Chamberlain, Houston Stewart: Die Grundlagen des Neunzehnten Jahrhunderts. Bd. 1. München 1899.Allgemeine Einleitung. logie spräche. Gegen Schluss des vorigen Jahrhunderts, von solchenMännern wie Jones, Anquetil du Perron, den Gebrüdern Schlegel und Grimm, Karadzic und anderen zuerst ins Leben gerufen, hat die vergleichende Philologie im Laufe eines einzigen Jahrhunderts eine unvergleichliche Bahn durchschritten. Den Organismus und die Ge- schichte der Sprache ergründen, heisst nicht allein Licht auf Anthro- pologie, Ethnologie und Geschichte werfen, sondern geradezu das menschliche Denken zu neuen Thaten stärken. Und während so die Philologie unseres Jahrhunderts für die Zukunft arbeitete, hob sie verschüttete Schätze der Vergangenheit, die fortan zu den kostbarsten Gütern der Menschheit gehören. Man braucht nicht Sympathie für den pseudobuddhistischen Sport halbgebildeter Müssiggänger zu em- pfinden, um klar zu erkennen, dass die Entdeckung der altindischen Erkenntnis-Theologie eine der grössten Thaten dieses Jahrhunderts ist, bestimmt, eine nachhaltige Wirkung auf ferne Zeiten auszuüben. Dazu kam die Kenntnis altgermanischer Dichtung und Mythologie. Jede Kräftigung der echten Eigenart ist ein wahrer Rettungsanker. Die glänzende Reihe der Germanisten und ebenso die der Indologen hat, halb unbewusst, eine grosse That im rechten Augenblick voll- bracht; jetzt besitzen auch wir unsere "heiligen Bücher", und was sie lehren, ist schöner und edler als was das alte Testament berichtet. Der Glaube an unsere Kraft, den wir aus der Geschichte von 19 Jahrhunderten schöpfen, hat eine unermesslich wertvolle Bereiche- rung durch diese Entdeckung unserer selbständigen Fähigkeit zu vielem Höchsten erfahren, in Bezug auf welches wir bisher in einer Art Lehnverhältnis standen: namentlich ist die Fabel von der beson- deren Befähigung der Juden für die Religion endgültig vernichtet; hierfür werden spätere Geschlechter unserem Jahrhundert dankbar sein. Diese Thatsache ist eine der grossen, weitestreichenden Erfolge unserer Zeit, daher hätte die Benennung Jahrhundert der Philologie eine ge- wisse Berechtigung. Hiermit haben wir nun auch eine andere der charakteristischen Erscheinungen unseres Jahrhunderts erwähnt. Ranke hatte vorausgesagt, unser Jahrhundert werde ein Jahrhundert der Nationalität sein; das war ein zutreffendes politisches Prognostikon, denn niemals zuvor haben sich die Nationen so sehr als fest abge- schlossene, feindliche Einheiten einander gegenüber gestanden. Es ist aber auch ein Jahrhundert der Rassen geworden, und zwar ist das zunächst eine notwendige und unmittelbare Folge der Wissen- schaft und des wissenschaftlichen Denkens. Ich habe schon zu Be- Allgemeine Einleitung. logie spräche. Gegen Schluss des vorigen Jahrhunderts, von solchenMännern wie Jones, Anquetil du Perron, den Gebrüdern Schlegel und Grimm, Karadžič und anderen zuerst ins Leben gerufen, hat die vergleichende Philologie im Laufe eines einzigen Jahrhunderts eine unvergleichliche Bahn durchschritten. Den Organismus und die Ge- schichte der Sprache ergründen, heisst nicht allein Licht auf Anthro- pologie, Ethnologie und Geschichte werfen, sondern geradezu das menschliche Denken zu neuen Thaten stärken. Und während so die Philologie unseres Jahrhunderts für die Zukunft arbeitete, hob sie verschüttete Schätze der Vergangenheit, die fortan zu den kostbarsten Gütern der Menschheit gehören. Man braucht nicht Sympathie für den pseudobuddhistischen Sport halbgebildeter Müssiggänger zu em- pfinden, um klar zu erkennen, dass die Entdeckung der altindischen Erkenntnis-Theologie eine der grössten Thaten dieses Jahrhunderts ist, bestimmt, eine nachhaltige Wirkung auf ferne Zeiten auszuüben. Dazu kam die Kenntnis altgermanischer Dichtung und Mythologie. Jede Kräftigung der echten Eigenart ist ein wahrer Rettungsanker. Die glänzende Reihe der Germanisten und ebenso die der Indologen hat, halb unbewusst, eine grosse That im rechten Augenblick voll- bracht; jetzt besitzen auch wir unsere »heiligen Bücher«, und was sie lehren, ist schöner und edler als was das alte Testament berichtet. Der Glaube an unsere Kraft, den wir aus der Geschichte von 19 Jahrhunderten schöpfen, hat eine unermesslich wertvolle Bereiche- rung durch diese Entdeckung unserer selbständigen Fähigkeit zu vielem Höchsten erfahren, in Bezug auf welches wir