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Chamberlain, Houston Stewart: Die Grundlagen des Neunzehnten Jahrhunderts. Bd. 1. München 1899.

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Die Erben.
Voreingenommenheit zu urteilen, wolle man vom eignen reinreligiösen
Standpunkt absehen, und dann frage man sich, ob es in diesem so
eminenten Kopfe nicht heillos chaotisch zuging? Jüdischer Jahveglaube,
hellenische Mythologie, alexandrinischer Neoplatonismus, römische
Hieratik, paulinische Theophanie, der Blick auf den Gekreuzigten ....
alles das ist in seiner Vorstellungswelt durcheinander geworfen.
Manche ungleich höherstehenden -- weil eben reinen, rassenechten --
religiösen Gedanken eines Origenes muss Augustinus des hebräischen
Materialismus wegen verwerfen, zugleich führt aber gerade er die
urarische Vorstellung von der Notwendigkeit als Prädestination in die
Theologie ein, wodurch das Urdogma alles Judentums, die unbedingte
Willkür des Willens, in die Brüche geht.1) Zwölf Jahre schreibt er an
einem Buche gegen die heidnischen Götter, glaubt jedoch selber an
ihre Existenz in einem so handgreiflichen, fetischistischen Sinne wie
seit tausend Jahren vor ihm kein kultivierter Grieche; er hält sie
nämlich für Dämonen und als solche für Geschöpfe Gottes; man
dürfe nur nicht, meint er, sie für Schöpfer halten ("immundos
spiritus esse et perniciosa daemonia, vel certe creaturas non Creatorem,
veritas christiana convincit").
In seinem Hauptwerk De civitate Dei
streitet Augustinus Kapitel lang mit seinem Landsmann Apulejus über
die Natur der Dämonen und sonstiger guter und schlechter Geister,
bestrebt, sie, wenn auch nicht zu leugnen, so doch zu einem gering-
fügigen einflusslosen Element herabzudrücken und somit wüsten Aber-
glauben durch echte Religion zu ersetzen; nichtsdestoweniger neigt er
allen Ernstes zu der Ansicht, Apulejus selber sei durch die Salbe der
thessalischen Hexe in einen Esel verwandelt worden! was um so
komischer wirkt, als Apulejus zwar Manches über Dämonen geschrieben,
niemals aber daran gedacht hatte, diese Verwandlung für eine wahre
Begebenheit auszugeben, als er seinen Roman: Die Metamorphosen

1) Zwar ist Augustinus so vorsichtig wie nur möglich; so sagt er z. B. von
dem Vorherwissen Gottes und dem dieser Annahme widersprechenden freien
Willen des Menschen: "Wir umarmen beide Überzeugungen, wir bekennen uns
zu beiden, treu und wahrhaftig; zu jener, damit wir rechtgläubig seien, zu dieser,
damit wir tugendhaft leben" (illud, ut bene credamus; hoc, ut bene vivamus); vergl.
De civ. Dei V. 10. Hiermit hängt dann jene weitere Frage eng zusammen, ob
Gott selber "frei" sei oder unter dem Gesetz stehe; der Intellekt neigt bei Augus-
tinus offenbar zu letzterer Annahme, sein dogmatisches Glaubensbekenntnis zu
ersterer. Ist eine Handlung schlecht, weil Gott sie verboten hat, oder musste sie
Gott verbieten, weil sie schlecht ist? In seinem Contra mendacium, c. 15, spricht
sich Augustinus für die zweite Alternative aus; in anderen Schriften für die erste.

Die Erben.
Voreingenommenheit zu urteilen, wolle man vom eignen reinreligiösen
Standpunkt absehen, und dann frage man sich, ob es in diesem so
eminenten Kopfe nicht heillos chaotisch zuging? Jüdischer Jahveglaube,
hellenische Mythologie, alexandrinischer Neoplatonismus, römische
Hieratik, paulinische Theophanie, der Blick auf den Gekreuzigten ....
alles das ist in seiner Vorstellungswelt durcheinander geworfen.
Manche ungleich höherstehenden — weil eben reinen, rassenechten —
religiösen Gedanken eines Origenes muss Augustinus des hebräischen
Materialismus wegen verwerfen, zugleich führt aber gerade er die
urarische Vorstellung von der Notwendigkeit als Prädestination in die
Theologie ein, wodurch das Urdogma alles Judentums, die unbedingte
Willkür des Willens, in die Brüche geht.1) Zwölf Jahre schreibt er an
einem Buche gegen die heidnischen Götter, glaubt jedoch selber an
ihre Existenz in einem so handgreiflichen, fetischistischen Sinne wie
seit tausend Jahren vor ihm kein kultivierter Grieche; er hält sie
nämlich für Dämonen und als solche für Geschöpfe Gottes; man
dürfe nur nicht, meint er, sie für Schöpfer halten (»immundos
spiritus esse et perniciosa daemonia, vel certe creaturas non Creatorem,
veritas christiana convincit«).
In seinem Hauptwerk De civitate Dei
streitet Augustinus Kapitel lang mit seinem Landsmann Apulejus über
die Natur der Dämonen und sonstiger guter und schlechter Geister,
bestrebt, sie, wenn auch nicht zu leugnen, so doch zu einem gering-
fügigen einflusslosen Element herabzudrücken und somit wüsten Aber-
glauben durch echte Religion zu ersetzen; nichtsdestoweniger neigt er
allen Ernstes zu der Ansicht, Apulejus selber sei durch die Salbe der
thessalischen Hexe in einen Esel verwandelt worden! was um so
komischer wirkt, als Apulejus zwar Manches über Dämonen geschrieben,
niemals aber daran gedacht hatte, diese Verwandlung für eine wahre
Begebenheit auszugeben, als er seinen Roman: Die Metamorphosen

