weichen: selbst die rohen Soldatenkaiser vermochten es nicht, diese Tradition zu brechen. Darum kommt auch der wahre Schlachtenheld -- als einzelne Erscheinung -- unter den Römern gar nicht vor. Ich will nicht erst Alexander, Karl XII. oder Napoleon zum Vergleich heran- ziehen, ich frage aber, ob nicht der eine Hannibal als erfindungsreicher, verwegener, eigenmächtiger Kriegsfürst mehr eigentliche Genialität an den Tag gelegt hat, als alle römische Imperatoren zusammen?
Dass Rom nicht für ein zukünftiges Europa, dass es nicht im Interesse einer fernhinreichenden Kulturaufgabe, sondern für sich selbst gekämpft hat, das braucht kaum gesagt zu werden; gerade dadurch aber, dass es seine eigenen Interessen mit der rücksichtslosen Energie eines moralisch starken Volkes verfocht, hat es jene "geistige Entwickelung der Menschheit, die auf dem indogermanischen Stamm beruht", vor sicherem Untergang bewahrt. Das sieht man am besten in dem entscheidensten aller seiner Kämpfe, dem mit Karthago. Wäre Roms politische Entwickelung nicht bis dahin so streng logisch gewesen, hätte es nicht bei Zeiten das übrige Italien sich unterordnet und diszipliniert, so wäre jener vorhin genannte tötliche Schlag auf Freiheit und Civilisation von den verbündeten Asiaten und Puniern noch ausgeführt worden. Und wie wenig ein einzelner Held solchen weltgeschichtlichen Lagen gegenüber vermag, trotzdem er allein sie vielleicht überblickt, zeigt uns das Schicksal Alexander's, der Tyrus vernichtet hatte und gegen Karthago zu ziehen gedachte, bei seinem frühen Tode aber nichts hinterliess, als die Erinnerung an sein Genie. Das langlebige römische Volk dagegen war jener grossen Aufgabe gewachsen, welche es zuletzt in die lapidaren Worte zusammenfasste: delenda est Carthago.
Wie viel hat man nicht über die Vertilgung Karthagos durch die Römer gewehklagt und moralisiert, von Polybius bis zu Mommsen! Erfrischend wirkt es, wenn man einmal einem Schriftsteller begegnet, der, wie Bossuet, einfach meldet: "Karthago wurde eingenommen und vertilgt von Scipio, der sich hierin würdig seines grossen Ahnen erwies", ohne jede moralische Entrüstung, ohne die übliche Phrase: aller Jammer, der später über Rom hereinbrach, sei eine Vergeltung für diese Missethat. Ich schreibe nicht eine Geschichte Roms und habe folglich auch nicht über die Römer zu Gericht zu sitzen; Eines aber ist so klar wie die Sonne am Mittag: wäre das phönicische Volk nicht ausgerottet, wären seine Überreste nicht durch die spurlose Vertilgung seiner letzten Hauptstadt eines Vereinigungspunktes beraubt
Römisches Recht.
weichen: selbst die rohen Soldatenkaiser vermochten es nicht, diese Tradition zu brechen. Darum kommt auch der wahre Schlachtenheld — als einzelne Erscheinung — unter den Römern gar nicht vor. Ich will nicht erst Alexander, Karl XII. oder Napoleon zum Vergleich heran- ziehen, ich frage aber, ob nicht der eine Hannibal als erfindungsreicher, verwegener, eigenmächtiger Kriegsfürst mehr eigentliche Genialität an den Tag gelegt hat, als alle römische Imperatoren zusammen?
Dass Rom nicht für ein zukünftiges Europa, dass es nicht im Interesse einer fernhinreichenden Kulturaufgabe, sondern für sich selbst gekämpft hat, das braucht kaum gesagt zu werden; gerade dadurch aber, dass es seine eigenen Interessen mit der rücksichtslosen Energie eines moralisch starken Volkes verfocht, hat es jene »geistige Entwickelung der Menschheit, die auf dem indogermanischen Stamm beruht«, vor sicherem Untergang bewahrt. Das sieht man am besten in dem entscheidensten aller seiner Kämpfe, dem mit Karthago. Wäre Roms politische Entwickelung nicht bis dahin so streng logisch gewesen, hätte es nicht bei Zeiten das übrige Italien sich unterordnet und diszipliniert, so wäre jener vorhin genannte tötliche Schlag auf Freiheit und Civilisation von den verbündeten Asiaten und Puniern noch ausgeführt worden. Und wie wenig ein einzelner Held solchen weltgeschichtlichen Lagen gegenüber vermag, trotzdem er allein sie vielleicht überblickt, zeigt uns das Schicksal Alexander’s, der Tyrus vernichtet hatte und gegen Karthago zu ziehen gedachte, bei seinem frühen Tode aber nichts hinterliess, als die Erinnerung an sein Genie. Das langlebige römische Volk dagegen war jener grossen Aufgabe gewachsen, welche es zuletzt in die lapidaren Worte zusammenfasste: delenda est Carthago.
