Chamberlain, Houston Stewart: Die Grundlagen des Neunzehnten Jahrhunderts. Bd. 1. München 1899.Die Erben. Unendlichen eine solche Intensität gewonnen, dass der Mensch seineigenes Ich in das All sich auflösen fühlte, wogegen der Bewohner der sonnendurchglühten Wüste, geblendet vom Übermass des Lichtes, an Augenkraft verlor und nur sich selber erblickte; weit entfernt, das Unendliche zu empfinden, das sich uns nur in der Nacht oder durch die Millionen Stimmen des wimmelnden Lebens offenbart, fühlte er sich einsam, einsam und doch gefährdet, einsam und doch kaum im Stande, sich die nötigen Nahrungsmittel zu verschaffen, und gar nicht mehr im Stande, es zu thun, sobald eine andere Sippe sich der seinen hätte zugesellen wollen. Dieses Leben war ein Kampf, ein Kampf, in dem nur der rücksichtslose Egoismus bestehen konnte. Während der Inder, ganz in Denken versunken, die Hand nur nach den Bäumen auszustrecken brauchte, wenn ihn hungerte, stand der Beduine Tag und Nacht auf dem Qui-vive und hatte etwas anderes zu thun, als über das Unendliche nachzusinnen, wozu er ausserdem so gänzlich unfähig und unbeanlagt war, dass ihm seine Sprache nicht die mindeste Handhabe dazu bot. Dagegen können wir uns recht wohl vorstellen, wie die einförmige Armut der Umgebung zu der unvergleichlichen Armut mythologischer Vorstellungen führen konnte: der Mensch ist nämlich durchaus unfähig, seine Phantasie aus eigener Kraft zu speisen; sie wird, wie Shakespeare sagt, "im Auge geboren"; wo dem Auge lediglich Einförmigkeit geboten wird, wird sie zur Einförmigkeit verdorren.1) Und was wir ebenfalls verstehen können, ist, wie in einer solchen Umgebung sich jener durchaus egoistische Monotheismus entwickeln konnte, wo der eine Gott nicht der grosse überweltliche Geist ist, wie für die armen Neger der Sklavenküste, sondern ein harter, grausamer Herr, der nur für mich, den einen da ist, für mich und meine Kinder, der mir, wenn ich mich blind ihm unterwerfe, die Länder schenkt, die ich nicht urbar gemacht habe, voll Öl und Wein, die Häuser, die ich nicht gebaut, die Brunnen, die ich nicht gegraben -- alle jene Herrlichkeiten, die ich nur hin und wieder aus der Ferne erblickt habe, wenn ich, von Hunger ge- trieben, meine Wüste zu Streifzügen verliess; ja! und diese Menschen alle, die dort in Arbeit und Reichtum schwelgen und mit freudigem Tanz und Gesang und fetten Opfern Götter anbeten, welche ihnen alle diese Reichtümer schenken, sie will ich meinem Wüstengotte hin- 1) Burckhardt, der Jahre lang in Arabien gelebt hat, bezeugt, dass die Ein-
förmigkeit und der Mangel an jeglicher Beschäftigung des Wüstenlebens auf den Geist unerträglich drückt und ihn zuletzt völlig lahmlegt (Beduinen und Wahaby, S. 286). Die Erben. Unendlichen eine solche Intensität gewonnen, dass der Mensch seineigenes Ich in das All sich auflösen fühlte, wogegen der Bewohner der sonnendurchglühten Wüste, geblendet vom Übermass des Lichtes, an Augenkraft verlor und nur sich selber erblickte; weit entfernt, das Unendliche zu empfinden, das sich uns nur in der Nacht oder durch die Millionen Stimmen des wimmelnden Lebens offenbart, fühlte er sich einsam, einsam und doch gefährdet, einsam und doch kaum im Stande, sich die nötigen Nahrungsmittel zu verschaffen, und gar nicht mehr im Stande, es zu thun, sobald eine andere Sippe sich der seinen hätte zugesellen wollen. Dieses Leben war ein Kampf, ein Kampf, in dem nur der rücksichtslose Egoismus bestehen konnte. Während der Inder, ganz in Denken versunken, die Hand nur nach den Bäumen auszustrecken brauchte, wenn ihn hungerte, stand der Beduine Tag und Nacht auf dem Qui-vive und hatte etwas anderes zu thun, als über das Unendliche nachzusinnen, wozu er ausserdem so gänzlich unfähig und unbeanlagt war, dass ihm seine Sprache nicht die mindeste Handhabe dazu bot. Dagegen können wir uns recht wohl vorstellen, wie die einförmige Armut der Umgebung zu der unvergleichlichen Armut mythologischer Vorstellungen führen konnte: der Mensch ist nämlich durchaus unfähig, seine Phantasie aus eigener Kraft zu speisen; sie wird, wie Shakespeare sagt, »im Auge geboren«; wo dem Auge lediglich Einförmigkeit geboten wird, wird sie zur Einförmigkeit verdorren.1) Und was wir ebenfalls verstehen