Liebe von Anfang an anhaftende Fluch des Hasses, von denen Grieche und Römer, Inder und Chinese, Perser und Germane schaudernd sich abwenden? was denn, wenn nicht der Schatten jenes Tempels, in welchem dem Gott des Zornes und der Rache geopfert wurde, ein dunkler Schatten, hingeworfen über das jugendliche Heldengeschlecht, "das aus dem Dunkeln ins Helle strebt?"
Ohne Rom, das ist sicher, wäre Europa eine blosse Fortsetzung des asiatischen Chaos geblieben. Griechenland hat stets nach Asien gravitiert, bis Rom es losriss. Dass der Schwerpunkt der Kultur end- gültig nach Westen verlegt, dass der semitisch-asiatische Bann gebrochen und wenigstens teilweise abgeworfen wurde, dass das vorwiegend indogermanische Europa nunmehr das schlagende Herz und das sinnende Hirn der ganzen Menschheit wurde, das ist das Werk Roms. Indem dieser Staat sein eigenes praktisches (aber, wie wir sahen, durchaus nicht unideales) Interesse, rücksichtslos eigennützig, oft grausam, immer hart, selten unedel verfocht, hat es das Haus bereitet, die starke Burg, in welchem sich dieses Geschlecht nach langen, ziellosen Wanderungen niederlassen und zum Heil der Menschheit organisieren sollte.
Zu diesem Werke Roms waren so viele Jahrhunderte vonnöten und ein so hoher Grad jenes unfehlbaren, eigensinnigen Instinktes, der das Richtige trifft, auch wo es das Unvernünftige scheinen muss, der Gutes schafft selbst dort, wo es Böses will, dass hier nicht das flüchtige Dasein hervorragender Individuen, sondern die widerstands- fähige und fast wie eine Naturmacht wirkende Einheit eines hartgestählten Volkes das Richtige und einzig Wirksame war. Darum ist die sogenannte "politische Geschichtsschreibung", diejenige, heisst das, welche aus den Biographien vielgenannter Männer, den Kriegsannalen und den diplo- matischen Archiven das Leben eines Volkes aufzubauen unternimmt, für Rom so besonders wenig am Platze; sie verzerrt hier nicht allein, sondern das Wesentliche enthüllt sie dem Blicke überhaupt nicht. Denn was wir heute, zurückblickend und philosophierend, als das Amt oder als die Aufgabe Roms in der Weltgeschichte auffassen, ist doch nichts weiter, als ein Ausdruck für das aus der Vogelschau gewonnene Bild des Gesamtcharakters dieses Volkes. Und da müssen wir wohl sagen, die Politik Roms bewegt sich in einer geraden und -- wie spätere Zeiten gezeigt haben -- durchaus richtigen Linie, so lange sie nicht von fachmässigen Politikern getrieben wird. Die Periode um Caesar herum ist die verworrenste und unheilvollste; jetzt starb beides: Volk und Instinkt; das Werk blieb aber einstweilen bestehen und, in
Chamberlain, Grundlagen des XIX. Jahrhunderts. 10
Römisches Recht.
Liebe von Anfang an anhaftende Fluch des Hasses, von denen Grieche und Römer, Inder und Chinese, Perser und Germane schaudernd sich abwenden? was denn, wenn nicht der Schatten jenes Tempels, in welchem dem Gott des Zornes und der Rache geopfert wurde, ein dunkler Schatten, hingeworfen über das jugendliche Heldengeschlecht, »das aus dem Dunkeln ins Helle strebt?«
Ohne Rom, das ist sicher, wäre Europa eine blosse Fortsetzung des asiatischen Chaos geblieben. Griechenland hat stets nach Asien gravitiert, bis Rom es losriss. Dass der Schwerpunkt der Kultur end- gültig nach Westen verlegt, dass der semitisch-asiatische Bann gebrochen und wenigstens teilweise abgeworfen wurde, dass das vorwiegend indogermanische Europa nunmehr das schlagende Herz und das sinnende Hirn der ganzen Menschheit wurde, das ist das Werk Roms. Indem dieser Staat sein eigenes praktisches (aber, wie wir sahen, durchaus nicht unideales) Interesse, rücksichtslos eigennützig, oft grausam, immer hart, selten unedel verfocht, hat es das Haus bereitet, die starke Burg, in welchem sich dieses Geschlecht nach langen, ziellosen Wanderungen niederlassen und zum Heil der Menschheit organisieren sollte.
