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Chamberlain, Houston Stewart: Die Grundlagen des Neunzehnten Jahrhunderts. Bd. 1. München 1899.

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Der Eintritt der Juden in die abendländische Geschichte.
sie nach und nach immer schärfere und einseitigere Ausprägung ge-
wannen, deutlich vorzuführen. Der Gelehrsamkeit bedarf es keineswegs;
denn auf die Frage: wer bist du? erteilt, wie schon bemerkt, der
Jude selber und gleichfalls sein Vorahne, der Israelit, von jeher die
klarste Antwort; dazu kommt dann die Summe wissenschaftlicher
Arbeit, von Ewald bis Wellhausen und Ramsay, von De Wette und
Reuss bis Duhm und Cheyne; wir haben nur das Facit zu ziehen,
wie es der praktische Mann braucht, der, inmitten des brausenden
Weltgetriebes, sein Urteil auf bestimmte Einsichten will gründen können.

Nur noch zwei, rein methodische Bemerkungen. Da früher,
namentlich in dem Kapitel über die Erscheinung Christi, schon ein-
gehend von den Juden die Rede war und dieses Thema im zweiten
Bande wieder auftauchen wird, so durfte sich der Verfasser hier auf die
Kernfrage beschränken und im Übrigen für manche Ausführung auf
bereits Gesagtes oder später zu Sagendes verweisen. Was andrerseits
die benutzten Autoren anbelangt, so war es nicht zu umgehen, dass
ausser der Bibel und einigen eingehend studierten neueren jüdischen
Schriftstellern, auch viele christliche Gelehrte zu Rate gezogen wurden;
für die Kenntnis der Propheten und für die richtige Auffassung ge-
schichtlicher Vorgänge war das unentbehrlich; jedoch sind diese Ge-
lehrten, selbst die freisinnigsten unter ihnen, lauter Männer, welche
für das jüdische Volk -- mindestens in seiner früheren Gestalt --
eine grosse, vielleicht übertriebene Bewunderung an den Tag legen,
und welche alle geneigt sind, dieses Volk als ein in irgend einem
Sinne religiös "auserwähltes" zu betrachten. Dagegen blieben ausge-
sprochene Antisemiten prinzipiell unberücksichtigt; es geschah im
Interesse der Darstellung.



Über einen Gegenstand, der mir ausserordentlich wichtig dünkt,Gliederung
der
Untersuchung.

hat die Wissenschaft der letzten Jahre viel Licht verbreitet, nämlich
über die Anthropogenie der Israeliten, d. h. über die physische
Entstehungsgeschichte dieser besonderen nationalen Rasse. Freilich
giebt es hier wie überall eine ewig unerforschliche Vergangenheit,
und ohne Zweifel wird auch Manches, was kühne Archäologen mehr
eigentlich mit den Fühlhörnern ihres wunderbar geübten Instinktes
abgetastet und erraten, als mit ihren Augen bis zur Evidenz erschaut
haben, durch neuere Forschungen und Entdeckungen noch weitgehende
Korrekturen erfahren. Doch das gilt uns hier gleich. Das Wichtige

Der Eintritt der Juden in die abendländische Geschichte.
sie nach und nach immer schärfere und einseitigere Ausprägung ge-
wannen, deutlich vorzuführen. Der Gelehrsamkeit bedarf es keineswegs;
denn auf die Frage: wer bist du? erteilt, wie schon bemerkt, der
Jude selber und gleichfalls sein Vorahne, der Israelit, von jeher die
klarste Antwort; dazu kommt dann die Summe wissenschaftlicher
Arbeit, von Ewald bis Wellhausen und Ramsay, von De Wette und
Reuss bis Duhm und Cheyne; wir haben nur das Facit zu ziehen,
wie es der praktische Mann braucht, der, inmitten des brausenden
Weltgetriebes, sein Urteil auf bestimmte Einsichten will gründen können.

Nur noch zwei, rein methodische Bemerkungen. Da früher,
namentlich in dem Kapitel über die Erscheinung Christi, schon ein-
gehend von den Juden die Rede war und dieses Thema im zweiten
Bande wieder auftauchen wird, so durfte sich der Verfasser hier auf die
Kernfrage beschränken und im Übrigen für manche Ausführung auf
bereits Gesagtes oder später zu Sagendes verweisen. Was andrerseits
die benutzten Autoren anbelangt, so war es nicht zu umgehen, dass
ausser der Bibel und einigen eingehend studierten neueren jüdischen
Schriftstellern, auch viele christliche Gelehrte zu Rate gezogen wurden;
für die Kenntnis der Propheten und für die richtige Auffassung ge-
schichtlicher Vorgänge war das unentbehrlich; jedoch sind diese Ge-
lehrten, selbst die freisinnigsten unter ihnen, lauter Männer, welche
für das jüdische Volk — mindestens in seiner früheren Gestalt —
eine grosse, vielleicht übertriebene Bewunderung an den Tag legen,
und welche alle geneigt sind, dieses Volk als ein in irgend einem
Sinne religiös »auserwähltes« zu betrachten. Dagegen blieben ausge-
sprochene Antisemiten prinzipiell unberücksichtigt; es geschah im
Interesse der Darstellung.



