Chamberlain, Houston Stewart: Die Grundlagen des Neunzehnten Jahrhunderts. Bd. 1. München 1899.Das Erbe der alten Welt. einerseits aus einer besitzlosen, von der Hand in den Mund lebendenstädtischen Menge (auf dem Lande die unterworfenen, als rechtloses Sklavenvieh behandelten Völker), andrerseits aus Grosshändlern, Plan- tagenbesitzern und vornehmen Vögten." -- -- -- Das sind die Menschen, das ist der verhängnisvolle Zweig aus der semitischen Verwandtschaft, vor dem wir durch das brutale delenda est Carthago gerettet worden sind. Und sollte es wahr sein, dass die Römer in diesem Falle, mehr als sonst bei ihnen üblich, den niedrigeren Ein- gebungen der Rache, vielleicht sogar der Eifersucht gefolgt sind, so muss ich umsomehr die unfehlbare Sicherheit des Instinktes bewundern, welche sie, selbst dort, wo sie von bösen Leidenschaften verblendet waren, dasjenige treffen liess, was nur irgend ein kühl berechnender, mit prophetischem Blick begabter Politiker zum Heil der Menschheit von ihnen hätte fordern müssen.1) Ein zweites römisches delenda hat für die Weltgeschichte eine 1) Mommsen, der das römische Verfahren gegen Karthago streng verurteilen
zu müssen glaubt, giebt doch an einer späteren Stelle (V, 623) zu, dass weder Herrsch- noch Habsucht es bestimmt habe, sondern, meint er, Furcht und Neid. Für die prinzipielle Auffassung der Rolle Roms in der Weltgeschichte ist gerade diese Unterscheidung von Wichtigkeit. Kann man inmitten einer Welt, welche als Norm für das internationale Recht einzig die Macht anerkennt, von einem starken Volk feststellen, es sei nicht habsüchtig und nicht herrschsüchtig, so hat man, dünkt mich, seinem sittlichen Charakter ein Zeugnis ausgestellt, wodurch es über alle zeitgenössischen Völker erhaben emporragt. Was die "Furcht" jedoch anbelangt, so war sie durchaus berechtigt, und es ist wohl gestattet, zu meinen, dass der römische Senat die Situation richtiger beurteilt hat, als Herr Mommsen. -- Caesar, der eigenmächtige, von dem selbst sein eifriger Freund Celius sagen muss, er opfere die Interessen des Staates seinen persönlichen Plänen, baute ja später Karthago wieder auf; und was wurde daraus? Die berüchtigtste Lasterhöhle der Welt, in der alle, die ihr Schicksal dahin warf, Römer, Griechen, Vandalen, bis auf das Mark der Knochen verkamen; solche verheerende Zauberkraft besass noch, auf der Stätte, wo ein halbes Jahrtausend lang phönicische Greuel gewaltet hatten, der auf ihm lastende Fluch! Dass aus seinen Lupanaren ein mächtiger Schrei der Empörung gegen alles, was Civilisation hiess, hervorging: Tertullian und Augustinus, das ist das Einzige, was wir der kurzsichtigen und kurzlebigen Schöpfung Caesar's als Verdienst anrechnen können. -- Zur Charakterisierung des 19. Jahr- hunderts sei das Urteil seines angeblich grössten Historikers angeführt. Herr Leopold von Ranke urteilt: "Das phönicische Element hat durch Handel, Kolonisation undzuletzt auch durch Krieg einen doch in der Hauptsache belebenden Einfluss auf den Occident ausgeübt." (Weltgeschichte I, 542.) Das Erbe der alten Welt. einerseits aus einer besitzlosen, von der Hand in den Mund lebendenstädtischen Menge (auf dem Lande die unterworfenen, als rechtloses Sklavenvieh behandelten Völker), andrerseits aus Grosshändlern, Plan- tagenbesitzern und vornehmen Vögten.« — — — Das sind die Menschen, das ist der verhängnisvolle Zweig aus der semitischen Verwandtschaft, vor dem wir durch das brutale delenda est Carthago gerettet worden sind. Und sollte es wahr sein, dass die Römer in diesem Falle, mehr als sonst bei ihnen üblich, den niedrigeren Ein- gebungen der Rache, vielleicht sogar der Eifersucht gefolgt sind, so muss ich umsomehr die unfehlbare Sicherheit des Instinktes bewundern, welche sie, selbst dort, wo sie von bösen Leidenschaften verblendet waren, dasjenige treffen liess, was nur irgend ein kühl berechnender, mit prophetischem Blick begabter Politiker zum Heil der Menschheit von ihnen hätte fordern müssen.1) Ein zweites römisches delenda hat für die Weltgeschichte eine 1) Mommsen, der das römische Verfahren gegen Karthago streng verurteilen
zu müssen glaubt, giebt doch an einer späteren Stelle (V, 623) zu, dass weder Herrsch- noch Habsucht es bestimmt habe, sondern, meint er, Furcht und Neid. Für die prinzipielle Auffassung der Rolle Roms in der Weltgeschichte ist gerade diese Unterscheidung von Wichtigkeit. Kann man inmitten einer Welt, welche als Norm für das internationale Recht einzig die Macht anerkennt, von einem starken Volk feststellen, es sei nicht habsüchtig und nicht herrschsüchtig, so hat man, dünkt mich, seinem sittlichen Charakter ein Zeugnis ausgestellt, wodurch es über alle zeitgenössischen Völker erhaben emporragt. Was die »Furcht« jedoch anbelangt, so war sie durchaus berechtigt, und es ist wohl gestattet, zu meinen, dass der römische Senat die Situation richtiger beurteilt hat, als Herr Mommsen. — Caesar, der