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Chamberlain, Houston Stewart: Die Grundlagen des Neunzehnten Jahrhunderts. Bd. 1. München 1899.

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Das Völkerchaos.
Herzschlag aneinandergeknüpften Bastarde, jener Versündigung an
dem Geschlechte der Menschen, die wir in dem Worte Völkerchaos
zusammengefasst haben -- sie bedeutete nicht das Niedersinken der
Nacht, sondern das Entreissen eines grossen Erbes aus unwürdigen
Händen, das Anbrechen eines neuen Tages.

Doch bis heute ist es uns noch nicht gelungen, alle Gifte jenes
Chaos aus unserem Blute zu entfernen. Auf weiten Gebieten behielt
schliesslich das Chaos doch die Oberhand. Überall wo der Germane
nicht so zahlreich auftrat, um physisch die übrigen Einwohner durch
Assimilation zu überwinden, also namentlich im Süden, machte sich
das chaotische Element immer mehr geltend. Ein Blick auf unseren
heutigen Zustand zeigt, wo Kraft ist, wo nicht, und wie dies von
der Zusammensetzung der Rassen abhängt. Ich weiss nicht, ob man
schon bemerkt hat, wie eigentümlich genau die heutige Grenze der
römischen Universalkirche mit der früher bezeichneten durchschnittlichen
Grenze des römischen Imperiums zusammenfällt, also mit der Grenze
der chaotischen Bastardierung? Der östliche Teil fällt freilich weg,
weil hier (in Serbien, Bosnien u. s. w.) die slavischen Einwanderer des
8. Jahrhunderts und die Bulgaren alles Fremde niedermachten; in
wenigen Gegenden des heutigen Europa ist die Rasse so ungemischt,
und reine Slaven haben niemals die römische Kirche angenommen.
Auch an anderen Stellen giebt es hier und da ein Hinüber- und ein
Herübergreifen über die frühere Grenzlinie, doch nur um ein Weniges,
das überdies leicht durch politische Verhältnisse zu erklären wäre. Im
Ganzen ist die Übereinstimmung auffallend genug, um zu ernsten
Gedanken anzuregen: Hispanien, Italien, Gallien, die Rheingegenden,
die Länder südlich von der Donau! Noch ist es erst Morgen und
immer wieder strecken die Mächte der Finsternis ihre Polypenarme
aus, saugen sich an hundert Orten an uns fest und suchen uns in
das Dunkel, aus dem wir hinausstrebten, zurückzuziehen. Ein Urteil
über diese scheinbar höchst verwickelten, in Wahrheit durchsichtigen
Verhältnisse erlangen wir weniger durch ausführliches chronistisches
Detailwissen, als durch die klare Erkenntnis der in diesem Kapitel
vorgetragenen geschichtlichen Grundthatsachen.



Das Völkerchaos.
Herzschlag aneinandergeknüpften Bastarde, jener Versündigung an
dem Geschlechte der Menschen, die wir in dem Worte Völkerchaos
zusammengefasst haben — sie bedeutete nicht das Niedersinken der
Nacht, sondern das Entreissen eines grossen Erbes aus unwürdigen
Händen, das Anbrechen eines neuen Tages.

