Chamberlain, Houston Stewart: Die Grundlagen des Neunzehnten Jahrhunderts. Bd. 1. München 1899.Der Eintritt der Juden in die abendländische Geschichte. Elemente vollkommen in der Hand hatte: das unwissende, durchkeine Tradition gebundene Kolonistenvolk, und die zwar gebildeten, doch vom einzigen Kultuszentrum entfernten Mitglieder der Diaspora. Und so errichtete sie denn das künstliche Gebäude: das Deuteronomium wurde ergänzt (namentlich um die elf ersten, so effektvollen historischen Kapitel); sodann entstand der sogen. "Priesterkodex" (das ganze Buch Leviticus, drei Viertel von Numeri, die Hälfte des Exodus und etwa elf Kapitel der Genesis umfassend);1) ausserdem wurden jetzt die ge- schichtlichen Bücher des Alten Testamentes in der Gestalt, in welcher sie auf uns gekommen sind, aus verschiedenen Quellen zusammen- getragen und aufgesetzt, natürlich erst, nachdem jene Quellen revidiert, expungiert, interpoliert worden waren, um der neuen Hierokratie und dem neuen Jahveglauben, sowie dem neuen "Gesetz", unter dem die armen Juden fortan seufzen sollten, Vorschub zu leisten -- eine Arbeit jedoch, welche die Kraft des damaligen Bildungsgrades überstieg, so dass die Widersprüche an allen Ecken und Enden hervorplatzen und wir durch die Risse hindurch die fromme Willkür am Werke er- blicken.2) Ergänzt wurde dann diese Thora (d. h. "Gesetz") nach und um Wucher zu treiben, und sich "die Acker, Weinberge, Ölgärten und Häuser" ihrer ärmeren Volksgenossen einzuschachern. Nichts fällt den Juden bei den arischen Medern so sehr auf, wie dass sie "nicht nach Silber suchen noch nach Gold geizen" (Jesaia XIII, 17); und unter den schrecklichsten Flüchen, mit denen Jahve seinem Volke im Falle des Ungehorsams droht (Deut. XXVIII) lautet der eine: "dass der Jude dem Fremdling nicht mehr Geld leihen werde!" Man erinnere sich auch, wie im Buche Tobias (etwa 100 Jahre vor Christo geschrieben) ein Engel vom Himmel geschickt wird, um die Eintreibung von Geld, welches auf Zinseszins im Ausland angelegt ist, zu bewirken (Kap. V und IX). In diesem Zusammen- hang verdient es auch Erwähnung, dass bereits zur Zeit Salomo's die Juden die Rosstäuscher für ganz Syrien waren! (Sayce: Hittites, p. 13). 1) Vergl. Montefiore: Ancient Hebrews, p. 315, und für die ausführliche analytische Aufzählung Driver: Introd. to the Literature of the Old Testament (1892), p. 150 (abgedruckt in Montefiore S. 354). 2) Die alten Christen wussten sehr gut, dass das Alte Testament ein spätes
und bearbeitetes Produkt sei. So beruft sich z. B. Abälard in seiner Beantwortung der einundvierzigsten Frage Heloisens auf den Kirchenhistoriker Beda, der zu Beginn des 8. Jahrhunderts schrieb und der gesagt haben soll: "Ipse Esdras, qui non solum legem, sed etiam, ut communis majorum fama est, omnem sacrae Scripturae seriem prout sibi videbatur legentibus sufficere, rescripsit ...." Was also die neueste, sowohl von den protestantischen wie von den katholischen Orthodoxen so sehr angefeindete "höhere Bibelkritik" zu Tage gefördert hat, ist nur die genaue wissenschaftliche Bestätigung einer Thatsache, die vor 1000 Jahren Besitz der communis fama war und an der die frömmste Seele keinen Anstoss nahm. Der Eintritt der Juden in die abendländische Geschichte. Elemente vollkommen in der Hand hatte: das unwissende, durchkeine Tradition gebundene Kolonistenvolk, und die zwar gebildeten, doch vom einzigen Kultuszentrum entfernten