goten, umfassende Massregeln zum Schutz und zur Ausbesserung der römischen Denkmäler zu treffen. Dieser Mann konnte nicht schreiben, seine Unterschrift musste er durch eine Metallschablone durchzeichnen, -- das Schöne aber, an welchem die einzig mit ihrer "Bildung", ihrer Jagd nach Ämtern und Auszeichnungen, ihrer Goldgier beschäftigten Bastardenseelen achtlos vorübergingen, das Schöne, welches den edleren Geistern des Völkerchaos als ein Werk des Teufels verhasst war, der Gote verstand sofort es zu schätzen; die Bildwerke Roms erregten dermassen seine Bewunderung, dass er einen besonderen Beamten zu ihrem Schutze ernannte. Auch die religiöse Toleranz blitzte vorübergehend überall dort auf, wo der noch unverdorbene Germane Herr wurde. Bald traten auch die grossen christlichen Bekehrer auf, alles Männer aus dem hohen Norden, Männer, die nicht durch "fromme Lügen", sondern durch die Reinheit ihrer Herzen überzeugten.
Lediglich der falsche Begriff eines Mittelalters ist es, im Bunde mit der Unwissenheit in Bezug auf die Bedeutung von Rasse, der zu der bedauerlichen Vorstellung führt: der Eintritt der rauhen Germanen bedeute das Einbrechen einer tiefen Nacht über Europa. Es ist un- begreiflich, wie solche Hallucinationen so lange vorhalten können. Will man wissen, wohin die imperiale Afterkultur noch hätte führen können, so schaue man sich um in der Geschichte, in der Litteratur und in der Wissenschaft des späteren Byzanz, an denen unsere Historiker gerade heute mit einer Ausdauer arbeiten, einer besseren Sache würdig. Es ist ein jämmerliches Schauspiel. Dagegen wirkt die Besitznahme des west- römischen Reiches durch die Barbaren wie das: Es werde Licht! der Bibel. Freilich musste ihr Wirken zunächst der politischen, nicht der civilisatorischen Gestaltung gelten, und das war ein schwieriges Werk, welches heute noch nicht ganz beendet ist. War das aber ein Ge- ringes? Wodurch hat denn Europa Physiognomie und Bedeutung, wodurch seine geistigmoralische Präponderanz erhalten, wenn nicht durch die Begründung und Ausbildung von Nationen? Gerade dieses Werk war die Erlösung aus dem Chaos. Wenn wir heute etwas sind, wenn wir hoffen dürfen, vielleicht noch etwas mehr zu werden, so verdanken wir es in erster Reihe jener politischen Um- gestaltung, welche im 5. Jahrhundert (nach langen Vorbereitungen) begann, und aus der im Laufe der Zeit neue grosse Volksrassen, herrliche neue Sprachen, eine neue, zu den kühnsten Hoffnungen verlockende Kultur entsprangen. Dietrich von Bern, der starke und
Das Völkerchaos.
goten, umfassende Massregeln zum Schutz und zur Ausbesserung der römischen Denkmäler zu treffen. Dieser Mann konnte nicht schreiben, seine Unterschrift musste er durch eine Metallschablone durchzeichnen, — das Schöne aber, an welchem die einzig mit ihrer »Bildung«, ihrer Jagd nach Ämtern und Auszeichnungen, ihrer Goldgier beschäftigten Bastardenseelen achtlos vorübergingen, das Schöne, welches den edleren Geistern des Völkerchaos als ein Werk des Teufels verhasst war, der Gote verstand sofort es zu schätzen; die Bildwerke Roms erregten dermassen seine Bewunderung, dass er einen besonderen Beamten zu ihrem Schutze ernannte. Auch die religiöse Toleranz blitzte vorübergehend überall dort auf, wo der noch unverdorbene Germane Herr wurde. Bald traten auch die grossen christlichen Bekehrer auf, alles Männer aus dem hohen Norden, Männer, die nicht durch »fromme Lügen«, sondern durch die Reinheit ihrer Herzen überzeugten.
