Chamberlain, Houston Stewart: Die Grundlagen des Neunzehnten Jahrhunderts. Bd. 1. München 1899.Die Erben. Witterung mancher Baum keine Blüten oder nur verkümmerte treibt,was bei den hartbedrängten Germanen auch manchmal sich traf. Die Wurzel des besonderen Charakters ist ohne allen Zweifel jene allen Ariern gemeinsame und ihnen allein eigentümliche, bei den Griechen am üppigsten in die Erscheinung tretende, freischöpferische Anlage, über die ich mich in dem Anfang des Kapitels über Hellenische Kunst und Philosophie ausgelassen habe (siehe S. 53 fg); alles leitet sich daher: Kunst, Philosophie, Politik, Wissenschaft; auch die Blüte der Treue finden wir durch diesen besonderen Saft gefärbt. Den Stamm bildet dann die positive Kraft, die physische und die intellektuelle (die voneinander gar nicht zu scheiden sind); bei den Römern, denen wir die festen Grundlagen von Familie und Staat verdanken, war gerade dieser Stamm mächtig entwickelt. Doch die wahren Blüten eines derartigen Baumes sind die, welche Gemüt und Gesinnung zeitigen. Freiheit ist eine Expansivkraft, welche die Menschen aus- einander sprengt, germanische Treue ist das Band, welches freie Menschen durch ihre innere Gewalt fester aneinander anschliesst als das Schwert des Tyrannen; Freiheit bedeutet Durst nach unmittel- barer, selbst entdeckter Wahrheit, Treue, die Ehrfurcht vor dem, was den Ahnen wahr dünkte; Freiheit schafft sich eine eigene Bestimmung, Treue hält unerschütterlich an dieser Bestimmung fest. Treue gegen die Geliebte, Treue gegen Freund und Eltern und Vaterland finden wir vielerorten; doch hier, beim Germanen, ist etwas hinzugekommen, wodurch der blosse Instinkt zu einer unendlich tiefen Seelenkraft, zu einem Lebensprinzip wird. Shakespeare lässt den Vater seinem Sohne als höchsten Ratschlag für seinen Lebensweg, als diejenige Mahnung, welche alle anderen in sich beschliesst, die Worte mitgeben: Dies Eine über Alles -- sei dir selber treu! Das Prinzip der germanischen Treue ist, wie man sieht, nicht das Die Erben. Witterung mancher Baum keine Blüten oder nur verkümmerte treibt,was bei den hartbedrängten Germanen auch manchmal sich traf. Die Wurzel des besonderen Charakters ist ohne allen Zweifel jene allen Ariern gemeinsame und ihnen allein eigentümliche, bei den Griechen am üppigsten in die Erscheinung tretende, freischöpferische Anlage, über die ich mich in dem Anfang des Kapitels über Hellenische Kunst und Philosophie ausgelassen habe (siehe S. 53 fg); alles leitet sich daher: Kunst, Philosophie, Politik, Wissenschaft; auch die Blüte der Treue finden wir durch diesen besonderen Saft gefärbt. Den Stamm bildet dann die positive Kraft, die physische und die intellektuelle (die voneinander gar nicht zu scheiden sind); bei den Römern, denen wir die festen Grundlagen von Familie und Staat verdanken, war gerade dieser Stamm mächtig entwickelt. Doch die wahren Blüten eines derartigen Baumes sind die, welche Gemüt und Gesinnung zeitigen. Freiheit ist eine Expansivkraft, welche die Menschen aus- einander sprengt, germanische Treue ist das Band, welches freie Menschen durch ihre innere Gewalt fester aneinander anschliesst als das Schwert des Tyrannen; Freiheit bedeutet Durst nach unmittel- barer, selbst entdeckter Wahrheit, Treue, die Ehrfurcht vor dem, was den Ahnen wahr dünkte; Freiheit schafft sich eine eigene Bestimmung, Treue hält unerschütterlich an dieser Bestimmung fest. Treue gegen die Geliebte, Treue gegen Freund und Eltern und Vaterland finden wir vielerorten; doch hier, beim Germanen, ist etwas hinzugekommen, wodurch der blosse Instinkt zu einer unendlich tiefen Seelenkraft, zu einem Lebensprinzip wird. Shakespeare lässt den Vater seinem Sohne als höchsten Ratschlag für seinen Lebensweg, als diejenige Mahnung, welche alle anderen in sich beschliesst, die Worte mitgeben: Dies Eine über Alles — sei dir selber treu! 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Die Erben.
Witterung mancher Baum keine Blüten oder nur verkümmerte treibt,
was bei den hartbedrängten Germanen auch manchmal sich traf. Die
Wurzel des besonderen Charakters ist ohne allen Zweifel jene allen
Ariern gemeinsame und ihnen allein eigentümliche, bei den Griechen
am üppigsten in die Erscheinung tretende, freischöpferische Anlage,
über die ich mich in dem Anfang des Kapitels über Hellenische Kunst
und Philosophie ausgelassen habe (siehe S. 53 fg); alles leitet sich
daher: Kunst, Philosophie, Politik, Wissenschaft; auch die Blüte der
Treue finden wir durch diesen besonderen Saft gefärbt. Den Stamm
bildet dann die positive Kraft, die physische und die intellektuelle
(die voneinander gar nicht zu scheiden sind); bei den Römern, denen
wir die festen Grundlagen von Familie und Staat verdanken, war
gerade dieser Stamm mächtig entwickelt. Doch die wahren Blüten
eines derartigen Baumes sind die, welche Gemüt und Gesinnung
zeitigen. Freiheit ist eine Expansivkraft, welche die Menschen aus-
einander sprengt, germanische Treue ist das Band, welches freie
Menschen durch ihre innere Gewalt fester aneinander anschliesst als
das Schwert des Tyrannen; Freiheit bedeutet Durst nach unmittel-
barer, selbst entdeckter Wahrheit, Treue, die Ehrfurcht vor dem, was
den Ahnen wahr dünkte; Freiheit schafft sich eine eigene Bestimmung,
Treue hält unerschütterlich an dieser Bestimmung fest. Treue gegen
die Geliebte, Treue gegen Freund und Eltern und Vaterland finden
wir vielerorten; doch hier, beim Germanen, ist etwas hinzugekommen,
wodurch der blosse Instinkt zu einer unendlich tiefen Seelenkraft, zu
einem Lebensprinzip wird. Shakespeare lässt den Vater seinem Sohne
als höchsten Ratschlag für seinen Lebensweg, als diejenige Mahnung,
welche alle anderen in sich beschliesst, die Worte mitgeben:
Dies Eine über Alles — sei dir selber treu!
Das Prinzip der germanischen Treue ist, wie man sieht, nicht das
Bedürfnis der Aneinanderkettung, wie Lamprecht meint, sondern im
Gegenteil, das Bedürfnis der Beharrlichkeit innerhalb des eigenen,
autonomen Kreises; sie bezeugt die Selbstbestimmung, in ihr bewährt
sich die Freiheit, durch sie behauptet der Lehensmann, der Innungs-
genosse, der Beamte, der Offizier seine persönliche Unabhängigkeit.
Für den freien Mann heisst Dienen sich selber befehlen. »Erst die
Germanen brachten der Welt die Idee der persönlichen Freiheit«, be-
zeugt Goethe. Was bei den Indern Metaphysik war und insofern not-
wendiger Weise verneinend, weltabgewandt, ist hier als ein Ideal des
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