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Chamberlain, Houston Stewart: Die Grundlagen des Neunzehnten Jahrhunderts. Bd. 1. München 1899.

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Das Völkerchaos.

4. Wenig beachtet wurde bisher ein weiteres Grundgesetz,
welches mir mit voller Sicherheit aus der Geschichte hervorzugehen
scheint, ebenso wie es eine Erfahrungsthatsache der Tierzüchtung
ist: dem Entstehen ausserordentlicher Rassen geht ausnahmslos eine
Blutmischung voraus. Wie der grosse amerikanische Denker,
Emerson, sagt: "We are piqued with pure descent, but nature loves
inoculation
". Von den arischen Indern können wir freilich in dieser
Beziehung nichts aussagen, ihre Vorgeschichte verliert sich in zu
nebelhaften Fernen; dagegen liegen betreffs der Juden, Hellenen und
Römer die Thatsachen vollkommen klar vor Augen, nicht minder
klar in Betreff aller Nationen Europas, die sich durch Gesamtleistungen
und durch die Hervorbringung einer grossen Zahl "überschwänglich"
begabter Individuen ausgezeichnet haben. Bezüglich der Juden ver-
weise ich auf das folgende Kapitel, bezüglich der Griechen, der Römer
und der Engländer habe ich schon öfters auf diese Thatsache hin-
gedeutet,1) jedoch, ich möchte den Leser ersuchen, es sich die Mühe
nicht verdriessen zu lassen, in Curtius und in Mommsen jene Kapitel
am Anfang, die man wegen der vielen Namen und des wirren
Durcheinanders gewöhnlich mehr durchblättert als studiert, doch einmal
aufmerksam zu lesen. Nie hat eine so gründliche und günstige
Vermischung stattgefunden wie in Griechenland: aus einem gemein-
samen Urstock hervorgegangen, bilden sich in durch Berge oder Meere
getrennten Ebenen charakteristisch unterschiedene Stämme, jagende,
friedlich Ackerbautreibende, seefahrende u. s. w.; und nun findet
unter diesen differenzierten Bestandteilen ein Durcheinanderschieben,
eine Vermengung statt, wie sie ein künstlich züchtender Verstand
sich nicht vollkommener ausgerechnet haben könnte. Wir haben
zunächst Wanderungen von Osten nach Westen, später umgekehrt
von Westen nach Osten über das Ägäische Meer hinüber; inzwischen
sind aber die Stämme des äussersten Nordens (in erster Reihe die
Dorier) bis nach dem äussersten Süden vorgedrungen, wobei sie viele
der Edelsten, die sich nicht unterjochen lassen wollten, aus diesem
Süden nach jenem Norden, aus dem sie selbst eben gekommen waren,
oder auch über das Meer auf die Inseln und nach der hellenischen
Küste Asiens hinüberdrängten. Eine jede dieser Verschiebungen be-
dingte aber Blutmischung. So zogen zum Beispiel die Dorier nicht
alle nach dem Peloponnes, sondern Teile von ihnen blieben an jeder

1) Siehe namentlich S. 135, 273 und weiter unten S. 286 u. 292.
Das Völkerchaos.

4. Wenig beachtet wurde bisher ein weiteres Grundgesetz,
welches mir mit voller Sicherheit aus der Geschichte hervorzugehen
scheint, ebenso wie es eine Erfahrungsthatsache der Tierzüchtung
ist: dem Entstehen ausserordentlicher Rassen geht ausnahmslos eine
Blutmischung voraus. Wie der grosse amerikanische Denker,
Emerson, sagt: »We are piqued with pure descent, but nature loves
inoculation
«. Von den arischen Indern können wir freilich in dieser
Beziehung nichts aussagen, ihre Vorgeschichte verliert sich in zu
nebelhaften Fernen; dagegen liegen betreffs der Juden, Hellenen und
Römer die Thatsachen vollkommen klar vor Augen, nicht minder
klar in Betreff aller Nationen Europas, die sich durch Gesamtleistungen
und durch die Hervorbringung einer grossen Zahl »überschwänglich«
begabter Individuen ausgezeichnet haben. Bezüglich der Juden ver-
weise ich auf das folgende Kapitel, bezüglich der Griechen, der Römer
und der Engländer habe ich schon öfters auf diese Thatsache hin-
gedeutet,1) jedoch, ich möchte den Leser ersuchen, es sich die Mühe
nicht verdriessen zu lassen, in Curtius und in Mommsen jene Kapitel
am Anfang, die man wegen der vielen Namen und des wirren
Durcheinanders gewöhnlich mehr durchblättert als studiert, doch einmal
aufmerksam zu lesen. Nie hat eine so gründliche und günstige
Vermischung stattgefunden wie in Griechenland: aus einem gemein-
samen Urstock hervorgegangen, bilden sich in durch Berge oder Meere
getrennten Ebenen charakteristisch unterschiedene Stämme, jagende,
friedlich Ackerbautreibende, seefahrende u. s. w.; und nun findet
unter diesen differenzierten Bestandteilen ein Durcheinanderschieben,
eine Vermengung statt, wie sie ein künstlich züchtender Verstand
sich nicht vollkommener ausgerechnet haben könnte. Wir haben
zunächst Wanderungen von Osten nach Westen, später umgekehrt
von Westen nach Osten über das Ägäische Meer hinüber; inzwischen
sind aber die Stämme des äussersten Nordens (in erster Reihe die
Dorier) bis nach dem äussersten Süden vorgedrungen, wobei sie viele
der Edelsten, die sich nicht unterjochen lassen wollten, aus diesem
Süden nach jenem Norden, aus dem sie selbst eben gekommen waren,
oder auch über das Meer auf die Inseln und nach der hellenischen
Küste Asiens hinüberdrängten. Eine jede dieser Verschiebungen be-
dingte aber Blutmischung. So zogen zum Beispiel die Dorier nicht
alle nach dem Peloponnes, sondern Teile von ihnen blieben an jeder

