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Chamberlain, Houston Stewart: Die Grundlagen des Neunzehnten Jahrhunderts. Bd. 1. München 1899.

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Die Erben.
sie zwar die Kanaaniter, die zum grössten Teil aus Hethitern be-
standen, nach und nach, doch traten sie jetzt erst recht in ein
enges Verhältnis zu ihnen. Denn wie ich schon früher hervorhob,
der Kanaaniter verschwand nicht. Man lese nur das erste Kapitel
des Buches der Richter. Wellhausen bezeugt denn auch: "Die Israeliten
unterwarfen die ältere Bevölkerung nicht systematisch, sondern schoben
sich zwischen sie ein .... Von einer vollständigen Eroberung des
Landes (Palästina) war keine Rede". Und über die Art, wie dieses
fremde, nicht-semitische Blut immer mehr in das hebräische eindrang,
berichtet derselbe Autor: "Der wichtigste Vorgang in der Richterperiode
ging im Allgemeinen ziemlich geräuschlos vor sich, nämlich die Ver-
schmelzung der neuen (israelitischen) Bevölkerung des Landes mit der
alten. Die Israeliten der Königszeit hatten eine sehr starke Bei-
mischung
kanaanitischen Blutes; sie waren keineswegs reine Ab-
kömmlinge derer, die einst aus Ägypten gezogen waren. .... Hätten
die Israeliten die alteingesessenen Landeskinder vertilgt, so würden sie
das Land zur Wüste gemacht und sich selbst um den Gewinn der
Eroberung gebracht haben. Indem sie sie schonten und sich selber
ihnen gleichsam aufpfropften,
wuchsen sie zugleich in ihre
Kultur hinein. In Häuser, die sie nicht gebaut, in Felder und
Gärten, die sie nicht urbar gemacht und angelegt hatten, nisteten sie
sich ein. Überall traten sie als glückliche Erben in den Genuss der
Arbeit ihrer Vorgänger. So vollzog sich bei ihnen eine folgenreiche
innere Umwandlung; sie wurden rasch ein Kulturvolk".1) Schon
früher hatten die Israeliten von den Hethitern das Schreiben gelernt
(sei es in Hebron, sei es in Tanis;2) jetzt lernten sie von ihnen den
Acker- und den Weinbau, sie lernten Städte errichten und verwalten,
kurz, sie wurden durch ihre Vermittelung civilisierte Menschen.
Durch sie auch wurden sie erst ein Staat. Nie hätten diese in
ewiger Eifersucht, in argwöhnischer Isolierung hausenden verschiedenen
Stämme sich zu einer Einheit zu verbinden verstanden, ohne das
"staatverkittende Element" der Kanaaniter. Und damit nicht genug,
auch ihre religiösen Vorstellungen erhielten von den Kanaanitern die
besondere Farbe und die Organisation: Baal, der Gott des Acker-
baues und der friedlichen Arbeit, verschmolz mit Jahve, dem Gott
der Kriegsheere und der Raubzüge. Wie sehr Baal von den Israeliten

1) Israelitische und jüdische Geschichte. S. 37, 46 u. 48.
2) Renan: Israel I, 136.

Die Erben.
sie zwar die Kanaaniter, die zum grössten Teil aus Hethitern be-
standen, nach und nach, doch traten sie jetzt erst recht in ein
enges Verhältnis zu ihnen. Denn wie ich schon früher hervorhob,
der Kanaaniter verschwand nicht. Man lese nur das erste Kapitel
des Buches der Richter. Wellhausen bezeugt denn auch: »Die Israeliten
unterwarfen die ältere Bevölkerung nicht systematisch, sondern schoben
sich zwischen sie ein .... Von einer vollständigen Eroberung des
Landes (Palästina) war keine Rede«. Und über die Art, wie dieses
fremde, nicht-semitische Blut immer mehr in das hebräische eindrang,
berichtet derselbe Autor: »Der wichtigste Vorgang in der Richterperiode
ging im Allgemeinen ziemlich geräuschlos vor sich, nämlich die Ver-
schmelzung der neuen (israelitischen) Bevölkerung des Landes mit der
alten. Die Israeliten der Königszeit hatten eine sehr starke Bei-
mischung
kanaanitischen Blutes; sie waren keineswegs reine Ab-
kömmlinge derer, die einst aus Ägypten gezogen waren. .... Hätten
die Israeliten die alteingesessenen Landeskinder vertilgt, so würden sie
das Land zur Wüste gemacht und sich selbst um den Gewinn der
Eroberung gebracht haben. Indem sie sie schonten und sich selber
ihnen gleichsam aufpfropften,
wuchsen sie zugleich in ihre
Kultur hinein. In Häuser, die sie nicht gebaut, in Felder und
Gärten, die sie nicht urbar gemacht und angelegt hatten, nisteten sie
sich ein. Überall traten sie als glückliche Erben in den Genuss der
Arbeit ihrer Vorgänger. So vollzog sich bei ihnen eine folgenreiche
innere Umwandlung; sie wurden rasch ein Kulturvolk«.1) Schon
früher hatten die Israeliten von den Hethitern das Schreiben gelernt
(sei es in Hebron, sei es in Tanis;2) jetzt lernten sie von ihnen den
Acker- und den Weinbau, sie lernten Städte errichten und verwalten,
kurz, sie wurden durch ihre Vermittelung civilisierte Menschen.
Durch sie auch wurden sie erst ein Staat. Nie hätten diese in
ewiger Eifersucht, in argwöhnischer Isolierung hausenden verschiedenen
Stämme sich zu einer Einheit zu verbinden verstanden, ohne das
»staatverkittende Element« der Kanaaniter. Und damit nicht genug,
auch ihre religiösen Vorstellungen erhielten von den Kanaanitern die
besondere Farbe und die Organisation: Baal, der Gott des Acker-
baues und der friedlichen Arbeit, verschmolz mit Jahve, dem Gott
der Kriegsheere und der Raubzüge. Wie sehr Baal von den Israeliten