bisher in einer Art Lehnverhältnis standen: namentlich ist die Fabel von der beson- deren Befähigung der Juden für die Religion endgültig vernichtet; hierfür werden spätere Geschlechter unserem Jahrhundert dankbar sein. Diese Thatsache ist eine der grossen, weitestreichenden Erfolge unserer Zeit, daher hätte die Benennung Jahrhundert der Philologie eine ge- wisse Berechtigung. Hiermit haben wir nun auch eine andere der charakteristischen Erscheinungen unseres Jahrhunderts erwähnt. Ranke hatte vorausgesagt, unser Jahrhundert werde ein Jahrhundert der Nationalität sein; das war ein zutreffendes politisches Prognostikon, denn niemals zuvor haben sich die Nationen so sehr als fest abge- schlossene, feindliche Einheiten einander gegenüber gestanden. Es ist aber auch ein Jahrhundert der Rassen geworden, und zwar ist das zunächst eine notwendige und unmittelbare Folge der Wissen- schaft und des wissenschaftlichen Denkens. Ich habe schon zu Be- <TEI> <text> <body> <div n="1"> <p><pb facs="#f0052" n="29"/><fw place="top" type="header">Allgemeine Einleitung.</fw><lb/><hi rendition="#g">logie</hi> spräche. Gegen Schluss des vorigen Jahrhunderts, von solchen<lb/> Männern wie Jones, Anquetil du Perron, den Gebrüdern Schlegel<lb/> und Grimm, Karadžič und anderen zuerst ins Leben gerufen, hat die<lb/> vergleichende Philologie im Laufe eines einzigen Jahrhunderts eine<lb/> unvergleichliche Bahn durchschritten. Den Organismus und die Ge-<lb/> schichte der Sprache ergründen, heisst nicht allein Licht auf Anthro-<lb/> pologie, Ethnologie und Geschichte werfen, sondern geradezu das<lb/> menschliche Denken zu neuen Thaten stärken. 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Allgemeine Einleitung.
logie spräche. Gegen Schluss des vorigen Jahrhunderts, von solchen
Männern wie Jones, Anquetil du Perron, den Gebrüdern Schlegel
und Grimm, Karadžič und anderen zuerst ins Leben gerufen, hat die
vergleichende Philologie im Laufe eines einzigen Jahrhunderts eine
unvergleichliche Bahn durchschritten. Den Organismus und die Ge-
schichte der Sprache ergründen, heisst nicht allein Licht auf Anthro-
pologie, Ethnologie und Geschichte werfen, sondern geradezu das
menschliche Denken zu neuen Thaten stärken. Und während so
die Philologie unseres Jahrhunderts für die Zukunft arbeitete, hob sie
verschüttete Schätze der Vergangenheit, die fortan zu den kostbarsten
Gütern der Menschheit gehören. Man braucht nicht Sympathie für
den pseudobuddhistischen Sport halbgebildeter Müssiggänger zu em-
pfinden, um klar zu erkennen, dass die Entdeckung der altindischen
Erkenntnis-Theologie eine der grössten Thaten dieses Jahrhunderts ist,
bestimmt, eine nachhaltige Wirkung auf ferne Zeiten auszuüben. Dazu
kam die Kenntnis altgermanischer Dichtung und Mythologie. Jede
Kräftigung der echten Eigenart ist ein wahrer Rettungsanker. Die
glänzende Reihe der Germanisten und ebenso die der Indologen
hat, halb unbewusst, eine grosse That im rechten Augenblick voll-
bracht; jetzt besitzen auch wir unsere »heiligen Bücher«, und was
sie lehren, ist schöner und edler als was das alte Testament berichtet.
Der Glaube an unsere Kraft, den wir aus der Geschichte von
19 Jahrhunderten schöpfen, hat eine unermesslich wertvolle Bereiche-
rung durch diese Entdeckung unserer selbständigen Fähigkeit zu
vielem Höchsten erfahren, in Bezug auf welches wir bisher in einer
Art Lehnverhältnis standen: namentlich ist die Fabel von der beson-
deren Befähigung der Juden für die Religion endgültig vernichtet;
hierfür werden spätere Geschlechter unserem Jahrhundert dankbar sein.
Diese Thatsache ist eine der grossen, weitestreichenden Erfolge unserer
Zeit, daher hätte die Benennung Jahrhundert der Philologie eine ge-
wisse Berechtigung. Hiermit haben wir nun auch eine andere der
charakteristischen Erscheinungen unseres Jahrhunderts erwähnt. Ranke
hatte vorausgesagt, unser Jahrhundert werde ein Jahrhundert der
Nationalität sein; das war ein zutreffendes politisches Prognostikon,
denn niemals zuvor haben sich die Nationen so sehr als fest abge-
schlossene, feindliche Einheiten einander gegenüber gestanden. Es ist
aber auch ein Jahrhundert der Rassen geworden, und zwar ist
das zunächst eine notwendige und unmittelbare Folge der Wissen-
schaft und des wissenschaftlichen Denkens. Ich habe schon zu Be-
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