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Chamberlain, Houston Stewart: Die Grundlagen des Neunzehnten Jahrhunderts. Bd. 1. München 1899.

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Der Eintritt der Juden in die abendländische Geschichte.
Buches hingehört; mir lag jedoch daran, sofort und auf dem kürzesten
Wege den Einwurf zu entkräften -- der leider noch immer von
manchen Seiten zu gewärtigen ist -- es existiere gar keine "jüdische
Frage", woraus dann weiter zu folgern wäre, der Eintritt der Juden
in unsere Geschichte habe nichts zu bedeuten. Gerade Renan z. B.
liebte es in seinen alten Tagen, zu behaupten, es gebe gar keine
Juden -- ein so frivoler Witz, dass er eine Widerlegung nicht ver-
dient.1) Andere wiederum reden von Religion: es handle sich, so
sagen sie, lediglich um religiöse Differenzen. Wer das sagt, übersieht,
dass es gar keine jüdische Religion gäbe, wenn keine jüdische Nation
existierte. Diese existiert aber. Die jüdische Nomokratie (d. h. Herrschaft
des Gesetzes) vereinigt die Juden, zerstreut wie sie auch sein mögen
durch alle Länder der Welt, zu einem festen, einheitlichen, durchaus
politischen Gebilde, in welchem die Gemeinsamkeit des Blutes die
Gemeinsamkeit der Vergangenheit bezeugt und die Gemeinsamkeit der
Zukunft verbürgt. Wenn auch manche Elemente nicht im engeren
Sinne des Wortes reinjüdisch sind, so ist doch die Macht dieses
Blutes, verbunden mit der unvergleichlichen Macht der jüdischen Idee,
so gross, dass diese fremden Bestandteile schon längst assimiliert wurden;
sind doch fast zwei Jahrtausende vergangen seit der Zeit, wo die Juden
ihre vorübergehende Neigung zur Proselytenmacherei aufgaben. Freilich
muss man, wie ich im vorigen Kapitel ausführte, zwischen Juden edler und
Juden minder edler Abstammung unterscheiden; was aber die disparaten
Teile aneinander kettet ist (ausser der allmählichen Verschmelzung) die
zähe Existenz ihres nationalen Gedankens. Dieser Nationalgedanke
gipfelt in der unerschütterlichen Hoffnung auf die von Jahve verheissene
Weltherrschaft der Juden. Naive "Christgeborene" (wie Auerbach
sich in seiner Lebensskizze Spinoza's ausdrückt) wähnen, die Juden
hätten jene Hoffnung aufgegeben, doch irren sie gewaltig; denn "die
Existenz des Judentums ist von der Festhaltung der Messiashoffnung

1) Man sehe z. B. die Rede: Le Judaisme comme race et comme Religion.
Als Belohnung für diesen am 27. Januar 1883 gehaltenen Vortrag wurde Renan
sofort von der reinjüdischen, durch die Alliance Israelite ins Leben gerufene Societe
des etudes juives
aufgefordert, auch dort zu sprechen, was er, eingeführt durch Baron
Alphonse de Rothschild, am 26. Mai desselben Jahres that, und zwar mit einer
durch die speichelleckerische Schmeichelei, durch die Niedrigkeit der bekundeten,
wahrheitswidrigen, seinem eigenen Lebenswerke direkt widersprechenden Ge-
sinnung geradezu Ekel erregenden Rede: Identite originelle et separation graduelle
du Judaisme et du Christianisme.
Solche Erscheinungen gehören zu den charakte-
ristischen Zügen für die zweite Hälfte unseres 19. Jahrhunderts.

Der Eintritt der Juden in die abendländische Geschichte.
Buches hingehört; mir lag jedoch daran, sofort und auf dem kürzesten
Wege den Einwurf zu entkräften — der leider noch immer von
manchen Seiten zu gewärtigen ist — es existiere gar keine »jüdische
Frage«, woraus dann weiter zu folgern wäre, der Eintritt der Juden
in unsere Geschichte habe nichts zu bedeuten. Gerade Renan z. B.
liebte es in seinen alten Tagen, zu behaupten, es gebe gar keine
Juden — ein so frivoler Witz, dass er eine Widerlegung nicht ver-
dient.1) Andere wiederum reden von Religion: es handle sich, so
sagen sie, lediglich um religiöse Differenzen. Wer das sagt, übersieht,
dass es gar keine jüdische Religion gäbe, wenn keine jüdische Nation
existierte. Diese existiert aber. Die jüdische Nomokratie (d. h. Herrschaft
des Gesetzes) vereinigt die Juden, zerstreut wie sie auch sein mögen
durch alle Länder der Welt, zu einem festen, einheitlichen, durchaus
politischen Gebilde, in welchem die Gemeinsamkeit des Blutes die
Gemeinsamkeit der Vergangenheit bezeugt und die Gemeinsamkeit der
Zukunft verbürgt. Wenn auch manche Elemente nicht im engeren
Sinne des Wortes reinjüdisch sind, so ist doch die Macht dieses
Blutes, verbunden mit der unvergleichlichen Macht der jüdischen Idee,
so gross, dass diese fremden Bestandteile schon längst assimiliert wurden;
sind doch fast zwei Jahrtausende vergangen seit der Zeit, wo die Juden
ihre vorübergehende Neigung zur Proselytenmacherei aufgaben. Freilich
muss man, wie ich im vorigen Kapitel ausführte, zwischen Juden edler und
Juden minder edler Abstammung unterscheiden; was aber die disparaten
Teile aneinander kettet ist (ausser der allmählichen Verschmelzung) die
zähe Existenz ihres nationalen Gedankens. Dieser Nationalgedanke
gipfelt in der unerschütterlichen Hoffnung auf die von Jahve verheissene
Weltherrschaft der Juden. Naive »Christgeborene« (wie Auerbach
sich in seiner Lebensskizze Spinoza’s ausdrückt) wähnen, die Juden
hätten jene Hoffnung aufgegeben, doch irren sie gewaltig; denn »die
Existenz des Judentums ist von der Festhaltung der Messiashoffnung

