Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Chamberlain, Houston Stewart: Die Grundlagen des Neunzehnten Jahrhunderts. Bd. 1. München 1899.

Bild:
<< vorherige Seite

Das Erbe der alten Welt.
das sei ja eingetreten, das sei ja unsere christliche Kirche. Gewiss,
zum Teil ist der Einwand berechtigt; kein gerecht denkender Mann
wird den Anteil leugnen wollen, der dem Judentum an ihr zufällt.
Wenn man aber sieht, wie in der frühesten Zeit die Anhänger Christi
die strenge Befolgung des jüdischen "Gesetzes" forderten, wie sie sogar,
weniger liberal als die Juden der Diaspora, keine "Heiden" in ihre
Gemeinschaft aufnahmen, die nicht das allen Semiten gemeinsame Mal
der circumcisio sich hatten aufdrücken lassen, wenn man die Kämpfe
bedenkt, die der Apostel Paulus (der Heiden-Apostel) bis an seinen
Tod gegen die Juden-Christen zu bestehen hatte, und dass selbst noch
viel später, in der Offenbarung Johannis (III, 9) er und die Seinen
geschmäht werden als: "die aus Satanas Schule, die da sagen, sie sind Juden
und sind es nicht, sondern lügen", wenn man die Autorität Jerusalems und
seines Tempels auch innerhalb des paulinischen Christentums als ein-
fach unüberwindbar weiter bestehen sieht, solange beide überhaupt
noch standen,1) so kann man nicht bezweifeln, dass die Religion der
civilisierten Welt unter dem rein jüdischen Primat der Stadt Jerusalem
geschmachtet hätte, wäre Jerusalem nicht von den Römern vernichtet
worden. Ernest Renan, gewiss kein Feind der Juden, hat in seinen
Origines du Christianisme (Band IV, Kap. 20) in beredten Worten ge-
zeigt, welche "immense Gefahr" darin gelegen hätte.2) Schlimmer
noch als das Handelsmonopol der Phönicier wäre das Religionsmonopol
der Juden gewesen; unter dem bleiernen Druck dieser geborenen
Dogmatiker und Fanatiker wäre jede Denk- und Glaubensfreiheit aus
der Welt entschwunden; die platt-materialistische Auffassung Gottes
wäre unsere Religion, die Rabulistik unsere Philosophie gewesen.
Auch dies ist kein Phantasiebild, es reden hier nur zu viele That-
sachen; denn was ist jenes starre, engherzige, geistig beschränkte Dog-
matisieren der christlichen Kirche, desgleichen kein arisches Volk
sich jemals austräumte, was ist jener alle Jahrhunderte bis auf unser
19. hinab schändende blutgierige Fanatismus, jener der Religion der

Der römische Staat und die allgemeine Kirche (1890) S. 5 ff. und 14 ff. Dass Tacitus
genau zwischen Juden und Christen unterschied, beweist in dieser Sache offenbar
gar nichts, da er 50 Jahre nach Nero's Verfolgung schrieb, und das Wissen einer
späteren Zeit in seiner Erzählung auf die frühere übertrug. Siehe auch über die
"jüdische Eifersucht" Paul Allard: Le Christianisme et l'Empire romain de Neron
a Theodose,
ch. I.
1) Vergl. hierüber z. B. Graetz: Volksth. Geschichte der Juden, I, 653.
2) In seinen Discours et Conferences, 3e ed. p. 350 nennt er die Zerstörung
Jerusalems: "un immense bonheur".

Das Erbe der alten Welt.
das sei ja eingetreten, das sei ja unsere christliche Kirche. Gewiss,
zum Teil ist der Einwand berechtigt; kein gerecht denkender Mann
wird den Anteil leugnen wollen, der dem Judentum an ihr zufällt.
Wenn man aber sieht, wie in der frühesten Zeit die Anhänger Christi
die strenge Befolgung des jüdischen »Gesetzes« forderten, wie sie sogar,
weniger liberal als die Juden der Diaspora, keine »Heiden« in ihre
Gemeinschaft aufnahmen, die nicht das allen Semiten gemeinsame Mal
der circumcisio sich hatten aufdrücken lassen, wenn man die Kämpfe
bedenkt, die der Apostel Paulus (der Heiden-Apostel) bis an seinen
Tod gegen die Juden-Christen zu bestehen hatte, und dass selbst noch
viel später, in der Offenbarung Johannis (III, 9) er und die Seinen
geschmäht werden als: »die aus Satanas Schule, die da sagen, sie sind Juden
und sind es nicht, sondern lügen«, wenn man die Autorität Jerusalems und
seines Tempels auch innerhalb des paulinischen Christentums als ein-
fach unüberwindbar weiter bestehen sieht, solange beide überhaupt
noch standen,1) so kann man nicht bezweifeln, dass die Religion der
civilisierten Welt unter dem rein jüdischen Primat der Stadt Jerusalem
geschmachtet hätte, wäre Jerusalem nicht von den Römern vernichtet
worden. Ernest Renan, gewiss kein Feind der Juden, hat in seinen
Origines du Christianisme (Band IV, Kap. 20) in beredten Worten ge-
zeigt, welche »immense Gefahr« darin gelegen hätte.2) Schlimmer
noch als das Handelsmonopol der Phönicier wäre das Religionsmonopol
der Juden gewesen; unter dem bleiernen Druck dieser geborenen
Dogmatiker und Fanatiker wäre jede Denk- und Glaubensfreiheit aus
der Welt entschwunden; die platt-materialistische Auffassung Gottes
wäre unsere Religion, die Rabulistik unsere Philosophie gewesen.
Auch dies ist kein Phantasiebild, es reden hier nur zu viele That-
sachen; denn was ist jenes starre, engherzige, geistig beschränkte Dog-
matisieren der christlichen Kirche, desgleichen kein arisches Volk
sich jemals austräumte, was ist jener alle Jahrhunderte bis auf unser
19. hinab schändende blutgierige Fanatismus, jener der Religion der

