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Chamberlain, Houston Stewart: Die Grundlagen des Neunzehnten Jahrhunderts. Bd. 1. München 1899.

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Die Erben.
Station ihrer langsamen Wanderung haften und verschmolzen dort
mit den früheren Einwohnern. Ja, diese ursprünglichen Dorier selber,
die uns als ein besonders einheitliches Ganzes vorschweben, wussten
in alter Zeit, dass sie aus drei verschiedenen Stämmen zusammen-
gesetzt waren, von denen der eine ausserdem der Stamm der Pam-
phylen
hiess, d. h., "der Stamm der Leute von allerlei Herkunft".
Wo die glücklichste Mischung vor sich ging, da entstand die über-
schwänglichste Begabung: in Neu-Ionien und in Attika. In Neu-
Ionien "kamen Griechen zu Griechen, es kamen Ionier in ihre alte
Heimat, aber sie kamen so umgewandelt, dass aus der neuen Ver-
einigung des ursprünglich Verwandten eine durchaus nationale, aber
zugleich ungemein gesteigerte, reiche und in ihrem Ergebnisse voll-
ständig neue Entwickelung in dem alten Ionierlande anhob". Am
lehrreichsten ist aber die Entstehungsgeschichte des attischen, speziell
des atheniensischen Volkes. Gerade in Attika (wie sonst einzig in
Arkadien) blieb die ursprüngliche pelasgische Bevölkerung festhaften,
"sie wurde niemals von fremder Gewalt ausgetrieben". Das zum
Inselmeer gehörige Küstenland lud aber zur Einwanderung; diese
kam auch von allen Seiten; und während die fremden Phönicier nur
auf den benachbarten Inseln Handelsstationen gründeten, drangen die
stammverwandten Griechen von diesseits und jenseits des Meeres ins
Innere ein und vermischten sich nach und nach mit den früheren
Einwohnern. Nun kam die Zeit der vorhin erwähnten dorischen
Völkerwanderung und der grossen, langanhaltenden Umwälzungen;
Attika allein blieb verschont; und da flüchteten neuerdings aus allen
Himmelsrichtungen viele dorthin aus Böotien, Achaja und Messenien,
aus Argos und Ägina u. s. w.; diese neuen Einwanderer stellten aber
nicht ganze Bevölkerungen dar, sondern waren in der überwiegenden
Mehrzahl ausgewählte Männer, Männer aus erlauchtem, oft königlichem
Geschlecht. Durch sie fand eine ungewöhnliche Bereicherung des
einen kleinen Landes an echtem, gezüchtetem Rassenadel statt. Dann
erst, also erst aus einer bunten Vermischung, entstand jenes Athen,
welchem die Menschheit mehr verdankt als je auszurechnen wäre.1) --

1) Siehe Curtius: Griechische Geschichte, Buch I, Kap. 4 und Buch II, Kap.
1 und 2. -- Dass Graf Gobineau lehrt, die ausserordentliche geistige und nament-
lich künstlerische Begabung der Griechen sei auf eine Infiltration semitischen
Blutes zurückzuführen, zeigt, zu welchen unsinnigen Annahmen man durch falsche,
künstliche, der Geschichte und der Naturbeobachtung widersprechende Grund-
hypothesen gedrängt wird.

Die Erben.
Station ihrer langsamen Wanderung haften und verschmolzen dort
mit den früheren Einwohnern. Ja, diese ursprünglichen Dorier selber,
die uns als ein besonders einheitliches Ganzes vorschweben, wussten
in alter Zeit, dass sie aus drei verschiedenen Stämmen zusammen-
gesetzt waren, von denen der eine ausserdem der Stamm der Pam-
phylen
hiess, d. h., »der Stamm der Leute von allerlei Herkunft«.
Wo die glücklichste Mischung vor sich ging, da entstand die über-
schwänglichste Begabung: in Neu-Ionien und in Attika. In Neu-
Ionien »kamen Griechen zu Griechen, es kamen Ionier in ihre alte
Heimat, aber sie kamen so umgewandelt, dass aus der neuen Ver-
einigung des ursprünglich Verwandten eine durchaus nationale, aber
zugleich ungemein gesteigerte, reiche und in ihrem Ergebnisse voll-
ständig neue Entwickelung in dem alten Ionierlande anhob«. Am
lehrreichsten ist aber die Entstehungsgeschichte des attischen, speziell
des atheniensischen Volkes. Gerade in Attika (wie sonst einzig in
Arkadien) blieb die ursprüngliche pelasgische Bevölkerung festhaften,
»sie wurde niemals von fremder Gewalt ausgetrieben«. Das zum
Inselmeer gehörige Küstenland lud aber zur Einwanderung; diese
kam auch von allen Seiten; und während die fremden Phönicier nur
auf den benachbarten Inseln Handelsstationen gründeten, drangen die
stammverwandten Griechen von diesseits und jenseits des Meeres ins
Innere ein und vermischten sich nach und nach mit den früheren
Einwohnern. Nun kam die Zeit der vorhin erwähnten dorischen
Völkerwanderung und der grossen, langanhaltenden Umwälzungen;
Attika allein blieb verschont; und da flüchteten neuerdings aus allen
Himmelsrichtungen viele dorthin aus Böotien, Achaja und Messenien,
aus Argos und Ägina u. s. w.; diese neuen Einwanderer stellten aber
nicht ganze Bevölkerungen dar, sondern waren in der überwiegenden
Mehrzahl ausgewählte Männer, Männer aus erlauchtem, oft königlichem
Geschlecht. Durch sie fand eine ungewöhnliche Bereicherung des
einen kleinen Landes an echtem, gezüchtetem Rassenadel statt. Dann
erst, also erst aus einer bunten Vermischung, entstand jenes Athen,
welchem die Menschheit mehr verdankt als je auszurechnen wäre.1)

