Chamberlain, Houston Stewart: Die Grundlagen des Neunzehnten Jahrhunderts. Bd. 1. München 1899.

Bild:
<< vorherige Seite
EINLEITENDES.


"Die Welt", sagt Dr. Martin Luther, "wird von Gott durchHistorische
Grundsätze.

etliche wenige Helden und fürtreffliche Leute regieret." Die mächtigsten
dieser regierenden Helden sind die Geistesfürsten, die Männer, welche
ohne Waffengewalt und diplomatische Sanktionen, ohne Gesetzeszwang
und Polizei, bestimmend und umbildend auf das Denken und Fühlen
zahlreicher Geschlechter wirken; diese Männer, von denen man sagen
kann, dass sie um so gewaltiger sind, je weniger Gewalt sie haben,
besteigen aber selten, vielleicht nie, ihren Thron während ihres Lebens;
ihre Herrschaft währt lange, beginnt aber spät, oft sehr spät, nament-
lich wenn wir von dem Einfluss, den sie auf Einzelne ausüben, ab-
sehen und jenen Augenblick in Betracht ziehen, wo das, was ihr
Leben ausmachte, auf das Leben ganzer Völker gestaltend sich zu
bethätigen beginnt. Mehr als zwei Jahrhunderte vergingen, bis die
neue Anschauung des Kosmos, welche wir Kopernikus verdanken,
und welche tief umgestaltend auf alles menschliche Denken wirken
musste, Gemeingut geworden war. So bedeutende Männer unter
seinen Zeitgenossen wie Luther, urteilten über Kopernikus, er sei
"ein Narr, der die ganze Kunst Astronomiä umkehre". Trotzdem
sein Weltsystem im Altertum schon gelehrt, trotzdem durch die
Arbeiten seiner unmittelbaren Vorgänger, Regiomontanus und Anderer,
alles vorbereitet worden war, was die neuerliche Entdeckung bedingte,
so dass man wohl sagen darf, bis auf den Funken der Inspiration
im Gehirn des "Fürtrefflichsten", lag das Kopernikanische System
genau bedingt vor, -- trotzdem es sich hier nicht um schwer
fassliche metaphysische und moralische Dinge handelte, sondern um

EINLEITENDES.


»Die Welt«, sagt Dr. Martin Luther, »wird von Gott durchHistorische
Grundsätze.

etliche wenige Helden und fürtreffliche Leute regieret.« Die mächtigsten
dieser regierenden Helden sind die Geistesfürsten, die Männer, welche
ohne Waffengewalt und diplomatische Sanktionen, ohne Gesetzeszwang
und Polizei, bestimmend und umbildend auf das Denken und Fühlen
zahlreicher Geschlechter wirken; diese Männer, von denen man sagen
kann, dass sie um so gewaltiger sind, je weniger Gewalt sie haben,
besteigen aber selten, vielleicht nie, ihren Thron während ihres Lebens;
ihre Herrschaft währt lange, beginnt aber spät, oft sehr spät, nament-
lich wenn wir von dem Einfluss, den sie auf Einzelne ausüben, ab-
sehen und jenen Augenblick in Betracht ziehen, wo das, was ihr
Leben ausmachte, auf das Leben ganzer Völker gestaltend sich zu
bethätigen beginnt. Mehr als zwei Jahrhunderte vergingen, bis die
neue Anschauung des Kosmos, welche wir Kopernikus verdanken,
und welche tief umgestaltend auf alles menschliche Denken wirken
musste, Gemeingut geworden war. So bedeutende Männer unter
seinen Zeitgenossen wie Luther, urteilten über Kopernikus, er sei
»ein Narr, der die ganze Kunst Astronomiä umkehre«. Trotzdem
sein Weltsystem im Altertum schon gelehrt, trotzdem durch die
Arbeiten seiner unmittelbaren Vorgänger, Regiomontanus und Anderer,
alles vorbereitet worden war, was die neuerliche Entdeckung bedingte,
so dass man wohl sagen darf, bis auf den Funken der Inspiration
im Gehirn des »Fürtrefflichsten«, lag das Kopernikanische System
genau bedingt vor, — trotzdem es sich hier nicht um schwer
fassliche metaphysische und moralische Dinge handelte, sondern um

