Chamberlain, Houston Stewart: Die Grundlagen des Neunzehnten Jahrhunderts. Bd. 1. München 1899.Die Erben. auf ihren Charakter (bis auf die inzwischen erörterte religiöse Frage)beendet hatten. Dass in Bezug auf Religion innerhalb Israels das semitische Element mit der Zeit das hethitische besiegen musste, ist nach allem Gesagten klar; doch ward dieser Sieg schwer und langsam errungen und zwar nur im Süden, d. h. in Judäa (Juda und Benjamin), wo ein häufiger Zufluss von frischem arabischen (also fast rein- semitischen) Blut das Seinige dazu beigetragen haben mag.1) In Israel (d. h. also im Norden des Landes) blieb der alte syrische Kultus bis zuletzt in Ehren: die Feste auf den Höhen, die Pilgerfahrten an heilige Orte, die Baalsbilder u. s. w.; selbst ein gegen "fremde Götter" so gestrenger Prophet wie Elias hatte gegen die Verehrung der goldenen Stiere nicht das Geringste einzuwenden,2) er verteidigte nur den "Gott in Israel" gegen die durch phönicische Königstöchter im- portierten, fremden Götter. Aus dem eigentlichen Israel wäre nie ein "Judentum" entstanden. Umso dringender ist es nötig, dass wir jetzt die jüdische Idee kennen lernen, die spezifisch jüdische im Gegensatz zu der des Volkes Israel. Und so gehe ich jetzt zu unserem dritten Punkt über, welcher besagte: der eigentliche Jude entstand erst im Laufe der Jahrhunderte durch allmähliche physische Ausscheidung aus der übrigen israelitischen Familie, sowie durch progressive Ausbildung einzelner Geistesanlagen und systematische Verkümmerung anderer; er ist nicht das Ergebnis eines normalen nationalen Lebens, sondern gewissermassen ein künstliches Produkt, erzeugt durch eine Priester- kaste, welche dem widersprechenden Volke mit Hilfe fremder Herrscher eine priesterliche Gesetzgebung und einen priesterlichen Glauben als von Gott gegeben aufzwang (S. 347). Wie flüchtig meine Schilderung auch war, und trotzdem ich 1) Robertson Smith: The Prophets of Israel, legt grossen Nachdruck hierauf (p. 28); siehe auch Wellhausen: Prolegomena. 2) Ausführlicheres bei Wellhausen und Robertson Smith (z. B., Prophets of Israel, p. 63, 96). 3) Die Grenzen Judas und Judäas (wozu seit David auch Benjamin gehörte)
haben im Laufe der Zeiten sehr gewechselt: der ganze südliche Teil wurde nach Die Erben. auf ihren Charakter (bis auf die inzwischen erörterte religiöse Frage)beendet hatten. Dass in Bezug auf Religion innerhalb Israels das semitische Element mit der Zeit das hethitische besiegen musste, ist nach allem Gesagten klar; doch ward dieser Sieg schwer und langsam errungen und zwar nur im Süden, d. h. in Judäa (Juda und Benjamin), wo ein häufiger Zufluss von frischem arabischen (also fast rein- semitischen) Blut das Seinige dazu beigetragen haben mag.1) In Israel (d. h. also im Norden des Landes) blieb der alte syrische Kultus bis zuletzt in Ehren: die Feste auf den Höhen, die Pilgerfahrten an heilige Orte, die Baalsbilder u. s. w.; selbst ein gegen »fremde Götter« so gestrenger Prophet wie Elias hatte gegen die Verehrung der goldenen Stiere nicht das Geringste einzuwenden,2) er verteidigte nur den »Gott in Israel« gegen die durch phönicische Königstöchter im- portierten, fremden Götter. Aus dem eigentlichen Israel wäre nie ein »Judentum« entstanden. Umso dringender ist es nötig, dass wir jetzt die jüdische Idee kennen lernen, die spezifisch jüdische im Gegensatz zu der des Volkes Israel. Und so gehe ich jetzt zu unserem dritten Punkt über, welcher besagte: der eigentliche Jude entstand erst im Laufe der Jahrhunderte durch allmähliche physische Ausscheidung aus der übrigen israelitischen Familie, sowie durch progressive Ausbildung einzelner Geistesanlagen und systematische Verkümmerung anderer; er ist nicht das Ergebnis eines normalen nationalen Lebens, sondern gewissermassen ein künstliches Produkt, erzeugt durch eine Priester- kaste, welche dem widersprechenden Volke mit Hilfe fremder Herrscher eine priesterliche Gesetzgebung und einen priesterlichen Glauben als von Gott gegeben aufzwang (S. 347). Wie flüchtig meine Schilderung auch war, und trotzdem ich 1) Robertson Smith: The Prophets of Israel, legt grossen Nachdruck hierauf (p. 28); siehe auch Wellhausen: Prolegomena. 2) Ausführlicheres bei Wellhausen und Robertson Smith (z. B., Prophets of Israel, p. 63, 96). 3) Die Grenzen Judas und Judäas (wozu seit David auch Benjamin gehörte)
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Die Erben.
