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Chamberlain, Houston Stewart: Die Grundlagen des Neunzehnten Jahrhunderts. Bd. 1. München 1899.

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Die Erben.
war. Wie es diesem edlen Teil erging, wie er von der Erdoberfläche
vertilgt wurde, ist bekannt: der Papst und die römischen Bischöfe
hatten das internationale Söldnerheer bezahlt, von dem er den Todes-
stoss am Weissen Berge empfing.1) Es handelt sich auch nicht etwa
um eine tschechische Idiosynkrasie; die anderen katholischen Slaven
verhielten sich genau ebenso. So z. B. wurden auf der ersten
polnischen Druckpresse die Kirchenlieder Wyclif's gedruckt; auf das
Tridentiner Konzil entsandte Polen so ausgesprochen protestantisch
gesinnte Bischöfe, dass der Papst sie beim König als unbedingte
Häretiker verklagte. Doch der polnische Reichstag liess sich auch
hierdurch nicht einschüchtern: er forderte vom König eine voll-
kommene Reorganisation der polnischen Kirche unter einziger
Zugrundelegung der Heiligen Schriften!
Zugleich forderte
er -- mirabile dictu! -- die "Gleichberechtigung aller Sekten". Der
Adel Polens und die gesamte geistige Aristokratie waren Protestanten.
Doch die bald eingetretenen politischen Wirrnisse benutzten die Jesuiten,
von Österreich und Frankreich unterstützt, um festen Fuss im Lande
zu fassen; "blutig und schnell", wie Canisius es verlangt hatte, ging
es freilich nicht, doch immer härter wurden die Protestanten ver-
folgt, zuletzt verbannt; mit der Religion sank auch die polnische
Nation dahin.2)

1) Döllinger: Das Haus Wittelsbach. Akad. Vorträge I, 38.
2) Man lese das höchst interessante Werk des Grafen Valerian Krasinski:
Geschichte des Ursprungs, Fortschritts und Verfalls der Reformation in Polen, Leipzig,
1841. Nirgends vielleicht findet man ein so vollständiges, reiches, überzeugendes,
abgerundetes Material wie in Polen, um zu sehen, wie religiöse Unduldsamkeit
und namentlich der Einfluss der Jesuiten ein blühendes Land, auf jedem geistigen
und industriellen Gebiet einer glänzenden Zukunft entgegenreifend, vollständig zu
Grunde richtet. Wie die Polen schon lange vor Luther zu Rom standen, geht
am besten aus der Rede hervor, die Johann Ostrorog in der Ständeversammlung
des Jahres 1459 hielt, in welcher er u. a. ausführte: "Es ist nichts dagegen ein-
zuwenden, dieses Königreich dem Papste als ein katholisches Land zu empfehlen,
es ziemt sich aber nicht, ihm einen unbeschränkten Gehorsam zu verheissen. Der
König von Polen ist Niemand unterworfen und nur Gott steht über ihm; er ist
nicht Roms Unterthan -- -- u. s. w.;" dann geisselt der Redner die schamlose
Simonie des päpstlichen Stuhles, den Ablasskram, die Geldgier der Priester und
Mönche (a. a. O., S. 36 fg.). Diese ganze polnische Bewegung ist, wie die böhmische,
durch einen frischen Zug des unabhängigen Nationalitätenbewusstseins, bei gleich-
zeitiger Geringschätzung dogmatischer Fragen (die Polen waren nicht einmal
Utraquisten) ausgezeichnet; und (ebenfalls wie in Böhmen) geborene Deutsche
sind es, die für Rom und gegen religiöse und politische Freiheit streiten und den

Die Erben.
war. Wie es diesem edlen Teil erging, wie er von der Erdoberfläche
vertilgt wurde, ist bekannt: der Papst und die römischen Bischöfe
hatten das internationale Söldnerheer bezahlt, von dem er den Todes-
stoss am Weissen Berge empfing.1) Es handelt sich auch nicht etwa
um eine tschechische Idiosynkrasie; die anderen katholischen Slaven
verhielten sich genau ebenso. So z. B. wurden auf der ersten
polnischen Druckpresse die Kirchenlieder Wyclif’s gedruckt; auf das
Tridentiner Konzil entsandte Polen so ausgesprochen protestantisch
gesinnte Bischöfe, dass der Papst sie beim König als unbedingte
Häretiker verklagte. Doch der polnische Reichstag liess sich auch
hierdurch nicht einschüchtern: er forderte vom König eine voll-
kommene Reorganisation der polnischen Kirche unter einziger
Zugrundelegung der Heiligen Schriften!
Zugleich forderte
er — mirabile dictu! — die »Gleichberechtigung aller Sekten«. Der
Adel Polens und die gesamte geistige Aristokratie waren Protestanten.
Doch die bald eingetretenen politischen Wirrnisse benutzten die Jesuiten,
von Österreich und Frankreich unterstützt, um festen Fuss im Lande
zu fassen; »blutig und schnell«, wie Canisius es verlangt hatte, ging
es freilich nicht, doch immer härter wurden die Protestanten ver-
folgt, zuletzt verbannt; mit der Religion sank auch die polnische
Nation dahin.2)

