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Chamberlain, Houston Stewart: Die Grundlagen des Neunzehnten Jahrhunderts. Bd. 1. München 1899.

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Das Erbe der alten Welt.
wird auch die Leistung Roms für unsere Civilisation selten gerecht
beurteilt. Und doch fordert Rom Bewunderung und Dankbarkeit;
seine Gaben waren moralische, nicht intellektuelle; gerade dadurch
jedoch war es befähigt, Grosses zu leisten. Nicht der Tod des Leoni-
das konnte die asiatische Gefahr von Europa abwenden und mit der
Menschenfreiheit die Menschenwürde erretten, sie künftigen Zeiten
zu friedvollerer Pflege und festerem Bestand übermachend; das ver-
mochte einzig ein langlebiger Staat von eiserner, unerbittlicher, politischer
Konsequenz. Nicht Theorie aber, und eben so wenig Schwärmerei
und Spekulation konnten diesen langlebigen Staat erschaffen; er musste
in dem Charakter der Bürger wurzeln. Dieser Charakter war
hart und eigensüchtig, gross jedoch durch sein hohes Pflichtgefühl,
durch seine Aufopferungsfähigkeit und durch seinen Familiensinn.
Indem der Römer inmitten des Chaos der damaligen Staatsversuche
seinen Staat errichtete, errichtete er den Staat für alle Zeiten. Indem er
sein Recht zu einer unerhörten technischen Vollkommenheit ausarbeitete,
begründete er das Recht für alle Menschen. Indem er die Familie,
seinem Herzensdrang folgend, zum Mittelpunkt von Recht und Staat
machte und diesem Begriffe fast exorbitanten Ausdruck verlieh, hob
er das Weib zu sich hinauf und schuf die Verbindung der Geschlechter
um zur Heiligkeit der Ehe. Geht unsere künstlerische und wissen-
schaftliche Kultur in vielen wesentlichen Momenten auf Griechenland
zurück, so führt unsere gesellschaftliche Kultur auf Rom. Ich rede
hier nicht von der materiellen Civilisation, die aus allerhand Ländern
und Epochen, und vornehmlich aus dem Erfindungsfleiss der letzten
Jahrhunderte stammt, sondern von den sicheren moralischen Grundlagen
eines würdigen gesellschaftlichen Lebens; sie zu legen war eine grosse
Kulturarbeit.



Das Erbe der alten Welt.
wird auch die Leistung Roms für unsere Civilisation selten gerecht
beurteilt. Und doch fordert Rom Bewunderung und Dankbarkeit;
seine Gaben waren moralische, nicht intellektuelle; gerade dadurch
jedoch war es befähigt, Grosses zu leisten. Nicht der Tod des Leoni-
das konnte die asiatische Gefahr von Europa abwenden und mit der
Menschenfreiheit die Menschenwürde erretten, sie künftigen Zeiten
zu friedvollerer Pflege und festerem Bestand übermachend; das ver-
mochte einzig ein langlebiger Staat von eiserner, unerbittlicher, politischer
Konsequenz. Nicht Theorie aber, und eben so wenig Schwärmerei
und Spekulation konnten diesen langlebigen Staat erschaffen; er musste
in dem Charakter der Bürger wurzeln. Dieser Charakter war
hart und eigensüchtig, gross jedoch durch sein hohes Pflichtgefühl,
durch seine Aufopferungsfähigkeit und durch seinen Familiensinn.
Indem der Römer inmitten des Chaos der damaligen Staatsversuche
seinen Staat errichtete, errichtete er den Staat für alle Zeiten. Indem er
sein Recht zu einer unerhörten technischen Vollkommenheit ausarbeitete,
begründete er das Recht für alle Menschen. Indem er die Familie,
seinem Herzensdrang folgend, zum Mittelpunkt von Recht und Staat
machte und diesem Begriffe fast exorbitanten Ausdruck verlieh, hob
er das Weib zu sich hinauf und schuf die Verbindung der Geschlechter
um zur Heiligkeit der Ehe. Geht unsere künstlerische und wissen-
schaftliche Kultur in vielen wesentlichen Momenten auf Griechenland
zurück, so führt unsere gesellschaftliche Kultur auf Rom. Ich rede
hier nicht von der materiellen Civilisation, die aus allerhand Ländern
und Epochen, und vornehmlich aus dem Erfindungsfleiss der letzten
Jahrhunderte stammt, sondern von den sicheren moralischen Grundlagen
eines würdigen gesellschaftlichen Lebens; sie zu legen war eine grosse
Kulturarbeit.



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[186/0209] Das Erbe der alten Welt. wird auch die Leistung Roms für unsere Civilisation selten gerecht beurteilt. Und doch fordert Rom Bewunderung und Dankbarkeit; seine Gaben waren moralische, nicht intellektuelle; gerade dadurch jedoch war es befähigt, Grosses zu leisten. Nicht der Tod des Leoni- das konnte die asiatische Gefahr von Europa abwenden und mit der Menschenfreiheit die Menschenwürde erretten, sie künftigen Zeiten zu friedvollerer Pflege und festerem Bestand übermachend; das ver- mochte einzig ein langlebiger Staat von eiserner, unerbittlicher, politischer Konsequenz. Nicht Theorie aber, und eben so wenig Schwärmerei und Spekulation konnten diesen langlebigen Staat erschaffen; er musste in dem Charakter der Bürger wurzeln. Dieser Charakter war hart und eigensüchtig, gross jedoch durch sein hohes Pflichtgefühl, durch seine Aufopferungsfähigkeit und durch seinen Familiensinn. Indem der Römer inmitten des Chaos der damaligen Staatsversuche seinen Staat errichtete, errichtete er den Staat für alle Zeiten. Indem er sein Recht zu einer unerhörten technischen Vollkommenheit ausarbeitete, begründete er das Recht für alle Menschen. Indem er die Familie, seinem Herzensdrang folgend, zum Mittelpunkt von Recht und Staat machte und diesem Begriffe fast exorbitanten Ausdruck verlieh, hob er das Weib zu sich hinauf und schuf die Verbindung der Geschlechter um zur Heiligkeit der Ehe. Geht unsere künstlerische und wissen- schaftliche Kultur in vielen wesentlichen Momenten auf Griechenland zurück, so führt unsere gesellschaftliche Kultur auf Rom. Ich rede hier nicht von der materiellen Civilisation, die aus allerhand Ländern und Epochen, und vornehmlich aus dem Erfindungsfleiss der letzten Jahrhunderte stammt, sondern von den sicheren moralischen Grundlagen eines würdigen gesellschaftlichen Lebens; sie zu legen war eine grosse Kulturarbeit.

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Zitationshilfe: Chamberlain, Houston Stewart: Die Grundlagen des Neunzehnten Jahrhunderts. Bd. 1. München 1899, S. 186. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/chamberlain_grundlagen01_1899/209>, abgerufen am 22.11.2024.