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Chamberlain, Houston Stewart: Die Grundlagen des Neunzehnten Jahrhunderts. Bd. 1. München 1899.

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Römisches Recht.
seitdem das Tridentiner Konzil und Martin Luther zu gleicher Zeit
die Heiligkeit der Ehe betonten. Dass diese Annäherung in mancher
Beziehung eine rein ideelle ist, thut nichts zur Sache; eine durch
und durch neue Civilisation kann sich gar nicht zu gründlich von
alten Formen frei machen; ohnehin giessen wir gar zu viel neuen
Wein in alte Schläuche; ich glaube aber nicht, dass irgend ein vor-
urteilsloser Mann leugnen wird, die römische Familie sei eine der
herrlichsten Errungenschaften des Menschengeistes, einer jener Gipfel,
der nicht zweimal erklommen werden kann, und zu dem noch die
fernsten Jahrhunderte hinaufblicken werden voll Bewunderung, zu-
gleich auch, um sicher zu sein, dass sie selber nicht zu weit von der
Wahrheit abirren. Bei jedem Studium unseres Jahrhunderts, z. B. bei
der Besprechung der brennenden Frauenemanzipationsfrage, wird dieser
ragende Gipfel unschätzbare Dienste leisten; ebenso bei der Beurteilung
jener sozialistischen Theorien, welche, im Gegensatz zu Rom, auf die
Formel hinauslaufen: keine Familie, alles Staat.

Ich habe hier etwas Schwieriges versucht: über einen technischenPoesie
und Sprache.

Gegenstand nicht-technisch zu reden. Ich musste mich darauf be-
schränken, die besondere Befähigung der Römer für die Ausbildung
gerade dieser Technik nachzuweisen; was ich sodann als den weitest
reichenden Erfolg für die menschliche Gesellschaft hervorzuheben be-
müht war, die felsenfelste, rechtliche Begründung der Familie, das
ist, wie man bemerkt haben wird, wesensgleich mit der ursprünglichen,
treibenden Kraft, aus welcher die technische Meisterschaft allmählich
heraufgewachsen war. Alles was dazwischen liegt, d. h. die gesamte
eigentliche Technik, musste beiseite gelassen werden, ebenso wie eine
Erörterung über die Vorteile und die Nachteile des vorwiegenden
Einflusses des römischen Rechtes in unserm Jahrhundert in rein tech-
nischer Beziehung. Auch ohne solch' gefährlichen Sandboden zu be-
treten, gab es für uns Laien genug anregende Betrachtungen.

Mit Absicht habe ich mich auf Politik und Recht beschränkt.
Was nicht auf uns vererbt wurde, fällt nicht in den Gesichtskreis
dieses Buches, und Manches, was sich erhalten hat, wie z. B. die Werke
lateinischer Dichter, bildet eine Beschäftigung für Liebhaber und Ge-
lehrte, nicht aber einen lebendigen Teil unseres Lebens. Griechische
Poesie und lateinische Poesie zusammenthun zu dem einen Begriff
"klassische Litteratur", ist ein Beweis von unglaublicher Geschmacks-
barbarei und von einer bedauerlichen Unkenntnis des Wesens und

Römisches Recht.
seitdem das Tridentiner Konzil und Martin Luther zu gleicher Zeit
die Heiligkeit der Ehe betonten. Dass diese Annäherung in mancher
Beziehung eine rein ideelle ist, thut nichts zur Sache; eine durch
und durch neue Civilisation kann sich gar nicht zu gründlich von
alten Formen frei machen; ohnehin giessen wir gar zu viel neuen
Wein in alte Schläuche; ich glaube aber nicht, dass irgend ein vor-
urteilsloser Mann leugnen wird, die römische Familie sei eine der
herrlichsten Errungenschaften des Menschengeistes, einer jener Gipfel,
der nicht zweimal erklommen werden kann, und zu dem noch die
fernsten Jahrhunderte hinaufblicken werden voll Bewunderung, zu-
gleich auch, um sicher zu sein, dass sie selber nicht zu weit von der
Wahrheit abirren. Bei jedem Studium unseres Jahrhunderts, z. B. bei
der Besprechung der brennenden Frauenemanzipationsfrage, wird dieser
ragende Gipfel unschätzbare Dienste leisten; ebenso bei der Beurteilung
jener sozialistischen Theorien, welche, im Gegensatz zu Rom, auf die
Formel hinauslaufen: keine Familie, alles Staat.

Ich habe hier etwas Schwieriges versucht: über einen technischenPoesie
und Sprache.

