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Chamberlain, Houston Stewart: Die Grundlagen des Neunzehnten Jahrhunderts. Bd. 1. München 1899.

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Der Eintritt der Juden in die abendländische Geschichte.
führliche "Gesetz". Montefiore behauptet auch, die Befolgung des Ge-
setzes sei bald so sehr der vorherrschende Gedanke des Juden geworden,
dass sie für ihn das summum bonum, die beste, edelste und süsseste Be-
schäftigung der Welt ausmachte.1) Während Gedächtnis und Geschmack
auf diese Art mit Beschlag belegt wurden, erging es dem Urteilsver-
mögen nicht besser, es wurde vom Gesetz einfach geknickt: eine arme
Frau, die am Sabbat trockenes Holz fiir ihre Feuerung auflas, beging
durch ihre Übertretung des Gesetzes ein genau ebenso grosses Verbrechen
als hätte sie die Ehe gebrochen.2) -- -- -- Ich sage also, die Männer,
die das Judentum gründeten, wurden nicht von bösen, eigensüchtigen
Absichten geleitet, sondern von einer dämonischen Kraft, wie sie nur
ehrlichen Fanatikern eigen sein kann, denn das furchtbare Werk, welches
sie vollbrachten, ist in jedem Punkte vollkommen.

Das ewige Denkmal dieser Vollkommenheit ist ihre Thora, dieDie Thora.
Bücher des Alten Testamentes. Hier gestaltet Geschichte wiederum
Geschichte! Welches wissenschaftliche Werk könnte jemals hoffen,
eine ähnliche Wirkung auf das Leben der Menschheit auszuüben?
Man hat vielfach behauptet, den Juden fehle es an Gestaltungskraft;
die Betrachtung dieses merkwürdigen Buches muss uns eines Besseren
belehren; mindestens wurde ihnen in der höchsten Not diese Kraft
zu Teil und schufen sie ein wahres Kunstwerk, namentlich darin ein
Werk der Kunst, dass in dieser Weltgeschichte, welche mit der Er-
schaffung des Himmels und der Erde beginnt, um mit dem zukünf-
tigen Reich Gottes auf Erden zu enden, alle perspektivischen Ver-
hältnisse die unvergleichliche Hervorhebung des einen einzigen Mittel-
punktes -- des jüdischen Volkes -- bewirken. Und worin ruht die
Kraft dieses Volkes, eine Lebenskraft, die jedem Schicksal bisher sieg-
reich getrotzt hat, wo, wenn nicht in diesem Buche? Wir haben

1) Montefiore: a. a. O., S. 530. "Die ungeheure Anzahl zeremonieller
Vorschriften ist das hohe Vorrecht Israels", sagt der Talmud (Montefiore S. 535),
und in den Klageliedern (fälschlich Jeremia zugeschrieben) lesen wir: "Es ist ein
köstliches Ding einem Manne, dass er das Joch in seiner Jugend trage -- -- --
dass er seinen Mund in den Staub stecke und der Hoffnung erwarte" (III, 27, 29).
Um die entgegengesetzte Auffassung kennen zu lernen, lese man die schönen Be-
merkungen in Immanuel Kant's: Anthropologie § 10a über religiöse Verpflichtungen,
worin der grosse Denker die Meinung ausspricht, nichts sei für einen vernünftigen
Menschen schwerer, "als Gebote einer geschäftigen Nichtsthuerei, dergleichen die
waren, welche das Judentum begründete".
2) Nach dem Gesetz (siehe Num. XV, 32--36) muss sie mit dem Tode bestraft
werden!

Der Eintritt der Juden in die abendländische Geschichte.
führliche »Gesetz«. Montefiore behauptet auch, die Befolgung des Ge-
setzes sei bald so sehr der vorherrschende Gedanke des Juden geworden,
dass sie für ihn das summum bonum, die beste, edelste und süsseste Be-
schäftigung der Welt ausmachte.1) Während Gedächtnis und Geschmack
auf diese Art mit Beschlag belegt wurden, erging es dem Urteilsver-
mögen nicht besser, es wurde vom Gesetz einfach geknickt: eine arme
Frau, die am Sabbat trockenes Holz fiir ihre Feuerung auflas, beging
durch ihre Übertretung des Gesetzes ein genau ebenso grosses Verbrechen
als hätte sie die Ehe gebrochen.2) — — — Ich sage also, die Männer,
die das Judentum gründeten, wurden nicht von bösen, eigensüchtigen
Absichten geleitet, sondern von einer dämonischen Kraft, wie sie nur
ehrlichen Fanatikern eigen sein kann, denn das furchtbare Werk, welches
sie vollbrachten, ist in jedem Punkte vollkommen.