<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <div n="2">
          <pb facs="#f0064" n="[41]"/>
          <div n="3">
            <head>EINLEITENDES.</head><lb/>
            <milestone rendition="#hr" unit="section"/><lb/>
            <p>»<hi rendition="#in">D</hi>ie Welt«, sagt Dr. Martin Luther, »wird von Gott durch<note place="right">Historische<lb/>
Grundsätze.</note><lb/>
etliche wenige Helden und fürtreffliche Leute regieret.« Die mächtigsten<lb/>
dieser regierenden Helden sind die Geistesfürsten, die Männer, welche<lb/>
ohne Waffengewalt und diplomatische Sanktionen, ohne Gesetzeszwang<lb/>
und Polizei, bestimmend und umbildend auf das Denken und Fühlen<lb/>
zahlreicher Geschlechter wirken; diese Männer, von denen man sagen<lb/>
kann, dass sie um so gewaltiger <hi rendition="#g">sind,</hi> je weniger Gewalt sie <hi rendition="#g">haben,</hi><lb/>
besteigen aber selten, vielleicht nie, ihren Thron während ihres Lebens;<lb/>
ihre Herrschaft währt lange, beginnt aber spät, oft sehr spät, nament-<lb/>
lich wenn wir von dem Einfluss, den sie auf Einzelne ausüben, ab-<lb/>
sehen und jenen Augenblick in Betracht ziehen, wo das, was ihr<lb/>
Leben ausmachte, auf das Leben ganzer Völker gestaltend sich zu<lb/>
bethätigen beginnt. Mehr als zwei Jahrhunderte vergingen, bis die<lb/>
neue Anschauung des Kosmos, welche wir Kopernikus verdanken,<lb/>
und welche tief umgestaltend auf alles menschliche Denken wirken<lb/>
musste, Gemeingut geworden war. So bedeutende Männer unter<lb/>
seinen Zeitgenossen wie Luther, urteilten über Kopernikus, er sei<lb/>
»ein Narr, der die ganze Kunst Astronomiä umkehre«. Trotzdem<lb/>
sein Weltsystem im Altertum schon gelehrt, trotzdem durch die<lb/>
Arbeiten seiner unmittelbaren Vorgänger, Regiomontanus und Anderer,<lb/>
alles vorbereitet worden war, was die neuerliche Entdeckung bedingte,<lb/>
so dass man wohl sagen darf, bis auf den Funken der Inspiration<lb/>
im Gehirn des »Fürtrefflichsten«, lag das Kopernikanische System<lb/>
genau bedingt vor, &#x2014; trotzdem es sich hier nicht um schwer<lb/>
fassliche metaphysische und moralische Dinge handelte, sondern um<lb/></p>
          </div>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[[41]/0064] EINLEITENDES. »Die Welt«, sagt Dr. Martin Luther, »wird von Gott durch etliche wenige Helden und fürtreffliche Leute regieret.« Die mächtigsten dieser regierenden Helden sind die Geistesfürsten, die Männer, welche ohne Waffengewalt und diplomatische Sanktionen, ohne Gesetzeszwang und Polizei, bestimmend und umbildend auf das Denken und Fühlen zahlreicher Geschlechter wirken; diese Männer, von denen man sagen kann, dass sie um so gewaltiger sind, je weniger Gewalt sie haben, besteigen aber selten, vielleicht nie, ihren Thron während ihres Lebens; ihre Herrschaft währt lange, beginnt aber spät, oft sehr spät, nament- lich wenn wir von dem Einfluss, den sie auf Einzelne ausüben, ab- sehen und jenen Augenblick in Betracht ziehen, wo das, was ihr Leben ausmachte, auf das Leben ganzer Völker gestaltend sich zu bethätigen beginnt. Mehr als zwei Jahrhunderte vergingen, bis die neue Anschauung des Kosmos, welche wir Kopernikus verdanken, und welche tief umgestaltend auf alles menschliche Denken wirken musste, Gemeingut geworden war. So bedeutende Männer unter seinen Zeitgenossen wie Luther, urteilten über Kopernikus, er sei »ein Narr, der die ganze Kunst Astronomiä umkehre«. Trotzdem sein Weltsystem im Altertum schon gelehrt, trotzdem durch die Arbeiten seiner unmittelbaren Vorgänger, Regiomontanus und Anderer, alles vorbereitet worden war, was die neuerliche Entdeckung bedingte, so dass man wohl sagen darf, bis auf den Funken der Inspiration im Gehirn des »Fürtrefflichsten«, lag das Kopernikanische System genau bedingt vor, — trotzdem es sich hier nicht um schwer fassliche metaphysische und moralische Dinge handelte, sondern um Historische Grundsätze.

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien im Double-Keying-Verfahren von Nicht-Muttersprachlern erfasst und in XML/TEI P5 nach DTA-Basisformat kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/chamberlain_grundlagen01_1899
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/chamberlain_grundlagen01_1899/64
Zitationshilfe: Chamberlain, Houston Stewart: Die Grundlagen des Neunzehnten Jahrhunderts. Bd. 1. München 1899, S. [41]. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/chamberlain_grundlagen01_1899/64>, abgerufen am 19.12.2024.