können, ist, wie in einer solchen Umgebung sich jener durchaus egoistische Monotheismus entwickeln konnte, wo der eine Gott nicht der grosse überweltliche Geist ist, wie für die armen Neger der Sklavenküste, sondern ein harter, grausamer Herr, der nur für mich, den einen da ist, für mich und meine Kinder, der mir, wenn ich mich blind ihm unterwerfe, die Länder schenkt, die ich nicht urbar gemacht habe, voll Öl und Wein, die Häuser, die ich nicht gebaut, die Brunnen, die ich nicht gegraben — alle jene Herrlichkeiten, die ich nur hin und wieder aus der Ferne erblickt habe, wenn ich, von Hunger ge- trieben, meine Wüste zu Streifzügen verliess; ja! und diese Menschen alle, die dort in Arbeit und Reichtum schwelgen und mit freudigem Tanz und Gesang und fetten Opfern Götter anbeten, welche ihnen alle diese Reichtümer schenken, sie will ich meinem Wüstengotte hin- 1) Burckhardt, der Jahre lang in Arabien gelebt hat, bezeugt, dass die Ein-
förmigkeit und der Mangel an jeglicher Beschäftigung des Wüstenlebens auf den Geist unerträglich drückt und ihn zuletzt völlig lahmlegt (Beduinen und Wahaby, S. 286). <TEI> <text> <body> <div n="1"> <div n="2"> <div n="3"> <p><pb facs="#f0427" n="404"/><fw place="top" type="header">Die Erben.</fw><lb/> Unendlichen eine solche Intensität gewonnen, dass der Mensch sein<lb/> eigenes Ich in das All sich auflösen fühlte, wogegen der Bewohner<lb/> der sonnendurchglühten Wüste, geblendet vom Übermass des Lichtes,<lb/> an Augenkraft verlor und nur sich selber erblickte; weit entfernt, das<lb/> Unendliche zu empfinden, das sich uns nur in der Nacht oder durch<lb/> die Millionen Stimmen des wimmelnden Lebens offenbart, fühlte er<lb/> sich einsam, einsam und doch gefährdet, einsam und doch kaum im<lb/> Stande, sich die nötigen Nahrungsmittel zu verschaffen, und gar nicht<lb/> mehr im Stande, es zu thun, sobald eine andere Sippe sich der seinen<lb/> hätte zugesellen wollen. Dieses Leben war ein Kampf, ein Kampf, in<lb/> dem nur der rücksichtslose Egoismus bestehen konnte. Während der<lb/> Inder, ganz in Denken versunken, die Hand nur nach den Bäumen<lb/> auszustrecken brauchte, wenn ihn hungerte, stand der Beduine Tag und<lb/> Nacht auf dem <hi rendition="#i">Qui-vive</hi> und hatte etwas anderes zu thun, als über<lb/> das Unendliche nachzusinnen, wozu er ausserdem so gänzlich unfähig<lb/> und unbeanlagt war, dass ihm seine Sprache nicht die mindeste<lb/> Handhabe dazu bot. Dagegen können wir uns recht wohl vorstellen,<lb/> wie die einförmige Armut der Umgebung zu der unvergleichlichen<lb/> Armut mythologischer Vorstellungen führen konnte: der Mensch<lb/> ist nämlich durchaus unfähig, seine Phantasie aus eigener Kraft<lb/> zu speisen; sie wird, wie Shakespeare sagt, »im Auge geboren«;<lb/> wo dem Auge lediglich Einförmigkeit geboten wird, wird sie zur<lb/> Einförmigkeit verdorren.<note place="foot" n="1)">Burckhardt, der Jahre lang in Arabien gelebt hat, bezeugt, dass die Ein-<lb/> förmigkeit und der Mangel an jeglicher Beschäftigung des Wüstenlebens auf den<lb/> Geist unerträglich drückt und ihn zuletzt völlig lahmlegt (<hi rendition="#i">Beduinen und Wahaby</hi>, S. 286).</note> Und was wir ebenfalls verstehen können,<lb/> ist, wie in einer solchen Umgebung sich jener durchaus egoistische<lb/> Monotheismus entwickeln konnte, wo der eine Gott nicht der grosse<lb/> überweltliche Geist ist, wie für die armen Neger der Sklavenküste,<lb/> sondern ein harter, grausamer Herr, der nur für mich, den <hi rendition="#g">einen</hi> da<lb/> ist, für mich und meine Kinder, der mir, wenn ich mich blind ihm<lb/> unterwerfe, die Länder schenkt, die ich nicht urbar gemacht habe,<lb/> voll Öl und Wein, die Häuser, die ich nicht gebaut, die Brunnen,<lb/> die ich nicht gegraben — alle jene Herrlichkeiten, die ich nur hin<lb/> und wieder aus der Ferne erblickt habe, wenn ich, von Hunger ge-<lb/> trieben, meine Wüste zu Streifzügen verliess; ja! und diese Menschen<lb/> alle, die dort in Arbeit und Reichtum schwelgen und mit freudigem<lb/> Tanz und Gesang und fetten Opfern Götter anbeten, welche ihnen<lb/> alle diese Reichtümer schenken, sie will ich meinem Wüstengotte hin-<lb/></p> </div> </div> </div> </body> </text> </TEI> [404/0427]
Die Erben.