Der römische Staat und die allgemeine Kirche (1890) S. 5 ff. und 14 ff. Dass Tacitus
genau zwischen Juden und Christen unterschied, beweist in dieser Sache offenbar
gar nichts, da er 50 Jahre nach Nero’s Verfolgung schrieb, und das Wissen einer
späteren Zeit in seiner Erzählung auf die frühere übertrug. Siehe auch über die
»jüdische Eifersucht« Paul Allard: Le Christianisme et l’Empire romain de Néron
à Théodose,
ch. I.
1) Vergl. hierüber z. B. Graetz: Volksth. Geschichte der Juden, I, 653.
2) In seinen Discours et Conférences, 3e ed. p. 350 nennt er die Zerstörung
Jerusalems: »un immense bonheur«.
<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <div n="2">
          <div n="3">
            <p><pb facs="#f0167" n="144"/><fw place="top" type="header">Das Erbe der alten Welt.</fw><lb/>
das sei ja eingetreten, das sei ja unsere christliche Kirche. Gewiss,<lb/>
zum Teil ist der Einwand berechtigt; kein gerecht denkender Mann<lb/>
wird den Anteil leugnen wollen, der dem Judentum an ihr zufällt.<lb/>
Wenn man aber sieht, wie in der frühesten Zeit die Anhänger Christi<lb/>
die strenge Befolgung des jüdischen »Gesetzes« forderten, wie sie sogar,<lb/>
weniger liberal als die Juden der Diaspora, keine »Heiden« in ihre<lb/>
Gemeinschaft aufnahmen, die nicht das allen Semiten gemeinsame Mal<lb/>
der <hi rendition="#i">circumcisio</hi> sich hatten aufdrücken lassen, wenn man die Kämpfe<lb/>
bedenkt, die der Apostel Paulus (der Heiden-Apostel) bis an seinen<lb/>
Tod gegen die Juden-Christen zu bestehen hatte, und dass selbst noch<lb/>
viel später, in der Offenbarung Johannis (III, 9) er und die Seinen<lb/>
geschmäht werden als: »die aus Satanas Schule, die da sagen, sie sind Juden<lb/>
und sind es nicht, sondern lügen«, wenn man die Autorität Jerusalems und<lb/>
seines Tempels auch innerhalb des paulinischen Christentums als ein-<lb/>
fach unüberwindbar weiter bestehen sieht, solange beide überhaupt<lb/>
noch standen,<note place="foot" n="1)">Vergl. hierüber z. B. Graetz: <hi rendition="#i">Volksth. Geschichte der Juden,</hi> I, 653.</note> so kann man nicht bezweifeln, dass die Religion der<lb/>
civilisierten Welt unter dem rein jüdischen Primat der Stadt Jerusalem<lb/>
geschmachtet hätte, wäre Jerusalem nicht von den Römern vernichtet<lb/>
worden. Ernest Renan, gewiss kein Feind der Juden, hat in seinen<lb/><hi rendition="#i">Origines du Christianisme</hi> (Band IV, Kap. 20) in beredten Worten ge-<lb/>
zeigt, welche »immense Gefahr« darin gelegen hätte.<note place="foot" n="2)">In seinen <hi rendition="#i">Discours et Conférences,</hi> 3<hi rendition="#sup">e</hi> ed. p. 350 nennt er die Zerstörung<lb/>
Jerusalems: »<hi rendition="#i">un immense bonheur</hi>«.</note> Schlimmer<lb/>
noch als das Handelsmonopol der Phönicier wäre das Religionsmonopol<lb/>
der Juden gewesen; unter dem bleiernen Druck dieser geborenen<lb/>
Dogmatiker und Fanatiker wäre jede Denk- und Glaubensfreiheit aus<lb/>
der Welt entschwunden; die platt-materialistische Auffassung Gottes<lb/>
wäre unsere Religion, die Rabulistik unsere Philosophie gewesen.<lb/>
Auch dies ist kein Phantasiebild, es reden hier nur zu viele That-<lb/>
sachen; denn was ist jenes starre, engherzige, geistig beschränkte Dog-<lb/>
matisieren der christlichen Kirche, desgleichen kein arisches Volk<lb/>
sich jemals austräumte, was ist jener alle Jahrhunderte bis auf unser<lb/>
19. hinab schändende blutgierige Fanatismus, jener der Religion der<lb/><note xml:id="seg2pn_12_2" prev="#seg2pn_12_1" place="foot" n="1)"><hi rendition="#i">Der römische Staat und die allgemeine Kirche</hi> (1890) S. 5 ff. und 14 ff. Dass <hi rendition="#g">Tacitus</hi><lb/>
genau zwischen Juden und Christen unterschied, beweist in dieser Sache offenbar<lb/>
