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Chamberlain, Houston Stewart: Die Grundlagen des Neunzehnten Jahrhunderts. Bd. 1. München 1899.

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Die Erben.
habe! "Die eigentlichen Kulturträger und Bahnbrecher in Deutschland
waren im Mittelalter das süddeutsche Volk, das keltisch gemischt ist;
in der neueren Geschichte die slavisch gemischten Norddeutschen."1)
Diese Ergebnisse sind zugleich ein Beweis für die enge verwandt-
schaftliche Zusammengehörigkeit der Nordeuropäer, jenes Menschen-
typus, den man mit Lapouge-Linnaeus den Homo europaeus nennen
kann, noch besser und einfacher aber den Germanen. Jetzt, und
jetzt erst, lernen wir in Bezug auf uns selber zwischen Kreuzung und
Kreuzung unterscheiden. Durch Kreuzungen untereinander erleiden
Germanen an ihrem Wesen keinen Eintrag, im Gegenteil; dagegen
richten sie es durch Kreuzungen mit Anderen nach und nach zu Grunde.

Das
blonde Haar.

Leider ist diese Beschränkung aber, so klar in der allgemeinen
Definition, doch sehr schwer im Einzelnen durchzuführen. Denn man
wird fragen: an welchen physischen Merkmalen erkennt man den
Germanen? Ist z. B. wirklich die Blondheit ein charakteristisches
Merkmal aller Germanen? Es scheint dies ein Grunddogma zu bilden,
nicht allein für die alten Historiker, sondern auch für die neuesten
Anthropologen, und doch sind mir Thatsachen aufgefallen, die es mich
stark bezweifeln lassen. Zunächst eine Thatsache, über die man natürlich
bei Herrn Virchow und seinen Kollegen nicht die geringste Auskunft
findet, da das politische Vorurteil ihnen den Blick trübt: ich meine
die Häufigkeit der dunklen Farbe bei den Mitgliedern des echtesten
altgermanischen Adels. Sie ist namentlich in England auffallend.
Hochgewachsene, schlanke Körper, lange Schädel, lange Gesichter, der
bekannte Moltketypus mit der grossen Nase und dem scharfgeschnittenen
Profil (den auch Henke als den charakteristisch "rein germanischen"
betrachtet), Stammbäume, die bis in die Normannenzeit zurückreichen,
kurz, unzweifelhaft echte, physisch und historisch bezeugte Germanen --
aber schwarzes Haar. Bei Wellington fallen Eckermann die braunen
Augen auf.2) In Deutschland habe ich dasselbe in verschiedenen
Familien altadeliger Herkunft bemerkt. Es ist mir ausserdem aufge-
fallen, dass Dichter aus dem äussersten Norden Deutschlands das dunkle
Haar nicht allein beim Adel, sondern auch als für das Volk bezeichnend
ziemlich oft anführen; so haben z. B. in Theodor Storm's Erzählung
Hans und Heinz Kirch, jene echten, trotzigen germanischen Seefahrer,
Hans und Heinz, beide "schwarzbraune Locken", und auch von einer

1) Politik I, 279.
2) Gespräche mit Goethe, 16. 2. 1826.

Die Erben.
habe! »Die eigentlichen Kulturträger und Bahnbrecher in Deutschland
waren im Mittelalter das süddeutsche Volk, das keltisch gemischt ist;
in der neueren Geschichte die slavisch gemischten Norddeutschen.«1)
Diese Ergebnisse sind zugleich ein Beweis für die enge verwandt-
schaftliche Zusammengehörigkeit der Nordeuropäer, jenes Menschen-
typus, den man mit Lapouge-Linnaeus den Homo europaeus nennen
kann, noch besser und einfacher aber den Germanen. Jetzt, und
jetzt erst, lernen wir in Bezug auf uns selber zwischen Kreuzung und
Kreuzung unterscheiden. Durch Kreuzungen untereinander erleiden
Germanen an ihrem Wesen keinen Eintrag, im Gegenteil; dagegen
richten sie es durch Kreuzungen mit Anderen nach und nach zu Grunde.

Das
blonde Haar.