1) Israelitische und jüdische Geschichte. S. 37, 46 u. 48.
2) Renan: Israël I, 136.
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[364/0387] Die Erben. sie zwar die Kanaaniter, die zum grössten Teil aus Hethitern be- standen, nach und nach, doch traten sie jetzt erst recht in ein enges Verhältnis zu ihnen. Denn wie ich schon früher hervorhob, der Kanaaniter verschwand nicht. Man lese nur das erste Kapitel des Buches der Richter. Wellhausen bezeugt denn auch: »Die Israeliten unterwarfen die ältere Bevölkerung nicht systematisch, sondern schoben sich zwischen sie ein .... Von einer vollständigen Eroberung des Landes (Palästina) war keine Rede«. Und über die Art, wie dieses fremde, nicht-semitische Blut immer mehr in das hebräische eindrang, berichtet derselbe Autor: »Der wichtigste Vorgang in der Richterperiode ging im Allgemeinen ziemlich geräuschlos vor sich, nämlich die Ver- schmelzung der neuen (israelitischen) Bevölkerung des Landes mit der alten. Die Israeliten der Königszeit hatten eine sehr starke Bei- mischung kanaanitischen Blutes; sie waren keineswegs reine Ab- kömmlinge derer, die einst aus Ägypten gezogen waren. .... Hätten die Israeliten die alteingesessenen Landeskinder vertilgt, so würden sie das Land zur Wüste gemacht und sich selbst um den Gewinn der Eroberung gebracht haben. Indem sie sie schonten und sich selber ihnen gleichsam aufpfropften, wuchsen sie zugleich in ihre Kultur hinein. In Häuser, die sie nicht gebaut, in Felder und Gärten, die sie nicht urbar gemacht und angelegt hatten, nisteten sie sich ein. Überall traten sie als glückliche Erben in den Genuss der Arbeit ihrer Vorgänger. So vollzog sich bei ihnen eine folgenreiche innere Umwandlung; sie wurden rasch ein Kulturvolk«. 1) Schon früher hatten die Israeliten von den Hethitern das Schreiben gelernt (sei es in Hebron, sei es in Tanis; 2) jetzt lernten sie von ihnen den Acker- und den Weinbau, sie lernten Städte errichten und verwalten, kurz, sie wurden durch ihre Vermittelung civilisierte Menschen. Durch sie auch wurden sie erst ein Staat. Nie hätten diese in ewiger Eifersucht, in argwöhnischer Isolierung hausenden verschiedenen Stämme sich zu einer Einheit zu verbinden verstanden, ohne das »staatverkittende Element« der Kanaaniter. Und damit nicht genug, auch ihre religiösen Vorstellungen erhielten von den Kanaanitern die besondere Farbe und die Organisation: Baal, der Gott des Acker- baues und der friedlichen Arbeit, verschmolz mit Jahve, dem Gott der Kriegsheere und der Raubzüge. Wie sehr Baal von den Israeliten 1) Israelitische und jüdische Geschichte. S. 37, 46 u. 48. 2) Renan: Israël I, 136.

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Zitationshilfe: Chamberlain, Houston Stewart: Die Grundlagen des Neunzehnten Jahrhunderts. Bd. 1. München 1899, S. 364. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/chamberlain_grundlagen01_1899/387>, abgerufen am 28.11.2024.