1) Man sehe z. B. die Rede: Le Judaïsme comme race et comme Religion.
Als Belohnung für diesen am 27. Januar 1883 gehaltenen Vortrag wurde Renan
sofort von der reinjüdischen, durch die Alliance Israëlite ins Leben gerufene Société
des études juives
aufgefordert, auch dort zu sprechen, was er, eingeführt durch Baron
Alphonse de Rothschild, am 26. Mai desselben Jahres that, und zwar mit einer
durch die speichelleckerische Schmeichelei, durch die Niedrigkeit der bekundeten,
wahrheitswidrigen, seinem eigenen Lebenswerke direkt widersprechenden Ge-
sinnung geradezu Ekel erregenden Rede: Identité originelle et séparation graduelle
du Judaïsme et du Christianisme.
Solche Erscheinungen gehören zu den charakte-
ristischen Zügen für die zweite Hälfte unseres 19. Jahrhunderts.
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[327/0350] Der Eintritt der Juden in die abendländische Geschichte. Buches hingehört; mir lag jedoch daran, sofort und auf dem kürzesten Wege den Einwurf zu entkräften — der leider noch immer von manchen Seiten zu gewärtigen ist — es existiere gar keine »jüdische Frage«, woraus dann weiter zu folgern wäre, der Eintritt der Juden in unsere Geschichte habe nichts zu bedeuten. Gerade Renan z. B. liebte es in seinen alten Tagen, zu behaupten, es gebe gar keine Juden — ein so frivoler Witz, dass er eine Widerlegung nicht ver- dient. 1) Andere wiederum reden von Religion: es handle sich, so sagen sie, lediglich um religiöse Differenzen. Wer das sagt, übersieht, dass es gar keine jüdische Religion gäbe, wenn keine jüdische Nation existierte. Diese existiert aber. Die jüdische Nomokratie (d. h. Herrschaft des Gesetzes) vereinigt die Juden, zerstreut wie sie auch sein mögen durch alle Länder der Welt, zu einem festen, einheitlichen, durchaus politischen Gebilde, in welchem die Gemeinsamkeit des Blutes die Gemeinsamkeit der Vergangenheit bezeugt und die Gemeinsamkeit der Zukunft verbürgt. Wenn auch manche Elemente nicht im engeren Sinne des Wortes reinjüdisch sind, so ist doch die Macht dieses Blutes, verbunden mit der unvergleichlichen Macht der jüdischen Idee, so gross, dass diese fremden Bestandteile schon längst assimiliert wurden; sind doch fast zwei Jahrtausende vergangen seit der Zeit, wo die Juden ihre vorübergehende Neigung zur Proselytenmacherei aufgaben. Freilich muss man, wie ich im vorigen Kapitel ausführte, zwischen Juden edler und Juden minder edler Abstammung unterscheiden; was aber die disparaten Teile aneinander kettet ist (ausser der allmählichen Verschmelzung) die zähe Existenz ihres nationalen Gedankens. Dieser Nationalgedanke gipfelt in der unerschütterlichen Hoffnung auf die von Jahve verheissene Weltherrschaft der Juden. Naive »Christgeborene« (wie Auerbach sich in seiner Lebensskizze Spinoza’s ausdrückt) wähnen, die Juden hätten jene Hoffnung aufgegeben, doch irren sie gewaltig; denn »die Existenz des Judentums ist von der Festhaltung der Messiashoffnung 1) Man sehe z. B. die Rede: Le Judaïsme comme race et comme Religion. Als Belohnung für diesen am 27. Januar 1883 gehaltenen Vortrag wurde Renan sofort von der reinjüdischen, durch die Alliance Israëlite ins Leben gerufene Société des études juives aufgefordert, auch dort zu sprechen, was er, eingeführt durch Baron Alphonse de Rothschild, am 26. Mai desselben Jahres that, und zwar mit einer durch die speichelleckerische Schmeichelei, durch die Niedrigkeit der bekundeten, wahrheitswidrigen, seinem eigenen Lebenswerke direkt widersprechenden Ge- sinnung geradezu Ekel erregenden Rede: Identité originelle et séparation graduelle du Judaïsme et du Christianisme. Solche Erscheinungen gehören zu den charakte- ristischen Zügen für die zweite Hälfte unseres 19. Jahrhunderts.

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Zitationshilfe: Chamberlain, Houston Stewart: Die Grundlagen des Neunzehnten Jahrhunderts. Bd. 1. München 1899, S. 327. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/chamberlain_grundlagen01_1899/350>, abgerufen am 28.07.2024.