Mitglieder der Diaspora. Und so errichtete sie denn das künstliche Gebäude: das Deuteronomium wurde ergänzt (namentlich um die elf ersten, so effektvollen historischen Kapitel); sodann entstand der sogen. »Priesterkodex« (das ganze Buch Leviticus, drei Viertel von Numeri, die Hälfte des Exodus und etwa elf Kapitel der Genesis umfassend);1) ausserdem wurden jetzt die ge- schichtlichen Bücher des Alten Testamentes in der Gestalt, in welcher sie auf uns gekommen sind, aus verschiedenen Quellen zusammen- getragen und aufgesetzt, natürlich erst, nachdem jene Quellen revidiert, expungiert, interpoliert worden waren, um der neuen Hierokratie und dem neuen Jahveglauben, sowie dem neuen »Gesetz«, unter dem die armen Juden fortan seufzen sollten, Vorschub zu leisten — eine Arbeit jedoch, welche die Kraft des damaligen Bildungsgrades überstieg, so dass die Widersprüche an allen Ecken und Enden hervorplatzen und wir durch die Risse hindurch die fromme Willkür am Werke er- blicken.2) Ergänzt wurde dann diese Thora (d. h. »Gesetz«) nach und um Wucher zu treiben, und sich »die Acker, Weinberge, Ölgärten und Häuser« ihrer ärmeren Volksgenossen einzuschachern. Nichts fällt den Juden bei den arischen Medern so sehr auf, wie dass sie »nicht nach Silber suchen noch nach Gold geizen« (Jesaia XIII, 17); und unter den schrecklichsten Flüchen, mit denen Jahve seinem Volke im Falle des Ungehorsams droht (Deut. XXVIII) lautet der eine: »dass der Jude dem Fremdling nicht mehr Geld leihen werde!« Man erinnere sich auch, wie im Buche Tobias (etwa 100 Jahre vor Christo geschrieben) ein Engel vom Himmel geschickt wird, um die Eintreibung von Geld, welches auf Zinseszins im Ausland angelegt ist, zu bewirken (Kap. V und IX). In diesem Zusammen- hang verdient es auch Erwähnung, dass bereits zur Zeit Salomo’s die Juden die Rosstäuscher für ganz Syrien waren! (Sayce: Hittites, p. 13). 1) Vergl. Montefiore: Ancient Hebrews, p. 315, und für die ausführliche analytische Aufzählung Driver: Introd. to the Literature of the Old Testament (1892), p. 150 (abgedruckt in Montefiore S. 354). 2) Die alten Christen wussten sehr gut, dass das Alte Testament ein spätes
und bearbeitetes Produkt sei. So beruft sich z. B. Abälard in seiner Beantwortung der einundvierzigsten Frage Heloisens auf den Kirchenhistoriker Beda, der zu Beginn des 8. Jahrhunderts schrieb und der gesagt haben soll: »Ipse Esdras, qui non solum legem, sed etiam, ut communis majorum fama est, omnem sacrae Scripturae seriem prout sibi videbatur legentibus sufficere, rescripsit ....« Was also die neueste, sowohl von den protestantischen wie von den katholischen Orthodoxen so sehr angefeindete »höhere Bibelkritik« zu Tage gefördert hat, ist nur die genaue wissenschaftliche Bestätigung einer Thatsache, die vor 1000 Jahren Besitz der communis fama war und an der die frömmste Seele keinen Anstoss nahm. <TEI> <text> <body> <div n="1"> <div n="2"> <div n="3"> <p><pb facs="#f0454" n="431"/><fw place="top" type="header">Der Eintritt der Juden in die abendländische Geschichte.</fw><lb/> Elemente vollkommen in der Hand hatte: das unwissende, durch<lb/> keine Tradition gebundene Kolonistenvolk, und die zwar gebildeten,<lb/> doch vom einzigen Kultuszentrum entfernten Mitglieder der Diaspora.