Unendlichen eine solche Intensität gewonnen, dass der Mensch sein
eigenes Ich in das All sich auflösen fühlte, wogegen der Bewohner
der sonnendurchglühten Wüste, geblendet vom Übermass des Lichtes,
an Augenkraft verlor und nur sich selber erblickte; weit entfernt, das
Unendliche zu empfinden, das sich uns nur in der Nacht oder durch
die Millionen Stimmen des wimmelnden Lebens offenbart, fühlte er
sich einsam, einsam und doch gefährdet, einsam und doch kaum im
Stande, sich die nötigen Nahrungsmittel zu verschaffen, und gar nicht
mehr im Stande, es zu thun, sobald eine andere Sippe sich der seinen
hätte zugesellen wollen. Dieses Leben war ein Kampf, ein Kampf, in
dem nur der rücksichtslose Egoismus bestehen konnte. Während der
Inder, ganz in Denken versunken, die Hand nur nach den Bäumen
auszustrecken brauchte, wenn ihn hungerte, stand der Beduine Tag und
Nacht auf dem Qui-vive und hatte etwas anderes zu thun, als über
das Unendliche nachzusinnen, wozu er ausserdem so gänzlich unfähig
und unbeanlagt war, dass ihm seine Sprache nicht die mindeste
Handhabe dazu bot. Dagegen können wir uns recht wohl vorstellen,
wie die einförmige Armut der Umgebung zu der unvergleichlichen
Armut mythologischer Vorstellungen führen konnte: der Mensch
ist nämlich durchaus unfähig, seine Phantasie aus eigener Kraft
zu speisen; sie wird, wie Shakespeare sagt, »im Auge geboren«;
wo dem Auge lediglich Einförmigkeit geboten wird, wird sie zur
Einförmigkeit verdorren. 1) Und was wir ebenfalls verstehen können,
ist, wie in einer solchen Umgebung sich jener durchaus egoistische
Monotheismus entwickeln konnte, wo der eine Gott nicht der grosse
überweltliche Geist ist, wie für die armen Neger der Sklavenküste,
sondern ein harter, grausamer Herr, der nur für mich, den einen da
ist, für mich und meine Kinder, der mir, wenn ich mich blind ihm
unterwerfe, die Länder schenkt, die ich nicht urbar gemacht habe,
voll Öl und Wein, die Häuser, die ich nicht gebaut, die Brunnen,
die ich nicht gegraben — alle jene Herrlichkeiten, die ich nur hin
und wieder aus der Ferne erblickt habe, wenn ich, von Hunger ge-
trieben, meine Wüste zu Streifzügen verliess; ja! und diese Menschen
alle, die dort in Arbeit und Reichtum schwelgen und mit freudigem
Tanz und Gesang und fetten Opfern Götter anbeten, welche ihnen
alle diese Reichtümer schenken, sie will ich meinem Wüstengotte hin-
1) Burckhardt, der Jahre lang in Arabien gelebt hat, bezeugt, dass die Ein-
förmigkeit und der Mangel an jeglicher Beschäftigung des Wüstenlebens auf den
Geist unerträglich drückt und ihn zuletzt völlig lahmlegt (Beduinen und Wahaby, S. 286).
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