Doch bis heute ist es uns noch nicht gelungen, alle Gifte jenes
Chaos aus unserem Blute zu entfernen. Auf weiten Gebieten behielt
schliesslich das Chaos doch die Oberhand. Überall wo der Germane
nicht so zahlreich auftrat, um physisch die übrigen Einwohner durch
Assimilation zu überwinden, also namentlich im Süden, machte sich
das chaotische Element immer mehr geltend. Ein Blick auf unseren
heutigen Zustand zeigt, wo Kraft ist, wo nicht, und wie dies von
der Zusammensetzung der Rassen abhängt. Ich weiss nicht, ob man
schon bemerkt hat, wie eigentümlich genau die heutige Grenze der
römischen Universalkirche mit der früher bezeichneten durchschnittlichen
Grenze des römischen Imperiums zusammenfällt, also mit der Grenze
der chaotischen Bastardierung? Der östliche Teil fällt freilich weg,
weil hier (in Serbien, Bosnien u. s. w.) die slavischen Einwanderer des
8. Jahrhunderts und die Bulgaren alles Fremde niedermachten; in
wenigen Gegenden des heutigen Europa ist die Rasse so ungemischt,
und reine Slaven haben niemals die römische Kirche angenommen.
Auch an anderen Stellen giebt es hier und da ein Hinüber- und ein
Herübergreifen über die frühere Grenzlinie, doch nur um ein Weniges,
das überdies leicht durch politische Verhältnisse zu erklären wäre. Im
Ganzen ist die Übereinstimmung auffallend genug, um zu ernsten
Gedanken anzuregen: Hispanien, Italien, Gallien, die Rheingegenden,
die Länder südlich von der Donau! Noch ist es erst Morgen und
immer wieder strecken die Mächte der Finsternis ihre Polypenarme
aus, saugen sich an hundert Orten an uns fest und suchen uns in
das Dunkel, aus dem wir hinausstrebten, zurückzuziehen. Ein Urteil
über diese scheinbar höchst verwickelten, in Wahrheit durchsichtigen
Verhältnisse erlangen wir weniger durch ausführliches chronistisches
Detailwissen, als durch die klare Erkenntnis der in diesem Kapitel
vorgetragenen geschichtlichen Grundthatsachen.



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[319/0342] Das Völkerchaos. Herzschlag aneinandergeknüpften Bastarde, jener Versündigung an dem Geschlechte der Menschen, die wir in dem Worte Völkerchaos zusammengefasst haben — sie bedeutete nicht das Niedersinken der Nacht, sondern das Entreissen eines grossen Erbes aus unwürdigen Händen, das Anbrechen eines neuen Tages. Doch bis heute ist es uns noch nicht gelungen, alle Gifte jenes Chaos aus unserem Blute zu entfernen. Auf weiten Gebieten behielt schliesslich das Chaos doch die Oberhand. Überall wo der Germane nicht so zahlreich auftrat, um physisch die übrigen Einwohner durch Assimilation zu überwinden, also namentlich im Süden, machte sich das chaotische Element immer mehr geltend. Ein Blick auf unseren heutigen Zustand zeigt, wo Kraft ist, wo nicht, und wie dies von der Zusammensetzung der Rassen abhängt. Ich weiss nicht, ob man schon bemerkt hat, wie eigentümlich genau die heutige Grenze der römischen Universalkirche mit der früher bezeichneten durchschnittlichen Grenze des römischen Imperiums zusammenfällt, also mit der Grenze der chaotischen Bastardierung? Der östliche Teil fällt freilich weg, weil hier (in Serbien, Bosnien u. s. w.) die slavischen Einwanderer des 8. Jahrhunderts und die Bulgaren alles Fremde niedermachten; in wenigen Gegenden des heutigen Europa ist die Rasse so ungemischt, und reine Slaven haben niemals die römische Kirche angenommen. Auch an anderen Stellen giebt es hier und da ein Hinüber- und ein Herübergreifen über die frühere Grenzlinie, doch nur um ein Weniges, das überdies leicht durch politische Verhältnisse zu erklären wäre. Im Ganzen ist die Übereinstimmung auffallend genug, um zu ernsten Gedanken anzuregen: Hispanien, Italien, Gallien, die Rheingegenden, die Länder südlich von der Donau! Noch ist es erst Morgen und immer wieder strecken die Mächte der Finsternis ihre Polypenarme aus, saugen sich an hundert Orten an uns fest und suchen uns in das Dunkel, aus dem wir hinausstrebten, zurückzuziehen. Ein Urteil über diese scheinbar höchst verwickelten, in Wahrheit durchsichtigen Verhältnisse erlangen wir weniger durch ausführliches chronistisches Detailwissen, als durch die klare Erkenntnis der in diesem Kapitel vorgetragenen geschichtlichen Grundthatsachen.

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Zitationshilfe: Chamberlain, Houston Stewart: Die Grundlagen des Neunzehnten Jahrhunderts. Bd. 1. München 1899, S. 319. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/chamberlain_grundlagen01_1899/342>, abgerufen am 25.11.2024.