<lb/> Und so errichtete sie denn das künstliche Gebäude: das Deuteronomium<lb/> wurde ergänzt (namentlich um die elf ersten, so effektvollen historischen<lb/> Kapitel); sodann entstand der sogen. »Priesterkodex« (das ganze Buch<lb/><hi rendition="#i">Leviticus,</hi> drei Viertel von <hi rendition="#i">Numeri,</hi> die Hälfte des <hi rendition="#i">Exodus</hi> und etwa<lb/> elf Kapitel der <hi rendition="#i">Genesis</hi> umfassend);<note place="foot" n="1)">Vergl. Montefiore: <hi rendition="#i">Ancient Hebrews,</hi> p. 315, und für die ausführliche<lb/> analytische Aufzählung Driver: <hi rendition="#i">Introd. to the Literature of the Old Testament</hi> (1892),<lb/> p. 150 (abgedruckt in Montefiore S. 354).</note> ausserdem wurden jetzt die ge-<lb/> schichtlichen Bücher des Alten Testamentes in der Gestalt, in welcher<lb/> sie auf uns gekommen sind, aus verschiedenen Quellen zusammen-<lb/> getragen und aufgesetzt, natürlich erst, nachdem jene Quellen revidiert,<lb/> expungiert, interpoliert worden waren, um der neuen Hierokratie und<lb/> dem neuen Jahveglauben, sowie dem neuen »Gesetz«, unter dem die<lb/> armen Juden fortan seufzen sollten, Vorschub zu leisten — eine Arbeit<lb/> jedoch, welche die Kraft des damaligen Bildungsgrades überstieg, so<lb/> dass die Widersprüche an allen Ecken und Enden hervorplatzen und<lb/> wir durch die Risse hindurch die fromme Willkür am Werke er-<lb/> blicken.<note place="foot" n="2)">Die alten Christen wussten sehr gut, dass das Alte Testament ein spätes<lb/> und bearbeitetes Produkt sei. So beruft sich z. B. Abälard in seiner Beantwortung<lb/> der einundvierzigsten Frage Heloisens auf den Kirchenhistoriker Beda, der zu Beginn<lb/> des 8. Jahrhunderts schrieb und der gesagt haben soll: »<hi rendition="#i">Ipse Esdras, qui non solum<lb/> legem, sed etiam, ut communis majorum fama est, omnem sacrae Scripturae seriem prout<lb/> sibi videbatur legentibus sufficere, rescripsit</hi> ....« Was also die neueste, sowohl von<lb/> den protestantischen wie von den katholischen Orthodoxen so sehr angefeindete<lb/> »höhere Bibelkritik« zu Tage gefördert hat, ist nur die genaue wissenschaftliche<lb/> Bestätigung einer Thatsache, die vor 1000 Jahren Besitz der <hi rendition="#i">communis fama</hi> war<lb/> und an der die frömmste Seele keinen Anstoss nahm.</note> Ergänzt wurde dann diese Thora (d. h. »Gesetz«) nach und<lb/><note xml:id="seg2pn_35_2" prev="#seg2pn_35_1" place="foot" n="2)">um Wucher zu treiben, und sich »die Acker, Weinberge, Ölgärten und Häuser«<lb/> ihrer ärmeren Volksgenossen einzuschachern. Nichts fällt den Juden bei den<lb/> arischen Medern so sehr auf, wie dass sie »nicht nach Silber suchen noch nach<lb/> Gold geizen« (<hi rendition="#i">Jesaia</hi> XIII, 17); und unter den schrecklichsten Flüchen, mit denen<lb/> Jahve seinem Volke im Falle des Ungehorsams droht (<hi rendition="#i">Deut.</hi> XXVIII) lautet der<lb/> eine: »dass der Jude dem Fremdling nicht mehr Geld leihen werde!« Man erinnere<lb/> sich auch, wie im Buche <hi rendition="#i">Tobias</hi> (etwa 100 Jahre vor Christo geschrieben) ein Engel<lb/> vom Himmel geschickt wird, um die Eintreibung von Geld, welches auf Zinseszins<lb/> im Ausland angelegt ist, zu bewirken (Kap. V und IX). In diesem Zusammen-<lb/> hang verdient es auch Erwähnung, dass bereits zur Zeit Salomo’s die Juden die<lb/> Rosstäuscher für ganz Syrien waren! (Sayce: <hi rendition="#i">Hittites,</hi> p. 13).</note><lb/></p> </div> </div> </div> </body> </text> </TEI> [431/0454]
Der Eintritt der Juden in die abendländische Geschichte.