1) Döllinger: Das Haus Wittelsbach. Akad. Vorträge I, 38.
2) Man lese das höchst interessante Werk des Grafen Valerian Krasinski:
Geschichte des Ursprungs, Fortschritts und Verfalls der Reformation in Polen, Leipzig,
1841. Nirgends vielleicht findet man ein so vollständiges, reiches, überzeugendes,
abgerundetes Material wie in Polen, um zu sehen, wie religiöse Unduldsamkeit
und namentlich der Einfluss der Jesuiten ein blühendes Land, auf jedem geistigen
und industriellen Gebiet einer glänzenden Zukunft entgegenreifend, vollständig zu
Grunde richtet. Wie die Polen schon lange vor Luther zu Rom standen, geht
am besten aus der Rede hervor, die Johann Ostrorog in der Ständeversammlung
des Jahres 1459 hielt, in welcher er u. a. ausführte: »Es ist nichts dagegen ein-
zuwenden, dieses Königreich dem Papste als ein katholisches Land zu empfehlen,
es ziemt sich aber nicht, ihm einen unbeschränkten Gehorsam zu verheissen. Der
König von Polen ist Niemand unterworfen und nur Gott steht über ihm; er ist
nicht Roms Unterthan — — u. s. w.;« dann geisselt der Redner die schamlose
Simonie des päpstlichen Stuhles, den Ablasskram, die Geldgier der Priester und
Mönche (a. a. O., S. 36 fg.). Diese ganze polnische Bewegung ist, wie die böhmische,
durch einen frischen Zug des unabhängigen Nationalitätenbewusstseins, bei gleich-
zeitiger Geringschätzung dogmatischer Fragen (die Polen waren nicht einmal
Utraquisten) ausgezeichnet; und (ebenfalls wie in Böhmen) geborene Deutsche
sind es, die für Rom und gegen religiöse und politische Freiheit streiten und den
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[480/0503] Die Erben. war. Wie es diesem edlen Teil erging, wie er von der Erdoberfläche vertilgt wurde, ist bekannt: der Papst und die römischen Bischöfe hatten das internationale Söldnerheer bezahlt, von dem er den Todes- stoss am Weissen Berge empfing. 1) Es handelt sich auch nicht etwa um eine tschechische Idiosynkrasie; die anderen katholischen Slaven verhielten sich genau ebenso. So z. B. wurden auf der ersten polnischen Druckpresse die Kirchenlieder Wyclif’s gedruckt; auf das Tridentiner Konzil entsandte Polen so ausgesprochen protestantisch gesinnte Bischöfe, dass der Papst sie beim König als unbedingte Häretiker verklagte. Doch der polnische Reichstag liess sich auch hierdurch nicht einschüchtern: er forderte vom König eine voll- kommene Reorganisation der polnischen Kirche unter einziger Zugrundelegung der Heiligen Schriften! Zugleich forderte er — mirabile dictu! — die »Gleichberechtigung aller Sekten«. Der Adel Polens und die gesamte geistige Aristokratie waren Protestanten. Doch die bald eingetretenen politischen Wirrnisse benutzten die Jesuiten, von Österreich und Frankreich unterstützt, um festen Fuss im Lande zu fassen; »blutig und schnell«, wie Canisius es verlangt hatte, ging es freilich nicht, doch immer härter wurden die Protestanten ver- folgt, zuletzt verbannt; mit der Religion sank auch die polnische Nation dahin. 2) 1) Döllinger: Das Haus Wittelsbach. Akad. Vorträge I, 38. 2) Man lese das höchst interessante Werk des Grafen Valerian Krasinski: Geschichte des Ursprungs, Fortschritts und Verfalls der Reformation in Polen, Leipzig, 1841. Nirgends vielleicht findet man ein so vollständiges, reiches, überzeugendes, abgerundetes Material wie in Polen, um zu sehen, wie religiöse Unduldsamkeit und namentlich der Einfluss der Jesuiten ein blühendes Land, auf jedem geistigen und industriellen Gebiet einer glänzenden Zukunft entgegenreifend, vollständig zu Grunde richtet. Wie die Polen schon lange vor Luther zu Rom standen, geht am besten aus der Rede hervor, die Johann Ostrorog in der Ständeversammlung des Jahres 1459 hielt, in welcher er u. a. ausführte: »Es ist nichts dagegen ein- zuwenden, dieses Königreich dem Papste als ein katholisches Land zu empfehlen, es ziemt sich aber nicht, ihm einen unbeschränkten Gehorsam zu verheissen. Der König von Polen ist Niemand unterworfen und nur Gott steht über ihm; er ist nicht Roms Unterthan — — u. s. w.;« dann geisselt der Redner die schamlose Simonie des päpstlichen Stuhles, den Ablasskram, die Geldgier der Priester und Mönche (a. a. O., S. 36 fg.). Diese ganze polnische Bewegung ist, wie die böhmische, durch einen frischen Zug des unabhängigen Nationalitätenbewusstseins, bei gleich- zeitiger Geringschätzung dogmatischer Fragen (die Polen waren nicht einmal Utraquisten) ausgezeichnet; und (ebenfalls wie in Böhmen) geborene Deutsche sind es, die für Rom und gegen religiöse und politische Freiheit streiten und den

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Zitationshilfe: Chamberlain, Houston Stewart: Die Grundlagen des Neunzehnten Jahrhunderts. Bd. 1. München 1899, S. 480. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/chamberlain_grundlagen01_1899/503>, abgerufen am 23.11.2024.