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Chamberlain, Houston Stewart: Die Grundlagen des Neunzehnten Jahrhunderts. Bd. 1. München 1899.

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Die Erben.
zahlreiches, doch fest gegliedertes Volk, auf der Flucht aus Ägypten,
erobernd in Kanaan einfallen, um dort einen von wechselnden, meist
recht traurigen Schicksalen heimgesuchten Staat zu bilden, der aber,
trotzdem er (wie das übrige Syrien) gewissermassen zwischen Hammer
und Ambos lag, nämlich mitten zwischen den sich bekämpfenden
Grossmächten, es dennoch auf einen fast siebenhundertjährigen Bestand
als unabhängiger Staat brachte. Dass diese Israeliten nicht sehr zahlreich
waren, muss mit Nachdruck betont werden; es ist sowohl geschichtlich
wie anthropologisch wichtig; denn diesem Umstande hat man es zu-
zuschreiben, dass die frühere und eigentlich ansässige Einwohner-
schaft Kanaans (ein Gemisch von Hethitern und von indoeuropäischen
Amoritern) nie vertilgt wurde und stets den Grundstock der Bevölkerung
bildete, sogar am heutigen Tage noch bildet!1) Die Rassenmischungen,
von denen ich sogleich reden werde, und die sofort beim ersten Betreten
syrischen Bodens begonnen hatten, setzten sich in Folge dessen auch
im autonomen Staate Israel, d. h. in Palästina fort und nahmen erst
nach dem babylonischen Exil und zwar einzig in Judäa durch ein neu
eingeführtes Gesetz ein plötzliches Ende. Denn, dass von den übrigen
Israeliten sich später die Juden als ethnologische Einheit schieden, ist
lediglich die Folge davon, dass die Einwohner Judäas endlich dieser
fortwährenden Blutvermengung durch energische Gesetze Einhalt ge-
boten (siehe Esdras IX und X).

Diese vorausgesandte flüchtige Skizze mag der unkundige Wiss-
begierige durch das Studium von Wellhausen's so knapp gehaltener
Israelitische und jüdische Geschichte, von Stade's: Geschichte des
Volkes Israel,
durch Renan's ausführliche, leichtflüssig geschriebene
Histoire du peuple d'Israel, durch Maspero's, einen weiten, um-
fassenden Überblick gewährende, Histoire ancienne des peuples de
l'Orient classique
ergänzen;2) inzwischen genügt sie, damit die Anthro-

1) Sayce: The races of the Old Testament, 2d ed., p. 76, 113. "Der Römer
vertrieb den Juden aus dem Lande, das seine Väter erobert hatten, dagegen war
es dem Juden nie gelungen, die echten Besitzer Kanaans herauszutreiben. -- -- Der
Jude hielt Jerusalem und Hebron, sowie die umliegenden Städte und Dörfer, sonst
bildete er (auch im eigentlichen Judäa) einen Bruchteil der Bevölkerung. -- -- So-
bald der Jude sich entfernte, z. B. beim babylonischen Exil oder nach der Zer-
störung Jerusalems durch die Römer, vermehrte sich die vom Druck befreite
ursprüngliche Bevölkerung -- -- -- unter welchen die heutigen jüdischen Kolonien
in Palästina eben solche Ausländer sind, wie etwa die deutschen Kolonien daselbst."
2) Ich nenne nur die neuesten, bedeutendsten und zuverlässigsten Bücher,
von wahren Gelehrten geschrieben, doch Ungelehrten zugänglich. Von den älteren

Die Erben.
zahlreiches, doch fest gegliedertes Volk, auf der Flucht aus Ägypten,
erobernd in Kanaan einfallen, um dort einen von wechselnden, meist
recht traurigen Schicksalen heimgesuchten Staat zu bilden, der aber,
trotzdem er (wie das übrige Syrien) gewissermassen zwischen Hammer
und Ambos lag, nämlich mitten zwischen den sich bekämpfenden
Grossmächten, es dennoch auf einen fast siebenhundertjährigen Bestand
als unabhängiger Staat brachte. Dass diese Israeliten nicht sehr zahlreich
waren, muss mit Nachdruck betont werden; es ist sowohl geschichtlich
wie anthropologisch wichtig; denn diesem Umstande hat man es zu-
zuschreiben, dass die frühere und eigentlich ansässige Einwohner-
schaft Kanaans (ein Gemisch von Hethitern und von indoeuropäischen
Amoritern) nie vertilgt wurde und stets den Grundstock der Bevölkerung
bildete, sogar am heutigen Tage noch bildet!1) Die Rassenmischungen,
von denen ich sogleich reden werde, und die sofort beim ersten Betreten
syrischen Bodens begonnen hatten, setzten sich in Folge dessen auch
im autonomen Staate Israel, d. h. in Palästina fort und nahmen erst
nach dem babylonischen Exil und zwar einzig in Judäa durch ein neu
eingeführtes Gesetz ein plötzliches Ende. Denn, dass von den übrigen
Israeliten sich später die Juden als ethnologische Einheit schieden, ist
lediglich die Folge davon, dass die Einwohner Judäas endlich dieser
fortwährenden Blutvermengung durch energische Gesetze Einhalt ge-
boten (siehe Esdras IX und X).