Gegenstand nicht-technisch zu reden. Ich musste mich darauf be-
schränken, die besondere Befähigung der Römer für die Ausbildung
gerade dieser Technik nachzuweisen; was ich sodann als den weitest
reichenden Erfolg für die menschliche Gesellschaft hervorzuheben be-
müht war, die felsenfelste, rechtliche Begründung der Familie, das
ist, wie man bemerkt haben wird, wesensgleich mit der ursprünglichen,
treibenden Kraft, aus welcher die technische Meisterschaft allmählich
heraufgewachsen war. Alles was dazwischen liegt, d. h. die gesamte
eigentliche Technik, musste beiseite gelassen werden, ebenso wie eine
Erörterung über die Vorteile und die Nachteile des vorwiegenden
Einflusses des römischen Rechtes in unserm Jahrhundert in rein tech-
nischer Beziehung. Auch ohne solch’ gefährlichen Sandboden zu be-
treten, gab es für uns Laien genug anregende Betrachtungen.

Mit Absicht habe ich mich auf Politik und Recht beschränkt.
Was nicht auf uns vererbt wurde, fällt nicht in den Gesichtskreis
dieses Buches, und Manches, was sich erhalten hat, wie z. B. die Werke
lateinischer Dichter, bildet eine Beschäftigung für Liebhaber und Ge-
lehrte, nicht aber einen lebendigen Teil unseres Lebens. Griechische
Poesie und lateinische Poesie zusammenthun zu dem einen Begriff
»klassische Litteratur«, ist ein Beweis von unglaublicher Geschmacks-
barbarei und von einer bedauerlichen Unkenntnis des Wesens und

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[181/0204] Römisches Recht. seitdem das Tridentiner Konzil und Martin Luther zu gleicher Zeit die Heiligkeit der Ehe betonten. Dass diese Annäherung in mancher Beziehung eine rein ideelle ist, thut nichts zur Sache; eine durch und durch neue Civilisation kann sich gar nicht zu gründlich von alten Formen frei machen; ohnehin giessen wir gar zu viel neuen Wein in alte Schläuche; ich glaube aber nicht, dass irgend ein vor- urteilsloser Mann leugnen wird, die römische Familie sei eine der herrlichsten Errungenschaften des Menschengeistes, einer jener Gipfel, der nicht zweimal erklommen werden kann, und zu dem noch die fernsten Jahrhunderte hinaufblicken werden voll Bewunderung, zu- gleich auch, um sicher zu sein, dass sie selber nicht zu weit von der Wahrheit abirren. Bei jedem Studium unseres Jahrhunderts, z. B. bei der Besprechung der brennenden Frauenemanzipationsfrage, wird dieser ragende Gipfel unschätzbare Dienste leisten; ebenso bei der Beurteilung jener sozialistischen Theorien, welche, im Gegensatz zu Rom, auf die Formel hinauslaufen: keine Familie, alles Staat. Ich habe hier etwas Schwieriges versucht: über einen technischen Gegenstand nicht-technisch zu reden. Ich musste mich darauf be- schränken, die besondere Befähigung der Römer für die Ausbildung gerade dieser Technik nachzuweisen; was ich sodann als den weitest reichenden Erfolg für die menschliche Gesellschaft hervorzuheben be- müht war, die felsenfelste, rechtliche Begründung der Familie, das ist, wie man bemerkt haben wird, wesensgleich mit der ursprünglichen, treibenden Kraft, aus welcher die technische Meisterschaft allmählich heraufgewachsen war. Alles was dazwischen liegt, d. h. die gesamte eigentliche Technik, musste beiseite gelassen werden, ebenso wie eine Erörterung über die Vorteile und die Nachteile des vorwiegenden Einflusses des römischen Rechtes in unserm Jahrhundert in rein tech- nischer Beziehung. Auch ohne solch’ gefährlichen Sandboden zu be- treten, gab es für uns Laien genug anregende Betrachtungen. Poesie und Sprache. Mit Absicht habe ich mich auf Politik und Recht beschränkt. Was nicht auf uns vererbt wurde, fällt nicht in den Gesichtskreis dieses Buches, und Manches, was sich erhalten hat, wie z. B. die Werke lateinischer Dichter, bildet eine Beschäftigung für Liebhaber und Ge- lehrte, nicht aber einen lebendigen Teil unseres Lebens. Griechische Poesie und lateinische Poesie zusammenthun zu dem einen Begriff »klassische Litteratur«, ist ein Beweis von unglaublicher Geschmacks- barbarei und von einer bedauerlichen Unkenntnis des Wesens und

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Zitationshilfe: Chamberlain, Houston Stewart: Die Grundlagen des Neunzehnten Jahrhunderts. Bd. 1. München 1899, S. 181. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/chamberlain_grundlagen01_1899/204>, abgerufen am 24.11.2024.