Leider ist diese Beschränkung aber, so klar in der allgemeinen
Definition, doch sehr schwer im Einzelnen durchzuführen. Denn man
wird fragen: an welchen physischen Merkmalen erkennt man den
Germanen? Ist z. B. wirklich die Blondheit ein charakteristisches
Merkmal aller Germanen? Es scheint dies ein Grunddogma zu bilden,
nicht allein für die alten Historiker, sondern auch für die neuesten
Anthropologen, und doch sind mir Thatsachen aufgefallen, die es mich
stark bezweifeln lassen. Zunächst eine Thatsache, über die man natürlich
bei Herrn Virchow und seinen Kollegen nicht die geringste Auskunft
findet, da das politische Vorurteil ihnen den Blick trübt: ich meine
die Häufigkeit der dunklen Farbe bei den Mitgliedern des echtesten
altgermanischen Adels. Sie ist namentlich in England auffallend.
Hochgewachsene, schlanke Körper, lange Schädel, lange Gesichter, der
bekannte Moltketypus mit der grossen Nase und dem scharfgeschnittenen
Profil (den auch Henke als den charakteristisch »rein germanischen«
betrachtet), Stammbäume, die bis in die Normannenzeit zurückreichen,
kurz, unzweifelhaft echte, physisch und historisch bezeugte Germanen —
aber schwarzes Haar. Bei Wellington fallen Eckermann die braunen
Augen auf.2) In Deutschland habe ich dasselbe in verschiedenen
Familien altadeliger Herkunft bemerkt. Es ist mir ausserdem aufge-
fallen, dass Dichter aus dem äussersten Norden Deutschlands das dunkle
Haar nicht allein beim Adel, sondern auch als für das Volk bezeichnend
ziemlich oft anführen; so haben z. B. in Theodor Storm’s Erzählung
Hans und Heinz Kirch, jene echten, trotzigen germanischen Seefahrer,
Hans und Heinz, beide »schwarzbraune Locken«, und auch von einer

1) Politik I, 279.
2) Gespräche mit Goethe, 16. 2. 1826.
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[486/0509] Die Erben. habe! »Die eigentlichen Kulturträger und Bahnbrecher in Deutschland waren im Mittelalter das süddeutsche Volk, das keltisch gemischt ist; in der neueren Geschichte die slavisch gemischten Norddeutschen.« 1) Diese Ergebnisse sind zugleich ein Beweis für die enge verwandt- schaftliche Zusammengehörigkeit der Nordeuropäer, jenes Menschen- typus, den man mit Lapouge-Linnaeus den Homo europaeus nennen kann, noch besser und einfacher aber den Germanen. Jetzt, und jetzt erst, lernen wir in Bezug auf uns selber zwischen Kreuzung und Kreuzung unterscheiden. Durch Kreuzungen untereinander erleiden Germanen an ihrem Wesen keinen Eintrag, im Gegenteil; dagegen richten sie es durch Kreuzungen mit Anderen nach und nach zu Grunde. Leider ist diese Beschränkung aber, so klar in der allgemeinen Definition, doch sehr schwer im Einzelnen durchzuführen. Denn man wird fragen: an welchen physischen Merkmalen erkennt man den Germanen? Ist z. B. wirklich die Blondheit ein charakteristisches Merkmal aller Germanen? Es scheint dies ein Grunddogma zu bilden, nicht allein für die alten Historiker, sondern auch für die neuesten Anthropologen, und doch sind mir Thatsachen aufgefallen, die es mich stark bezweifeln lassen. Zunächst eine Thatsache, über die man natürlich bei Herrn Virchow und seinen Kollegen nicht die geringste Auskunft findet, da das politische Vorurteil ihnen den Blick trübt: ich meine die Häufigkeit der dunklen Farbe bei den Mitgliedern des echtesten altgermanischen Adels. Sie ist namentlich in England auffallend. Hochgewachsene, schlanke Körper, lange Schädel, lange Gesichter, der bekannte Moltketypus mit der grossen Nase und dem scharfgeschnittenen Profil (den auch Henke als den charakteristisch »rein germanischen« betrachtet), Stammbäume, die bis in die Normannenzeit zurückreichen, kurz, unzweifelhaft echte, physisch und historisch bezeugte Germanen — aber schwarzes Haar. Bei Wellington fallen Eckermann die braunen Augen auf. 2) In Deutschland habe ich dasselbe in verschiedenen Familien altadeliger Herkunft bemerkt. Es ist mir ausserdem aufge- fallen, dass Dichter aus dem äussersten Norden Deutschlands das dunkle Haar nicht allein beim Adel, sondern auch als für das Volk bezeichnend ziemlich oft anführen; so haben z. B. in Theodor Storm’s Erzählung Hans und Heinz Kirch, jene echten, trotzigen germanischen Seefahrer, Hans und Heinz, beide »schwarzbraune Locken«, und auch von einer 1) Politik I, 279. 2) Gespräche mit Goethe, 16. 2. 1826.

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Zitationshilfe: Chamberlain, Houston Stewart: Die Grundlagen des Neunzehnten Jahrhunderts. Bd. 1. München 1899, S. 486. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/chamberlain_grundlagen01_1899/509>, abgerufen am 24.11.2024.