Zu diesem Werke Roms waren so viele Jahrhunderte vonnöten und ein so hoher Grad jenes unfehlbaren, eigensinnigen Instinktes, der das Richtige trifft, auch wo es das Unvernünftige scheinen muss, der Gutes schafft selbst dort, wo es Böses will, dass hier nicht das flüchtige Dasein hervorragender Individuen, sondern die widerstands- fähige und fast wie eine Naturmacht wirkende Einheit eines hartgestählten Volkes das Richtige und einzig Wirksame war. Darum ist die sogenannte »politische Geschichtsschreibung«, diejenige, heisst das, welche aus den Biographien vielgenannter Männer, den Kriegsannalen und den diplo- matischen Archiven das Leben eines Volkes aufzubauen unternimmt, für Rom so besonders wenig am Platze; sie verzerrt hier nicht allein, sondern das Wesentliche enthüllt sie dem Blicke überhaupt nicht. Denn was wir heute, zurückblickend und philosophierend, als das Amt oder als die Aufgabe Roms in der Weltgeschichte auffassen, ist doch nichts weiter, als ein Ausdruck für das aus der Vogelschau gewonnene Bild des Gesamtcharakters dieses Volkes. Und da müssen wir wohl sagen, die Politik Roms bewegt sich in einer geraden und — wie spätere Zeiten gezeigt haben — durchaus richtigen Linie, so lange sie nicht von fachmässigen Politikern getrieben wird. Die Periode um Caesar herum ist die verworrenste und unheilvollste; jetzt starb beides: Volk und Instinkt; das Werk blieb aber einstweilen bestehen und, in
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Römisches Recht.
Liebe von Anfang an anhaftende Fluch des Hasses, von denen Grieche
und Römer, Inder und Chinese, Perser und Germane schaudernd sich
abwenden? was denn, wenn nicht der Schatten jenes Tempels, in
welchem dem Gott des Zornes und der Rache geopfert wurde, ein
dunkler Schatten, hingeworfen über das jugendliche Heldengeschlecht,
»das aus dem Dunkeln ins Helle strebt?«
Ohne Rom, das ist sicher, wäre Europa eine blosse Fortsetzung
des asiatischen Chaos geblieben. Griechenland hat stets nach Asien
gravitiert, bis Rom es losriss. Dass der Schwerpunkt der Kultur end-
gültig nach Westen verlegt, dass der semitisch-asiatische Bann gebrochen
und wenigstens teilweise abgeworfen wurde, dass das vorwiegend
indogermanische Europa nunmehr das schlagende Herz und das sinnende
Hirn der ganzen Menschheit wurde, das ist das Werk Roms. Indem
dieser Staat sein eigenes praktisches (aber, wie wir sahen, durchaus
nicht unideales) Interesse, rücksichtslos eigennützig, oft grausam, immer
hart, selten unedel verfocht, hat es das Haus bereitet, die starke Burg,
in welchem sich dieses Geschlecht nach langen, ziellosen Wanderungen
niederlassen und zum Heil der Menschheit organisieren sollte.
Zu diesem Werke Roms waren so viele Jahrhunderte vonnöten
und ein so hoher Grad jenes unfehlbaren, eigensinnigen Instinktes,
der das Richtige trifft, auch wo es das Unvernünftige scheinen muss,
der Gutes schafft selbst dort, wo es Böses will, dass hier nicht das
flüchtige Dasein hervorragender Individuen, sondern die widerstands-
fähige und fast wie eine Naturmacht wirkende Einheit eines hartgestählten
Volkes das Richtige und einzig Wirksame war. Darum ist die sogenannte
»politische Geschichtsschreibung«, diejenige, heisst das, welche aus den
Biographien vielgenannter Männer, den Kriegsannalen und den diplo-
matischen Archiven das Leben eines Volkes aufzubauen unternimmt,
für Rom so besonders wenig am Platze; sie verzerrt hier nicht allein,
sondern das Wesentliche enthüllt sie dem Blicke überhaupt nicht.
Denn was wir heute, zurückblickend und philosophierend, als das Amt
oder als die Aufgabe Roms in der Weltgeschichte auffassen, ist doch
nichts weiter, als ein Ausdruck für das aus der Vogelschau gewonnene
Bild des Gesamtcharakters dieses Volkes. Und da müssen wir wohl
sagen, die Politik Roms bewegt sich in einer geraden und — wie
spätere Zeiten gezeigt haben — durchaus richtigen Linie, so lange
sie nicht von fachmässigen Politikern getrieben wird. Die Periode um
Caesar herum ist die verworrenste und unheilvollste; jetzt starb beides:
Volk und Instinkt; das Werk blieb aber einstweilen bestehen und, in
Chamberlain, Grundlagen des XIX. Jahrhunderts. 10
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Chamberlain, Houston Stewart: Die Grundlagen des Neunzehnten Jahrhunderts. Bd. 1. München 1899, S. 145. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/chamberlain_grundlagen01_1899/168>, abgerufen am 24.11.2024.
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