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Chamberlain, Houston Stewart: Die Grundlagen des Neunzehnten Jahrhunderts. Bd. 1. München 1899.

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Der Eintritt der Germanen in die Weltgeschichte.

Sprechen wir zunächst vom Kelten.

Durch vorwiegend philologische Erwägungen dazu verleitet, daDer
Keltogermane.

die keltischen Sprachen angeblich mit den italischen und griechischen
näher als mit den germanischen verwandt sein sollen, sind wir daran
gewöhnt worden, das so entscheidende physische Moment und das noch
entscheidendere moralische hier zu übersehen.1) Wir schlagen den
Kelten zu den Gräcoitalern, während er doch offenbar mit ihnen nur
entfernt, mit den Germanen dagegen innig nahe verwandt ist. Mag
der gänzlich romanisierte Gallier sich tief von seinem Überwinder, dem
Burgunder oder Franken, unterschieden haben, jener ursprüngliche Er-
oberer Roms, ja, auch der spätere, seit Jahrhunderten schon in Nord-
italien ansässige Gallier, den Florus noch immer als einen "Über-
menschen" schildert (corpora plus quam humana erant, II, 4) gleicht
offenbar physisch dem Germanen; doch nicht allein physisch, denn
auch seine Wanderlust, seine Freude am Krieg, die ihn (wie später
die Goten) bis nach Asien in den Dienst jedes Herrn führt, der ihm
die Gelegenheit giebt, sich zu schlagen, seine Vorliebe für Gesang -- -- --
das Alles sind wesentliche Züge dieser selben Verwandtschaft, während
man verlegen wäre, die italo-griechischen Berührungspunkte nachzu-
weisen. Mit Kelten vermengt, von Kelten geführt, treten die Ger-
manen im engeren, taciteischen Sinne des Wortes zum ersten Mal in
die Weltgeschichte ein;2) das Wort "Germane" ist ein keltisches!
Begegnen wir nicht heute noch jenen hohen Gestalten mit blauen
Augen und rötlichem Haar in Nordwestschottland, in Wales u. s. w.,
und sind sie nicht einem Teutonen ähnlicher als einem Südeuropäer?
sehen wir nicht heute noch die Bretonen als tollkühne Seefahrer den

"Germane", welche sich im ganzen ferneren Verlauf des Werkes Schritt für Schritt
bewähren wird; erst hierdurch wird die Geschichte der letzten zwei Jahrtausende,
sowie namentlich die unseres Jahrhunderts klar.
1) Schleicher z. B. vereint in seinem berühmten, überall nachgedruckten
Stammbaum der indogermanischen Sprachen (vergl. Die deutsche Sprache, 1861,
S. 82) die "italo-keltischen Sprachen" zu einer Gruppe, die sich schon in unvor-
denklichen Zeiten von der "nordeuropäischen Grundsprache" getrennt hätte. Zwar
ist dieser Stammbaum für die wissenschaftliche Philologie (wenn ich recht unter-
richtet bin) schon längst den Weg alles Irdischen gegangen, doch wirkt er dank
seiner fernhin reichenden Popularisierung noch nach; auch solche abweichende
Auffassungen wie die bekannte "Wellentheorie" Johannes Schmidt's, fahren fort,
den Kelten so darzustellen, als wäre er von allen Indoeuropäern dem Germanen
am entferntesten.
2) Bei dem Zug der Kimbern und Teutonen, 114 Jahre vor Christus.
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Der Eintritt der Germanen in die Weltgeschichte.

Sprechen wir zunächst vom Kelten.

Durch vorwiegend philologische Erwägungen dazu verleitet, daDer
Keltogermane.

die keltischen Sprachen angeblich mit den italischen und griechischen
näher als mit den germanischen verwandt sein sollen, sind wir daran
gewöhnt worden, das so entscheidende physische Moment und das noch
entscheidendere moralische hier zu übersehen.1) Wir schlagen den
Kelten zu den Gräcoitalern, während er doch offenbar mit ihnen nur
entfernt, mit den Germanen dagegen innig nahe verwandt ist. Mag
der gänzlich romanisierte Gallier sich tief von seinem Überwinder, dem
Burgunder oder Franken, unterschieden haben, jener ursprüngliche Er-
oberer Roms, ja, auch der spätere, seit Jahrhunderten schon in Nord-
italien ansässige Gallier, den Florus noch immer als einen »Über-
menschen« schildert (corpora plus quam humana erant, II, 4) gleicht
offenbar physisch dem Germanen; doch nicht allein physisch, denn
auch seine Wanderlust, seine Freude am Krieg, die ihn (wie später
die Goten) bis nach Asien in den Dienst jedes Herrn führt, der ihm
die Gelegenheit giebt, sich zu schlagen, seine Vorliebe für Gesang — — —
das Alles sind wesentliche Züge dieser selben Verwandtschaft, während
man verlegen wäre, die italo-griechischen Berührungspunkte nachzu-
weisen. Mit Kelten vermengt, von Kelten geführt, treten die Ger-
manen im engeren, taciteischen Sinne des Wortes zum ersten Mal in
die Weltgeschichte ein;2) das Wort »Germane« ist ein keltisches!
Begegnen wir nicht heute noch jenen hohen Gestalten mit blauen
Augen und rötlichem Haar in Nordwestschottland, in Wales u. s. w.,
und sind sie nicht einem Teutonen ähnlicher als einem Südeuropäer?
sehen wir nicht heute noch die Bretonen als tollkühne Seefahrer den