eigenmächtige, von dem selbst sein eifriger Freund Celius sagen muss, er opfere die Interessen des Staates seinen persönlichen Plänen, baute ja später Karthago wieder auf; und was wurde daraus? Die berüchtigtste Lasterhöhle der Welt, in der alle, die ihr Schicksal dahin warf, Römer, Griechen, Vandalen, bis auf das Mark der Knochen verkamen; solche verheerende Zauberkraft besass noch, auf der Stätte, wo ein halbes Jahrtausend lang phönicische Greuel gewaltet hatten, der auf ihm lastende Fluch! Dass aus seinen Lupanaren ein mächtiger Schrei der Empörung gegen alles, was Civilisation hiess, hervorging: Tertullian und Augustinus, das ist das Einzige, was wir der kurzsichtigen und kurzlebigen Schöpfung Caesar’s als Verdienst anrechnen können. — Zur Charakterisierung des 19. Jahr- hunderts sei das Urteil seines angeblich grössten Historikers angeführt. Herr Leopold von Ranke urteilt: »Das phönicische Element hat durch Handel, Kolonisation undzuletzt auch durch Krieg einen doch in der Hauptsache belebenden Einfluss auf den Occident ausgeübt.« (Weltgeschichte I, 542.) <TEI> <text> <body> <div n="1"> <div n="2"> <div n="3"> <p><pb facs="#f0165" n="142"/><fw place="top" type="header">Das Erbe der alten Welt.</fw><lb/> einerseits aus einer besitzlosen, von der Hand in den Mund lebenden<lb/> städtischen Menge (auf dem Lande die unterworfenen, als rechtloses<lb/> Sklavenvieh behandelten Völker), andrerseits aus Grosshändlern, Plan-<lb/> tagenbesitzern und vornehmen Vögten.« — — — Das sind die<lb/> Menschen, das ist der verhängnisvolle Zweig aus der semitischen<lb/> Verwandtschaft, vor dem wir durch das brutale <hi rendition="#i">delenda est Carthago</hi><lb/> gerettet worden sind. 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Das Erbe der alten Welt.
einerseits aus einer besitzlosen, von der Hand in den Mund lebenden
städtischen Menge (auf dem Lande die unterworfenen, als rechtloses
Sklavenvieh behandelten Völker), andrerseits aus Grosshändlern, Plan-
tagenbesitzern und vornehmen Vögten.« — — — Das sind die
Menschen, das ist der verhängnisvolle Zweig aus der semitischen
Verwandtschaft, vor dem wir durch das brutale delenda est Carthago
gerettet worden sind. Und sollte es wahr sein, dass die Römer in
diesem Falle, mehr als sonst bei ihnen üblich, den niedrigeren Ein-
gebungen der Rache, vielleicht sogar der Eifersucht gefolgt sind, so
muss ich umsomehr die unfehlbare Sicherheit des Instinktes bewundern,
welche sie, selbst dort, wo sie von bösen Leidenschaften verblendet
waren, dasjenige treffen liess, was nur irgend ein kühl berechnender,
mit prophetischem Blick begabter Politiker zum Heil der Menschheit
von ihnen hätte fordern müssen. 1)
Ein zweites römisches delenda hat für die Weltgeschichte eine
vielleicht ebenso unermessliche Bedeutung: das delenda est Hierosolyma.
Ohne diese That (welche wir allerdings den ewig gegen jede Staats-
1) Mommsen, der das römische Verfahren gegen Karthago streng verurteilen
zu müssen glaubt, giebt doch an einer späteren Stelle (V, 623) zu, dass weder
Herrsch- noch Habsucht es bestimmt habe, sondern, meint er, Furcht und Neid.
Für die prinzipielle Auffassung der Rolle Roms in der Weltgeschichte ist gerade
diese Unterscheidung von Wichtigkeit. Kann man inmitten einer Welt, welche
als Norm für das internationale Recht einzig die Macht anerkennt, von einem
starken Volk feststellen, es sei nicht habsüchtig und nicht herrschsüchtig, so
hat man, dünkt mich, seinem sittlichen Charakter ein Zeugnis ausgestellt, wodurch
es über alle zeitgenössischen Völker erhaben emporragt. Was die »Furcht« jedoch
anbelangt, so war sie durchaus berechtigt, und es ist wohl gestattet, zu meinen,
dass der römische Senat die Situation richtiger beurteilt hat, als Herr Mommsen. —
Caesar, der eigenmächtige, von dem selbst sein eifriger Freund Celius sagen
muss, er opfere die Interessen des Staates seinen persönlichen Plänen, baute ja
später Karthago wieder auf; und was wurde daraus? Die berüchtigtste Lasterhöhle
der Welt, in der alle, die ihr Schicksal dahin warf, Römer, Griechen, Vandalen,
bis auf das Mark der Knochen verkamen; solche verheerende Zauberkraft besass
noch, auf der Stätte, wo ein halbes Jahrtausend lang phönicische Greuel gewaltet
hatten, der auf ihm lastende Fluch! Dass aus seinen Lupanaren ein mächtiger
Schrei der Empörung gegen alles, was Civilisation hiess, hervorging: Tertullian und
Augustinus, das ist das Einzige, was wir der kurzsichtigen und kurzlebigen Schöpfung
Caesar’s als Verdienst anrechnen können. — Zur Charakterisierung des 19. Jahr-
hunderts sei das Urteil seines angeblich grössten Historikers angeführt. Herr
Leopold von Ranke urteilt: »Das phönicische Element hat durch Handel, Kolonisation
undzuletzt auch durch Krieg einen doch in der Hauptsache belebenden Einfluss
auf den Occident ausgeübt.« (Weltgeschichte I, 542.)
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