1) Siehe namentlich S. 135, 273 und weiter unten S. 286 u. 292.
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[279/0302] Das Völkerchaos. 4. Wenig beachtet wurde bisher ein weiteres Grundgesetz, welches mir mit voller Sicherheit aus der Geschichte hervorzugehen scheint, ebenso wie es eine Erfahrungsthatsache der Tierzüchtung ist: dem Entstehen ausserordentlicher Rassen geht ausnahmslos eine Blutmischung voraus. Wie der grosse amerikanische Denker, Emerson, sagt: »We are piqued with pure descent, but nature loves inoculation«. Von den arischen Indern können wir freilich in dieser Beziehung nichts aussagen, ihre Vorgeschichte verliert sich in zu nebelhaften Fernen; dagegen liegen betreffs der Juden, Hellenen und Römer die Thatsachen vollkommen klar vor Augen, nicht minder klar in Betreff aller Nationen Europas, die sich durch Gesamtleistungen und durch die Hervorbringung einer grossen Zahl »überschwänglich« begabter Individuen ausgezeichnet haben. Bezüglich der Juden ver- weise ich auf das folgende Kapitel, bezüglich der Griechen, der Römer und der Engländer habe ich schon öfters auf diese Thatsache hin- gedeutet, 1) jedoch, ich möchte den Leser ersuchen, es sich die Mühe nicht verdriessen zu lassen, in Curtius und in Mommsen jene Kapitel am Anfang, die man wegen der vielen Namen und des wirren Durcheinanders gewöhnlich mehr durchblättert als studiert, doch einmal aufmerksam zu lesen. Nie hat eine so gründliche und günstige Vermischung stattgefunden wie in Griechenland: aus einem gemein- samen Urstock hervorgegangen, bilden sich in durch Berge oder Meere getrennten Ebenen charakteristisch unterschiedene Stämme, jagende, friedlich Ackerbautreibende, seefahrende u. s. w.; und nun findet unter diesen differenzierten Bestandteilen ein Durcheinanderschieben, eine Vermengung statt, wie sie ein künstlich züchtender Verstand sich nicht vollkommener ausgerechnet haben könnte. Wir haben zunächst Wanderungen von Osten nach Westen, später umgekehrt von Westen nach Osten über das Ägäische Meer hinüber; inzwischen sind aber die Stämme des äussersten Nordens (in erster Reihe die Dorier) bis nach dem äussersten Süden vorgedrungen, wobei sie viele der Edelsten, die sich nicht unterjochen lassen wollten, aus diesem Süden nach jenem Norden, aus dem sie selbst eben gekommen waren, oder auch über das Meer auf die Inseln und nach der hellenischen Küste Asiens hinüberdrängten. Eine jede dieser Verschiebungen be- dingte aber Blutmischung. So zogen zum Beispiel die Dorier nicht alle nach dem Peloponnes, sondern Teile von ihnen blieben an jeder 1) Siehe namentlich S. 135, 273 und weiter unten S. 286 u. 292.

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Zitationshilfe: Chamberlain, Houston Stewart: Die Grundlagen des Neunzehnten Jahrhunderts. Bd. 1. München 1899, S. 279. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/chamberlain_grundlagen01_1899/302>, abgerufen am 04.09.2024.