Elemente vollkommen in der Hand hatte: das unwissende, durch
keine Tradition gebundene Kolonistenvolk, und die zwar gebildeten,
doch vom einzigen Kultuszentrum entfernten Mitglieder der Diaspora.
Und so errichtete sie denn das künstliche Gebäude: das Deuteronomium
wurde ergänzt (namentlich um die elf ersten, so effektvollen historischen
Kapitel); sodann entstand der sogen. »Priesterkodex« (das ganze Buch
Leviticus, drei Viertel von Numeri, die Hälfte des Exodus und etwa
elf Kapitel der Genesis umfassend); 1) ausserdem wurden jetzt die ge-
schichtlichen Bücher des Alten Testamentes in der Gestalt, in welcher
sie auf uns gekommen sind, aus verschiedenen Quellen zusammen-
getragen und aufgesetzt, natürlich erst, nachdem jene Quellen revidiert,
expungiert, interpoliert worden waren, um der neuen Hierokratie und
dem neuen Jahveglauben, sowie dem neuen »Gesetz«, unter dem die
armen Juden fortan seufzen sollten, Vorschub zu leisten — eine Arbeit
jedoch, welche die Kraft des damaligen Bildungsgrades überstieg, so
dass die Widersprüche an allen Ecken und Enden hervorplatzen und
wir durch die Risse hindurch die fromme Willkür am Werke er-
blicken. 2) Ergänzt wurde dann diese Thora (d. h. »Gesetz«) nach und
2)
1) Vergl. Montefiore: Ancient Hebrews, p. 315, und für die ausführliche
analytische Aufzählung Driver: Introd. to the Literature of the Old Testament (1892),
p. 150 (abgedruckt in Montefiore S. 354).
2) Die alten Christen wussten sehr gut, dass das Alte Testament ein spätes
und bearbeitetes Produkt sei. So beruft sich z. B. Abälard in seiner Beantwortung
der einundvierzigsten Frage Heloisens auf den Kirchenhistoriker Beda, der zu Beginn
des 8. Jahrhunderts schrieb und der gesagt haben soll: »Ipse Esdras, qui non solum
legem, sed etiam, ut communis majorum fama est, omnem sacrae Scripturae seriem prout
sibi videbatur legentibus sufficere, rescripsit ....« Was also die neueste, sowohl von
den protestantischen wie von den katholischen Orthodoxen so sehr angefeindete
»höhere Bibelkritik« zu Tage gefördert hat, ist nur die genaue wissenschaftliche
Bestätigung einer Thatsache, die vor 1000 Jahren Besitz der communis fama war
und an der die frömmste Seele keinen Anstoss nahm.
2) um Wucher zu treiben, und sich »die Acker, Weinberge, Ölgärten und Häuser«
ihrer ärmeren Volksgenossen einzuschachern. Nichts fällt den Juden bei den
arischen Medern so sehr auf, wie dass sie »nicht nach Silber suchen noch nach
Gold geizen« (Jesaia XIII, 17); und unter den schrecklichsten Flüchen, mit denen
Jahve seinem Volke im Falle des Ungehorsams droht (Deut. XXVIII) lautet der
eine: »dass der Jude dem Fremdling nicht mehr Geld leihen werde!« Man erinnere
sich auch, wie im Buche Tobias (etwa 100 Jahre vor Christo geschrieben) ein Engel
vom Himmel geschickt wird, um die Eintreibung von Geld, welches auf Zinseszins
im Ausland angelegt ist, zu bewirken (Kap. V und IX). In diesem Zusammen-
hang verdient es auch Erwähnung, dass bereits zur Zeit Salomo’s die Juden die
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