Diese vorausgesandte flüchtige Skizze mag der unkundige Wiss-
begierige durch das Studium von Wellhausen’s so knapp gehaltener
Israelitische und jüdische Geschichte, von Stade’s: Geschichte des
Volkes Israel,
durch Renan’s ausführliche, leichtflüssig geschriebene
Histoire du peuple d’Israel, durch Maspero’s, einen weiten, um-
fassenden Überblick gewährende, Histoire ancienne des peuples de
l’Orient classique
ergänzen;2) inzwischen genügt sie, damit die Anthro-

1) Sayce: The races of the Old Testament, 2d ed., p. 76, 113. »Der Römer
vertrieb den Juden aus dem Lande, das seine Väter erobert hatten, dagegen war
es dem Juden nie gelungen, die echten Besitzer Kanaans herauszutreiben. — — Der
Jude hielt Jerusalem und Hebron, sowie die umliegenden Städte und Dörfer, sonst
bildete er (auch im eigentlichen Judäa) einen Bruchteil der Bevölkerung. — — So-
bald der Jude sich entfernte, z. B. beim babylonischen Exil oder nach der Zer-
störung Jerusalems durch die Römer, vermehrte sich die vom Druck befreite
ursprüngliche Bevölkerung — — — unter welchen die heutigen jüdischen Kolonien
in Palästina eben solche Ausländer sind, wie etwa die deutschen Kolonien daselbst.«
2) Ich nenne nur die neuesten, bedeutendsten und zuverlässigsten Bücher,
von wahren Gelehrten geschrieben, doch Ungelehrten zugänglich. Von den älteren
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[354/0377] Die Erben. zahlreiches, doch fest gegliedertes Volk, auf der Flucht aus Ägypten, erobernd in Kanaan einfallen, um dort einen von wechselnden, meist recht traurigen Schicksalen heimgesuchten Staat zu bilden, der aber, trotzdem er (wie das übrige Syrien) gewissermassen zwischen Hammer und Ambos lag, nämlich mitten zwischen den sich bekämpfenden Grossmächten, es dennoch auf einen fast siebenhundertjährigen Bestand als unabhängiger Staat brachte. Dass diese Israeliten nicht sehr zahlreich waren, muss mit Nachdruck betont werden; es ist sowohl geschichtlich wie anthropologisch wichtig; denn diesem Umstande hat man es zu- zuschreiben, dass die frühere und eigentlich ansässige Einwohner- schaft Kanaans (ein Gemisch von Hethitern und von indoeuropäischen Amoritern) nie vertilgt wurde und stets den Grundstock der Bevölkerung bildete, sogar am heutigen Tage noch bildet! 1) Die Rassenmischungen, von denen ich sogleich reden werde, und die sofort beim ersten Betreten syrischen Bodens begonnen hatten, setzten sich in Folge dessen auch im autonomen Staate Israel, d. h. in Palästina fort und nahmen erst nach dem babylonischen Exil und zwar einzig in Judäa durch ein neu eingeführtes Gesetz ein plötzliches Ende. Denn, dass von den übrigen Israeliten sich später die Juden als ethnologische Einheit schieden, ist lediglich die Folge davon, dass die Einwohner Judäas endlich dieser fortwährenden Blutvermengung durch energische Gesetze Einhalt ge- boten (siehe Esdras IX und X). Diese vorausgesandte flüchtige Skizze mag der unkundige Wiss- begierige durch das Studium von Wellhausen’s so knapp gehaltener Israelitische und jüdische Geschichte, von Stade’s: Geschichte des Volkes Israel, durch Renan’s ausführliche, leichtflüssig geschriebene Histoire du peuple d’Israel, durch Maspero’s, einen weiten, um- fassenden Überblick gewährende, Histoire ancienne des peuples de l’Orient classique ergänzen; 2) inzwischen genügt sie, damit die Anthro- 1) Sayce: The races of the Old Testament, 2d ed., p. 76, 113. »Der Römer vertrieb den Juden aus dem Lande, das seine Väter erobert hatten, dagegen war es dem Juden nie gelungen, die echten Besitzer Kanaans herauszutreiben. — — Der Jude hielt Jerusalem und Hebron, sowie die umliegenden Städte und Dörfer, sonst bildete er (auch im eigentlichen Judäa) einen Bruchteil der Bevölkerung. — — So- bald der Jude sich entfernte, z. B. beim babylonischen Exil oder nach der Zer- störung Jerusalems durch die Römer, vermehrte sich die vom Druck befreite ursprüngliche Bevölkerung — — — unter welchen die heutigen jüdischen Kolonien in Palästina eben solche Ausländer sind, wie etwa die deutschen Kolonien daselbst.« 2) Ich nenne nur die neuesten, bedeutendsten und zuverlässigsten Bücher, von wahren Gelehrten geschrieben, doch Ungelehrten zugänglich. Von den älteren

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Dieses Werk wurde gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien im Double-Keying-Verfahren von Nicht-Muttersprachlern erfasst und in XML/TEI P5 nach DTA-Basisformat kodiert.




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Zitationshilfe: Chamberlain, Houston Stewart: Die Grundlagen des Neunzehnten Jahrhunderts. Bd. 1. München 1899, S. 354. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/chamberlain_grundlagen01_1899/377>, abgerufen am 24.11.2024.