1) Zwar ist Augustinus so vorsichtig wie nur möglich; so sagt er z. B. von
dem Vorherwissen Gottes und dem dieser Annahme widersprechenden freien
Willen des Menschen: »Wir umarmen beide Überzeugungen, wir bekennen uns
zu beiden, treu und wahrhaftig; zu jener, damit wir rechtgläubig seien, zu dieser,
damit wir tugendhaft leben« (illud, ut bene credamus; hoc, ut bene vivamus); vergl.
De civ. Dei V. 10. Hiermit hängt dann jene weitere Frage eng zusammen, ob
Gott selber »frei« sei oder unter dem Gesetz stehe; der Intellekt neigt bei Augus-
tinus offenbar zu letzterer Annahme, sein dogmatisches Glaubensbekenntnis zu
ersterer. Ist eine Handlung schlecht, weil Gott sie verboten hat, oder musste sie
Gott verbieten, weil sie schlecht ist? In seinem Contra mendacium, c. 15, spricht
sich Augustinus für die zweite Alternative aus; in anderen Schriften für die erste.
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[306/0329] Die Erben. Voreingenommenheit zu urteilen, wolle man vom eignen reinreligiösen Standpunkt absehen, und dann frage man sich, ob es in diesem so eminenten Kopfe nicht heillos chaotisch zuging? Jüdischer Jahveglaube, hellenische Mythologie, alexandrinischer Neoplatonismus, römische Hieratik, paulinische Theophanie, der Blick auf den Gekreuzigten .... alles das ist in seiner Vorstellungswelt durcheinander geworfen. Manche ungleich höherstehenden — weil eben reinen, rassenechten — religiösen Gedanken eines Origenes muss Augustinus des hebräischen Materialismus wegen verwerfen, zugleich führt aber gerade er die urarische Vorstellung von der Notwendigkeit als Prädestination in die Theologie ein, wodurch das Urdogma alles Judentums, die unbedingte Willkür des Willens, in die Brüche geht. 1) Zwölf Jahre schreibt er an einem Buche gegen die heidnischen Götter, glaubt jedoch selber an ihre Existenz in einem so handgreiflichen, fetischistischen Sinne wie seit tausend Jahren vor ihm kein kultivierter Grieche; er hält sie nämlich für Dämonen und als solche für Geschöpfe Gottes; man dürfe nur nicht, meint er, sie für Schöpfer halten (»immundos spiritus esse et perniciosa daemonia, vel certe creaturas non Creatorem, veritas christiana convincit«). In seinem Hauptwerk De civitate Dei streitet Augustinus Kapitel lang mit seinem Landsmann Apulejus über die Natur der Dämonen und sonstiger guter und schlechter Geister, bestrebt, sie, wenn auch nicht zu leugnen, so doch zu einem gering- fügigen einflusslosen Element herabzudrücken und somit wüsten Aber- glauben durch echte Religion zu ersetzen; nichtsdestoweniger neigt er allen Ernstes zu der Ansicht, Apulejus selber sei durch die Salbe der thessalischen Hexe in einen Esel verwandelt worden! was um so komischer wirkt, als Apulejus zwar Manches über Dämonen geschrieben, niemals aber daran gedacht hatte, diese Verwandlung für eine wahre Begebenheit auszugeben, als er seinen Roman: Die Metamorphosen 1) Zwar ist Augustinus so vorsichtig wie nur möglich; so sagt er z. B. von dem Vorherwissen Gottes und dem dieser Annahme widersprechenden freien Willen des Menschen: »Wir umarmen beide Überzeugungen, wir bekennen uns zu beiden, treu und wahrhaftig; zu jener, damit wir rechtgläubig seien, zu dieser, damit wir tugendhaft leben« (illud, ut bene credamus; hoc, ut bene vivamus); vergl. De civ. Dei V. 10. Hiermit hängt dann jene weitere Frage eng zusammen, ob Gott selber »frei« sei oder unter dem Gesetz stehe; der Intellekt neigt bei Augus- tinus offenbar zu letzterer Annahme, sein dogmatisches Glaubensbekenntnis zu ersterer. Ist eine Handlung schlecht, weil Gott sie verboten hat, oder musste sie Gott verbieten, weil sie schlecht ist? In seinem Contra mendacium, c. 15, spricht sich Augustinus für die zweite Alternative aus; in anderen Schriften für die erste.

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Zitationshilfe: Chamberlain, Houston Stewart: Die Grundlagen des Neunzehnten Jahrhunderts. Bd. 1. München 1899, S. 306. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/chamberlain_grundlagen01_1899/329>, abgerufen am 26.11.2024.