Das ewige Denkmal dieser Vollkommenheit ist ihre Thora, dieDie Thora.
Bücher des Alten Testamentes. Hier gestaltet Geschichte wiederum
Geschichte! Welches wissenschaftliche Werk könnte jemals hoffen,
eine ähnliche Wirkung auf das Leben der Menschheit auszuüben?
Man hat vielfach behauptet, den Juden fehle es an Gestaltungskraft;
die Betrachtung dieses merkwürdigen Buches muss uns eines Besseren
belehren; mindestens wurde ihnen in der höchsten Not diese Kraft
zu Teil und schufen sie ein wahres Kunstwerk, namentlich darin ein
Werk der Kunst, dass in dieser Weltgeschichte, welche mit der Er-
schaffung des Himmels und der Erde beginnt, um mit dem zukünf-
tigen Reich Gottes auf Erden zu enden, alle perspektivischen Ver-
hältnisse die unvergleichliche Hervorhebung des einen einzigen Mittel-
punktes — des jüdischen Volkes — bewirken. Und worin ruht die
Kraft dieses Volkes, eine Lebenskraft, die jedem Schicksal bisher sieg-
reich getrotzt hat, wo, wenn nicht in diesem Buche? Wir haben

1) Montefiore: a. a. O., S. 530. »Die ungeheure Anzahl zeremonieller
Vorschriften ist das hohe Vorrecht Israels«, sagt der Talmud (Montefiore S. 535),
und in den Klageliedern (fälschlich Jeremia zugeschrieben) lesen wir: »Es ist ein
köstliches Ding einem Manne, dass er das Joch in seiner Jugend trage — — —
dass er seinen Mund in den Staub stecke und der Hoffnung erwarte« (III, 27, 29).
Um die entgegengesetzte Auffassung kennen zu lernen, lese man die schönen Be-
merkungen in Immanuel Kant’s: Anthropologie § 10a über religiöse Verpflichtungen,
worin der grosse Denker die Meinung ausspricht, nichts sei für einen vernünftigen
Menschen schwerer, »als Gebote einer geschäftigen Nichtsthuerei, dergleichen die
waren, welche das Judentum begründete«.
2) Nach dem Gesetz (siehe Num. XV, 32—36) muss sie mit dem Tode bestraft
werden!
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[453/0476] Der Eintritt der Juden in die abendländische Geschichte. führliche »Gesetz«. Montefiore behauptet auch, die Befolgung des Ge- setzes sei bald so sehr der vorherrschende Gedanke des Juden geworden, dass sie für ihn das summum bonum, die beste, edelste und süsseste Be- schäftigung der Welt ausmachte. 1) Während Gedächtnis und Geschmack auf diese Art mit Beschlag belegt wurden, erging es dem Urteilsver- mögen nicht besser, es wurde vom Gesetz einfach geknickt: eine arme Frau, die am Sabbat trockenes Holz fiir ihre Feuerung auflas, beging durch ihre Übertretung des Gesetzes ein genau ebenso grosses Verbrechen als hätte sie die Ehe gebrochen. 2) — — — Ich sage also, die Männer, die das Judentum gründeten, wurden nicht von bösen, eigensüchtigen Absichten geleitet, sondern von einer dämonischen Kraft, wie sie nur ehrlichen Fanatikern eigen sein kann, denn das furchtbare Werk, welches sie vollbrachten, ist in jedem Punkte vollkommen. Das ewige Denkmal dieser Vollkommenheit ist ihre Thora, die Bücher des Alten Testamentes. Hier gestaltet Geschichte wiederum Geschichte! Welches wissenschaftliche Werk könnte jemals hoffen, eine ähnliche Wirkung auf das Leben der Menschheit auszuüben? Man hat vielfach behauptet, den Juden fehle es an Gestaltungskraft; die Betrachtung dieses merkwürdigen Buches muss uns eines Besseren belehren; mindestens wurde ihnen in der höchsten Not diese Kraft zu Teil und schufen sie ein wahres Kunstwerk, namentlich darin ein Werk der Kunst, dass in dieser Weltgeschichte, welche mit der Er- schaffung des Himmels und der Erde beginnt, um mit dem zukünf- tigen Reich Gottes auf Erden zu enden, alle perspektivischen Ver- hältnisse die unvergleichliche Hervorhebung des einen einzigen Mittel- punktes — des jüdischen Volkes — bewirken. Und worin ruht die Kraft dieses Volkes, eine Lebenskraft, die jedem Schicksal bisher sieg- reich getrotzt hat, wo, wenn nicht in diesem Buche? Wir haben Die Thora. 1) Montefiore: a. a. O., S. 530. »Die ungeheure Anzahl zeremonieller Vorschriften ist das hohe Vorrecht Israels«, sagt der Talmud (Montefiore S. 535), und in den Klageliedern (fälschlich Jeremia zugeschrieben) lesen wir: »Es ist ein köstliches Ding einem Manne, dass er das Joch in seiner Jugend trage — — — dass er seinen Mund in den Staub stecke und der Hoffnung erwarte« (III, 27, 29). Um die entgegengesetzte Auffassung kennen zu lernen, lese man die schönen Be- merkungen in Immanuel Kant’s: Anthropologie § 10a über religiöse Verpflichtungen, worin der grosse Denker die Meinung ausspricht, nichts sei für einen vernünftigen Menschen schwerer, »als Gebote einer geschäftigen Nichtsthuerei, dergleichen die waren, welche das Judentum begründete«. 2) Nach dem Gesetz (siehe Num. XV, 32—36) muss sie mit dem Tode bestraft werden!

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Zitationshilfe: Chamberlain, Houston Stewart: Die Grundlagen des Neunzehnten Jahrhunderts. Bd. 1. München 1899, S. 453. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/chamberlain_grundlagen01_1899/476>, abgerufen am 12.09.2024.