»Germane«, welche sich im ganzen ferneren Verlauf des Werkes Schritt für Schritt
bewähren wird; erst hierdurch wird die Geschichte der letzten zwei Jahrtausende,
sowie namentlich die unseres Jahrhunderts klar.
1) Schleicher z. B. vereint in seinem berühmten, überall nachgedruckten
Stammbaum der indogermanischen Sprachen (vergl. Die deutsche Sprache, 1861,
S. 82) die »italo-keltischen Sprachen« zu einer Gruppe, die sich schon in unvor-
denklichen Zeiten von der »nordeuropäischen Grundsprache« getrennt hätte. Zwar
ist dieser Stammbaum für die wissenschaftliche Philologie (wenn ich recht unter-
richtet bin) schon längst den Weg alles Irdischen gegangen, doch wirkt er dank
seiner fernhin reichenden Popularisierung noch nach; auch solche abweichende
Auffassungen wie die bekannte »Wellentheorie« Johannes Schmidt’s, fahren fort,
den Kelten so darzustellen, als wäre er von allen Indoeuropäern dem Germanen
am entferntesten.
2) Bei dem Zug der Kimbern und Teutonen, 114 Jahre vor Christus.
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[467/0490] Der Eintritt der Germanen in die Weltgeschichte. Sprechen wir zunächst vom Kelten. Durch vorwiegend philologische Erwägungen dazu verleitet, da die keltischen Sprachen angeblich mit den italischen und griechischen näher als mit den germanischen verwandt sein sollen, sind wir daran gewöhnt worden, das so entscheidende physische Moment und das noch entscheidendere moralische hier zu übersehen. 1) Wir schlagen den Kelten zu den Gräcoitalern, während er doch offenbar mit ihnen nur entfernt, mit den Germanen dagegen innig nahe verwandt ist. Mag der gänzlich romanisierte Gallier sich tief von seinem Überwinder, dem Burgunder oder Franken, unterschieden haben, jener ursprüngliche Er- oberer Roms, ja, auch der spätere, seit Jahrhunderten schon in Nord- italien ansässige Gallier, den Florus noch immer als einen »Über- menschen« schildert (corpora plus quam humana erant, II, 4) gleicht offenbar physisch dem Germanen; doch nicht allein physisch, denn auch seine Wanderlust, seine Freude am Krieg, die ihn (wie später die Goten) bis nach Asien in den Dienst jedes Herrn führt, der ihm die Gelegenheit giebt, sich zu schlagen, seine Vorliebe für Gesang — — — das Alles sind wesentliche Züge dieser selben Verwandtschaft, während man verlegen wäre, die italo-griechischen Berührungspunkte nachzu- weisen. Mit Kelten vermengt, von Kelten geführt, treten die Ger- manen im engeren, taciteischen Sinne des Wortes zum ersten Mal in die Weltgeschichte ein; 2) das Wort »Germane« ist ein keltisches! Begegnen wir nicht heute noch jenen hohen Gestalten mit blauen Augen und rötlichem Haar in Nordwestschottland, in Wales u. s. w., und sind sie nicht einem Teutonen ähnlicher als einem Südeuropäer? sehen wir nicht heute noch die Bretonen als tollkühne Seefahrer den 2) Der Keltogermane. 1) Schleicher z. B. vereint in seinem berühmten, überall nachgedruckten Stammbaum der indogermanischen Sprachen (vergl. Die deutsche Sprache, 1861, S. 82) die »italo-keltischen Sprachen« zu einer Gruppe, die sich schon in unvor- denklichen Zeiten von der »nordeuropäischen Grundsprache« getrennt hätte. Zwar ist dieser Stammbaum für die wissenschaftliche Philologie (wenn ich recht unter- richtet bin) schon längst den Weg alles Irdischen gegangen, doch wirkt er dank seiner fernhin reichenden Popularisierung noch nach; auch solche abweichende Auffassungen wie die bekannte »Wellentheorie« Johannes Schmidt’s, fahren fort, den Kelten so darzustellen, als wäre er von allen Indoeuropäern dem Germanen am entferntesten. 2) Bei dem Zug der Kimbern und Teutonen, 114 Jahre vor Christus. 2) »Germane«, welche sich im ganzen ferneren Verlauf des Werkes Schritt für Schritt bewähren wird; erst hierdurch wird die Geschichte der letzten zwei Jahrtausende, sowie namentlich die unseres Jahrhunderts klar. 30*

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Zitationshilfe: Chamberlain, Houston Stewart: Die Grundlagen des Neunzehnten Jahrhunderts. Bd. 1. München 1899, S. 467. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/chamberlain_grundlagen01_1899/490>, abgerufen am 13.09.2024.