1) Siehe Curtius: Griechische Geschichte, Buch I, Kap. 4 und Buch II, Kap.
1 und 2. — Dass Graf Gobineau lehrt, die ausserordentliche geistige und nament-
lich künstlerische Begabung der Griechen sei auf eine Infiltration semitischen
Blutes zurückzuführen, zeigt, zu welchen unsinnigen Annahmen man durch falsche,
künstliche, der Geschichte und der Naturbeobachtung widersprechende Grund-
hypothesen gedrängt wird.
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[280/0303] Die Erben. Station ihrer langsamen Wanderung haften und verschmolzen dort mit den früheren Einwohnern. Ja, diese ursprünglichen Dorier selber, die uns als ein besonders einheitliches Ganzes vorschweben, wussten in alter Zeit, dass sie aus drei verschiedenen Stämmen zusammen- gesetzt waren, von denen der eine ausserdem der Stamm der Pam- phylen hiess, d. h., »der Stamm der Leute von allerlei Herkunft«. Wo die glücklichste Mischung vor sich ging, da entstand die über- schwänglichste Begabung: in Neu-Ionien und in Attika. In Neu- Ionien »kamen Griechen zu Griechen, es kamen Ionier in ihre alte Heimat, aber sie kamen so umgewandelt, dass aus der neuen Ver- einigung des ursprünglich Verwandten eine durchaus nationale, aber zugleich ungemein gesteigerte, reiche und in ihrem Ergebnisse voll- ständig neue Entwickelung in dem alten Ionierlande anhob«. Am lehrreichsten ist aber die Entstehungsgeschichte des attischen, speziell des atheniensischen Volkes. Gerade in Attika (wie sonst einzig in Arkadien) blieb die ursprüngliche pelasgische Bevölkerung festhaften, »sie wurde niemals von fremder Gewalt ausgetrieben«. Das zum Inselmeer gehörige Küstenland lud aber zur Einwanderung; diese kam auch von allen Seiten; und während die fremden Phönicier nur auf den benachbarten Inseln Handelsstationen gründeten, drangen die stammverwandten Griechen von diesseits und jenseits des Meeres ins Innere ein und vermischten sich nach und nach mit den früheren Einwohnern. Nun kam die Zeit der vorhin erwähnten dorischen Völkerwanderung und der grossen, langanhaltenden Umwälzungen; Attika allein blieb verschont; und da flüchteten neuerdings aus allen Himmelsrichtungen viele dorthin aus Böotien, Achaja und Messenien, aus Argos und Ägina u. s. w.; diese neuen Einwanderer stellten aber nicht ganze Bevölkerungen dar, sondern waren in der überwiegenden Mehrzahl ausgewählte Männer, Männer aus erlauchtem, oft königlichem Geschlecht. Durch sie fand eine ungewöhnliche Bereicherung des einen kleinen Landes an echtem, gezüchtetem Rassenadel statt. Dann erst, also erst aus einer bunten Vermischung, entstand jenes Athen, welchem die Menschheit mehr verdankt als je auszurechnen wäre. 1) — 1) Siehe Curtius: Griechische Geschichte, Buch I, Kap. 4 und Buch II, Kap. 1 und 2. — Dass Graf Gobineau lehrt, die ausserordentliche geistige und nament- lich künstlerische Begabung der Griechen sei auf eine Infiltration semitischen Blutes zurückzuführen, zeigt, zu welchen unsinnigen Annahmen man durch falsche, künstliche, der Geschichte und der Naturbeobachtung widersprechende Grund- hypothesen gedrängt wird.

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Zitationshilfe: Chamberlain, Houston Stewart: Die Grundlagen des Neunzehnten Jahrhunderts. Bd. 1. München 1899, S. 280. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/chamberlain_grundlagen01_1899/303>, abgerufen am 27.11.2024.