Lediglich der falsche Begriff eines Mittelalters ist es, im Bunde mit der Unwissenheit in Bezug auf die Bedeutung von Rasse, der zu der bedauerlichen Vorstellung führt: der Eintritt der rauhen Germanen bedeute das Einbrechen einer tiefen Nacht über Europa. Es ist un- begreiflich, wie solche Hallucinationen so lange vorhalten können. Will man wissen, wohin die imperiale Afterkultur noch hätte führen können, so schaue man sich um in der Geschichte, in der Litteratur und in der Wissenschaft des späteren Byzanz, an denen unsere Historiker gerade heute mit einer Ausdauer arbeiten, einer besseren Sache würdig. Es ist ein jämmerliches Schauspiel. Dagegen wirkt die Besitznahme des west- römischen Reiches durch die Barbaren wie das: Es werde Licht! der Bibel. Freilich musste ihr Wirken zunächst der politischen, nicht der civilisatorischen Gestaltung gelten, und das war ein schwieriges Werk, welches heute noch nicht ganz beendet ist. War das aber ein Ge- ringes? Wodurch hat denn Europa Physiognomie und Bedeutung, wodurch seine geistigmoralische Präponderanz erhalten, wenn nicht durch die Begründung und Ausbildung von Nationen? Gerade dieses Werk war die Erlösung aus dem Chaos. Wenn wir heute etwas sind, wenn wir hoffen dürfen, vielleicht noch etwas mehr zu werden, so verdanken wir es in erster Reihe jener politischen Um- gestaltung, welche im 5. Jahrhundert (nach langen Vorbereitungen) begann, und aus der im Laufe der Zeit neue grosse Volksrassen, herrliche neue Sprachen, eine neue, zu den kühnsten Hoffnungen verlockende Kultur entsprangen. Dietrich von Bern, der starke und
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Das Völkerchaos.
goten, umfassende Massregeln zum Schutz und zur Ausbesserung der
römischen Denkmäler zu treffen. Dieser Mann konnte nicht schreiben,
seine Unterschrift musste er durch eine Metallschablone durchzeichnen, —
das Schöne aber, an welchem die einzig mit ihrer »Bildung«, ihrer
Jagd nach Ämtern und Auszeichnungen, ihrer Goldgier beschäftigten
Bastardenseelen achtlos vorübergingen, das Schöne, welches den
edleren Geistern des Völkerchaos als ein Werk des Teufels verhasst
war, der Gote verstand sofort es zu schätzen; die Bildwerke Roms
erregten dermassen seine Bewunderung, dass er einen besonderen
Beamten zu ihrem Schutze ernannte. Auch die religiöse Toleranz
blitzte vorübergehend überall dort auf, wo der noch unverdorbene
Germane Herr wurde. Bald traten auch die grossen christlichen
Bekehrer auf, alles Männer aus dem hohen Norden, Männer, die
nicht durch »fromme Lügen«, sondern durch die Reinheit ihrer
Herzen überzeugten.
Lediglich der falsche Begriff eines Mittelalters ist es, im Bunde
mit der Unwissenheit in Bezug auf die Bedeutung von Rasse, der zu
der bedauerlichen Vorstellung führt: der Eintritt der rauhen Germanen
bedeute das Einbrechen einer tiefen Nacht über Europa. Es ist un-
begreiflich, wie solche Hallucinationen so lange vorhalten können. Will
man wissen, wohin die imperiale Afterkultur noch hätte führen können,
so schaue man sich um in der Geschichte, in der Litteratur und in der
Wissenschaft des späteren Byzanz, an denen unsere Historiker gerade
heute mit einer Ausdauer arbeiten, einer besseren Sache würdig. Es ist
ein jämmerliches Schauspiel. Dagegen wirkt die Besitznahme des west-
römischen Reiches durch die Barbaren wie das: Es werde Licht! der
Bibel. Freilich musste ihr Wirken zunächst der politischen, nicht der
civilisatorischen Gestaltung gelten, und das war ein schwieriges Werk,
welches heute noch nicht ganz beendet ist. War das aber ein Ge-
ringes? Wodurch hat denn Europa Physiognomie und Bedeutung,
wodurch seine geistigmoralische Präponderanz erhalten, wenn nicht
durch die Begründung und Ausbildung von Nationen? Gerade
dieses Werk war die Erlösung aus dem Chaos. Wenn wir heute
etwas sind, wenn wir hoffen dürfen, vielleicht noch etwas mehr zu
werden, so verdanken wir es in erster Reihe jener politischen Um-
gestaltung, welche im 5. Jahrhundert (nach langen Vorbereitungen)
begann, und aus der im Laufe der Zeit neue grosse Volksrassen,
herrliche neue Sprachen, eine neue, zu den kühnsten Hoffnungen
verlockende Kultur entsprangen. Dietrich von Bern, der starke und
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Chamberlain, Houston Stewart: Die Grundlagen des Neunzehnten Jahrhunderts. Bd. 1. München 1899, S. 315. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/chamberlain_grundlagen01_1899/338>, abgerufen am 23.02.2025.
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