auf ihren Charakter (bis auf die inzwischen erörterte religiöse Frage)
beendet hatten. Dass in Bezug auf Religion innerhalb Israels das
semitische Element mit der Zeit das hethitische besiegen musste, ist
nach allem Gesagten klar; doch ward dieser Sieg schwer und langsam
errungen und zwar nur im Süden, d. h. in Judäa (Juda und Benjamin),
wo ein häufiger Zufluss von frischem arabischen (also fast rein-
semitischen) Blut das Seinige dazu beigetragen haben mag. 1) In Israel
(d. h. also im Norden des Landes) blieb der alte syrische Kultus bis
zuletzt in Ehren: die Feste auf den Höhen, die Pilgerfahrten an
heilige Orte, die Baalsbilder u. s. w.; selbst ein gegen »fremde Götter«
so gestrenger Prophet wie Elias hatte gegen die Verehrung der
goldenen Stiere nicht das Geringste einzuwenden, 2) er verteidigte nur
den »Gott in Israel« gegen die durch phönicische Königstöchter im-
portierten, fremden Götter. Aus dem eigentlichen Israel wäre nie ein
»Judentum« entstanden. Umso dringender ist es nötig, dass wir jetzt die
jüdische Idee kennen lernen, die spezifisch jüdische im Gegensatz
zu der des Volkes Israel. Und so gehe ich jetzt zu unserem dritten
Punkt über, welcher besagte: der eigentliche Jude entstand erst im
Laufe der Jahrhunderte durch allmähliche physische Ausscheidung aus
der übrigen israelitischen Familie, sowie durch progressive Ausbildung
einzelner Geistesanlagen und systematische Verkümmerung anderer;
er ist nicht das Ergebnis eines normalen nationalen Lebens, sondern
gewissermassen ein künstliches Produkt, erzeugt durch eine Priester-
kaste, welche dem widersprechenden Volke mit Hilfe fremder Herrscher
eine priesterliche Gesetzgebung und einen priesterlichen Glauben als
von Gott gegeben aufzwang (S. 347).
Wie flüchtig meine Schilderung auch war, und trotzdem ich
manche Thatsache, der Vereinfachung wegen, unerwähnt liess, glaube
ich doch, dass der Leser eine ziemlich lebhafte und in ihren Grund-
zügen durchaus zutreffende Vorstellung des mixtum compositum er-
halten hat, aus welchem das israelitische Volk hervorging; er hat
auch bemerkt, dass die Zusammensetzung des Blutes im Süden des
Landes, wo Juda und Benjamin lagen, 3) schon von dem Augenblick
1) Robertson Smith: The Prophets of Israel, legt grossen Nachdruck hierauf
(p. 28); siehe auch Wellhausen: Prolegomena.
2) Ausführlicheres bei Wellhausen und Robertson Smith (z. B., Prophets of
Israel, p. 63, 96).
3) Die Grenzen Judas und Judäas (wozu seit David auch Benjamin gehörte)
haben im Laufe der Zeiten sehr gewechselt: der ganze südliche Teil wurde nach
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