gar nichts, da er 50 Jahre <hi rendition="#g">nach</hi> Nero&#x2019;s Verfolgung schrieb, und das Wissen einer<lb/>
späteren Zeit in seiner Erzählung auf die frühere übertrug. Siehe auch über die<lb/>
»jüdische Eifersucht« Paul Allard: <hi rendition="#i">Le Christianisme et l&#x2019;Empire romain de Néron<lb/>
à Théodose,</hi> ch. I.</note><lb/></p>
          </div>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[144/0167] Das Erbe der alten Welt. das sei ja eingetreten, das sei ja unsere christliche Kirche. Gewiss, zum Teil ist der Einwand berechtigt; kein gerecht denkender Mann wird den Anteil leugnen wollen, der dem Judentum an ihr zufällt. Wenn man aber sieht, wie in der frühesten Zeit die Anhänger Christi die strenge Befolgung des jüdischen »Gesetzes« forderten, wie sie sogar, weniger liberal als die Juden der Diaspora, keine »Heiden« in ihre Gemeinschaft aufnahmen, die nicht das allen Semiten gemeinsame Mal der circumcisio sich hatten aufdrücken lassen, wenn man die Kämpfe bedenkt, die der Apostel Paulus (der Heiden-Apostel) bis an seinen Tod gegen die Juden-Christen zu bestehen hatte, und dass selbst noch viel später, in der Offenbarung Johannis (III, 9) er und die Seinen geschmäht werden als: »die aus Satanas Schule, die da sagen, sie sind Juden und sind es nicht, sondern lügen«, wenn man die Autorität Jerusalems und seines Tempels auch innerhalb des paulinischen Christentums als ein- fach unüberwindbar weiter bestehen sieht, solange beide überhaupt noch standen, 1) so kann man nicht bezweifeln, dass die Religion der civilisierten Welt unter dem rein jüdischen Primat der Stadt Jerusalem geschmachtet hätte, wäre Jerusalem nicht von den Römern vernichtet worden. Ernest Renan, gewiss kein Feind der Juden, hat in seinen Origines du Christianisme (Band IV, Kap. 20) in beredten Worten ge- zeigt, welche »immense Gefahr« darin gelegen hätte. 2) Schlimmer noch als das Handelsmonopol der Phönicier wäre das Religionsmonopol der Juden gewesen; unter dem bleiernen Druck dieser geborenen Dogmatiker und Fanatiker wäre jede Denk- und Glaubensfreiheit aus der Welt entschwunden; die platt-materialistische Auffassung Gottes wäre unsere Religion, die Rabulistik unsere Philosophie gewesen. Auch dies ist kein Phantasiebild, es reden hier nur zu viele That- sachen; denn was ist jenes starre, engherzige, geistig beschränkte Dog- matisieren der christlichen Kirche, desgleichen kein arisches Volk sich jemals austräumte, was ist jener alle Jahrhunderte bis auf unser 19. hinab schändende blutgierige Fanatismus, jener der Religion der 1) 1) Vergl. hierüber z. B. Graetz: Volksth. Geschichte der Juden, I, 653. 2) In seinen Discours et Conférences, 3e ed. p. 350 nennt er die Zerstörung Jerusalems: »un immense bonheur«. 1) Der römische Staat und die allgemeine Kirche (1890) S. 5 ff. und 14 ff. Dass Tacitus genau zwischen Juden und Christen unterschied, beweist in dieser Sache offenbar gar nichts, da er 50 Jahre nach Nero’s Verfolgung schrieb, und das Wissen einer späteren Zeit in seiner Erzählung auf die frühere übertrug. Siehe auch über die »jüdische Eifersucht« Paul Allard: Le Christianisme et l’Empire romain de Néron à Théodose, ch. I.

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien im Double-Keying-Verfahren von Nicht-Muttersprachlern erfasst und in XML/TEI P5 nach DTA-Basisformat kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/chamberlain_grundlagen01_1899
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/chamberlain_grundlagen01_1899/167
Zitationshilfe: Chamberlain, Houston Stewart: Die Grundlagen des Neunzehnten Jahrhunderts. Bd. 1. München 1899, S. 144. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/chamberlain_grundlagen01_1899/167>, abgerufen am 24.11.2024.