Wie viel hat man nicht über die Vertilgung Karthagos durch die Römer gewehklagt und moralisiert, von Polybius bis zu Mommsen! Erfrischend wirkt es, wenn man einmal einem Schriftsteller begegnet, der, wie Bossuet, einfach meldet: »Karthago wurde eingenommen und vertilgt von Scipio, der sich hierin würdig seines grossen Ahnen erwies«, ohne jede moralische Entrüstung, ohne die übliche Phrase: aller Jammer, der später über Rom hereinbrach, sei eine Vergeltung für diese Missethat. Ich schreibe nicht eine Geschichte Roms und habe folglich auch nicht über die Römer zu Gericht zu sitzen; Eines aber ist so klar wie die Sonne am Mittag: wäre das phönicische Volk nicht ausgerottet, wären seine Überreste nicht durch die spurlose Vertilgung seiner letzten Hauptstadt eines Vereinigungspunktes beraubt
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Römisches Recht.
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als einzelne Erscheinung — unter den Römern gar nicht vor. Ich will
nicht erst Alexander, Karl XII. oder Napoleon zum Vergleich heran-
ziehen, ich frage aber, ob nicht der eine Hannibal als erfindungsreicher,
verwegener, eigenmächtiger Kriegsfürst mehr eigentliche Genialität an
den Tag gelegt hat, als alle römische Imperatoren zusammen?
Dass Rom nicht für ein zukünftiges Europa, dass es nicht im
Interesse einer fernhinreichenden Kulturaufgabe, sondern für sich
selbst gekämpft hat, das braucht kaum gesagt zu werden; gerade
dadurch aber, dass es seine eigenen Interessen mit der rücksichtslosen
Energie eines moralisch starken Volkes verfocht, hat es jene »geistige
Entwickelung der Menschheit, die auf dem indogermanischen Stamm
beruht«, vor sicherem Untergang bewahrt. Das sieht man am besten
in dem entscheidensten aller seiner Kämpfe, dem mit Karthago.
Wäre Roms politische Entwickelung nicht bis dahin so streng logisch
gewesen, hätte es nicht bei Zeiten das übrige Italien sich unterordnet
und diszipliniert, so wäre jener vorhin genannte tötliche Schlag auf
Freiheit und Civilisation von den verbündeten Asiaten und Puniern
noch ausgeführt worden. Und wie wenig ein einzelner Held solchen
weltgeschichtlichen Lagen gegenüber vermag, trotzdem er allein sie
vielleicht überblickt, zeigt uns das Schicksal Alexander’s, der Tyrus
vernichtet hatte und gegen Karthago zu ziehen gedachte, bei seinem
frühen Tode aber nichts hinterliess, als die Erinnerung an sein Genie.
Das langlebige römische Volk dagegen war jener grossen Aufgabe
gewachsen, welche es zuletzt in die lapidaren Worte zusammenfasste:
delenda est Carthago.
Wie viel hat man nicht über die Vertilgung Karthagos durch
die Römer gewehklagt und moralisiert, von Polybius bis zu Mommsen!
Erfrischend wirkt es, wenn man einmal einem Schriftsteller begegnet,
der, wie Bossuet, einfach meldet: »Karthago wurde eingenommen
und vertilgt von Scipio, der sich hierin würdig seines grossen Ahnen
erwies«, ohne jede moralische Entrüstung, ohne die übliche Phrase:
aller Jammer, der später über Rom hereinbrach, sei eine Vergeltung
für diese Missethat. Ich schreibe nicht eine Geschichte Roms und
habe folglich auch nicht über die Römer zu Gericht zu sitzen; Eines
aber ist so klar wie die Sonne am Mittag: wäre das phönicische
Volk nicht ausgerottet, wären seine Überreste nicht durch die spurlose
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Chamberlain, Houston Stewart: Die Grundlagen des Neunzehnten Jahrhunderts. Bd. 1. München 1899, S. 139. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/chamberlain_grundlagen01_1899/162>, abgerufen am 23.11.2024.
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