Über einen Gegenstand, der mir ausserordentlich wichtig dünkt,Gliederung
der
Untersuchung.

hat die Wissenschaft der letzten Jahre viel Licht verbreitet, nämlich
über die Anthropogenie der Israeliten, d. h. über die physische
Entstehungsgeschichte dieser besonderen nationalen Rasse. Freilich
giebt es hier wie überall eine ewig unerforschliche Vergangenheit,
und ohne Zweifel wird auch Manches, was kühne Archäologen mehr
eigentlich mit den Fühlhörnern ihres wunderbar geübten Instinktes
abgetastet und erraten, als mit ihren Augen bis zur Evidenz erschaut
haben, durch neuere Forschungen und Entdeckungen noch weitgehende
Korrekturen erfahren. Doch das gilt uns hier gleich. Das Wichtige

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[345/0368] Der Eintritt der Juden in die abendländische Geschichte. sie nach und nach immer schärfere und einseitigere Ausprägung ge- wannen, deutlich vorzuführen. Der Gelehrsamkeit bedarf es keineswegs; denn auf die Frage: wer bist du? erteilt, wie schon bemerkt, der Jude selber und gleichfalls sein Vorahne, der Israelit, von jeher die klarste Antwort; dazu kommt dann die Summe wissenschaftlicher Arbeit, von Ewald bis Wellhausen und Ramsay, von De Wette und Reuss bis Duhm und Cheyne; wir haben nur das Facit zu ziehen, wie es der praktische Mann braucht, der, inmitten des brausenden Weltgetriebes, sein Urteil auf bestimmte Einsichten will gründen können. Nur noch zwei, rein methodische Bemerkungen. Da früher, namentlich in dem Kapitel über die Erscheinung Christi, schon ein- gehend von den Juden die Rede war und dieses Thema im zweiten Bande wieder auftauchen wird, so durfte sich der Verfasser hier auf die Kernfrage beschränken und im Übrigen für manche Ausführung auf bereits Gesagtes oder später zu Sagendes verweisen. Was andrerseits die benutzten Autoren anbelangt, so war es nicht zu umgehen, dass ausser der Bibel und einigen eingehend studierten neueren jüdischen Schriftstellern, auch viele christliche Gelehrte zu Rate gezogen wurden; für die Kenntnis der Propheten und für die richtige Auffassung ge- schichtlicher Vorgänge war das unentbehrlich; jedoch sind diese Ge- lehrten, selbst die freisinnigsten unter ihnen, lauter Männer, welche für das jüdische Volk — mindestens in seiner früheren Gestalt — eine grosse, vielleicht übertriebene Bewunderung an den Tag legen, und welche alle geneigt sind, dieses Volk als ein in irgend einem Sinne religiös »auserwähltes« zu betrachten. Dagegen blieben ausge- sprochene Antisemiten prinzipiell unberücksichtigt; es geschah im Interesse der Darstellung. Über einen Gegenstand, der mir ausserordentlich wichtig dünkt, hat die Wissenschaft der letzten Jahre viel Licht verbreitet, nämlich über die Anthropogenie der Israeliten, d. h. über die physische Entstehungsgeschichte dieser besonderen nationalen Rasse. Freilich giebt es hier wie überall eine ewig unerforschliche Vergangenheit, und ohne Zweifel wird auch Manches, was kühne Archäologen mehr eigentlich mit den Fühlhörnern ihres wunderbar geübten Instinktes abgetastet und erraten, als mit ihren Augen bis zur Evidenz erschaut haben, durch neuere Forschungen und Entdeckungen noch weitgehende Korrekturen erfahren. Doch das gilt uns hier gleich. Das Wichtige Gliederung der Untersuchung.

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Zitationshilfe: Chamberlain, Houston Stewart: Die Grundlagen des Neunzehnten Jahrhunderts. Bd. 1. München 1899, S. 345. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/chamberlain_grundlagen01_1899/368>, abgerufen am 03.09.2024.