bewunderungswürdig starkem Charakter hervor wie Rom, wenn es nicht selber eine breite, feste und gesunde Grundlage für Charakter- stärke abgiebt. Was Herder, und mit ihm so viele, Rom nennen, kann also nur ein Teil von Rom sein, und zwar nicht der wichtigste. Viel treffender finde ich die Ausführungen des Augustinus in dem fünften Buch seines De civitate Dei; er macht hier besonders auf die Abwesenheit der Habgier und des Eigennutzes bei den Römern auf- merksam und wie so ihr ganzes Wollen sich in dem einen Entschluss kundgegeben habe: "entweder frei zu leben, oder tapfer zu Grunde zu gehen" (aut fortiter emori, aut liberos vivere); die Grösse der römischen Macht und ihre Dauer schreibt Augustinus dieser moralischen Grösse zu.
In der allgemeinen Einleitung zu diesem Buche sprach ich von anonymen Kräften, welche das Leben der Völker gestalten; davon haben wir in Rom ein leuchtendes Beispiel. Ich glaube, man könnte ohne zu übertreiben sagen, Roms ganze wahre Grösse war eine solche anonyme "Volksgrösse". Schlug bei den Athenern der Geist in die Krone, so schlug er hier in Stamm und Wurzeln; Rom war das wurzelhafteste aller Völker. Daher trotzte es auch so vielen Stürmen, und die Weltgeschichte bedurfte fast eines halben Jahrtausends, um den morschen Stamm auszurotten. Daher aber auch das eigentümliche Grau in Grau dieser Geschichte. Bei dem römischen Baum schoss alles ins Holz, wie die Gärtner sagen; er trug wenig Blätter, noch weniger Blüten, der Stamm war aber unvergleichlich stark; an ihm schlangen sich spätere Völker in die Höhe. Der Dichter und der Philosoph konnten in dieser Atmosphäre nicht gedeihen, dieses Volk liebte nur jene Persönlichkeiten, in denen es sich selbst erkannte, jedes Ungewöhnliche erweckte sein Misstrauen; "wer anders sein wollte als die Genossen, hiess in Rom ein schlechter Bürger."1) Das Volk hatte Recht; der beste Staatsmann für Rom war derjenige, der sich nicht eine Haaresbreite von dem entfernte, was die Allgemeinheit wollte, ein Mann, der es verstand, einmal hier, einmal dort das Sicherheitsventil zu öffnen, den wachsenden Kräften durch verlängerte Kolben, durch die Einrichtung entsprechender Centrifugalkugeln und Drosselklappen zu begegnen, bis die Staatsmaschine sich quasi auto- matisch erweitert und administrativ ergänzt hatte, kurz, ein zuver- lässiger Maschinist: das war der Idealpolitiker für dieses starke, be-
1) Mommsen: Römische Geschichte, 8. Aufl., I, 24.
Chamberlain, Grundlagen des XIX. Jahrhunderts. 9
Römisches Recht.
bewunderungswürdig starkem Charakter hervor wie Rom, wenn es nicht selber eine breite, feste und gesunde Grundlage für Charakter- stärke abgiebt. Was Herder, und mit ihm so viele, Rom nennen, kann also nur ein Teil von Rom sein, und zwar nicht der wichtigste. Viel treffender finde ich die Ausführungen des Augustinus in dem fünften Buch seines De civitate Dei; er macht hier besonders auf die Abwesenheit der Habgier und des Eigennutzes bei den Römern auf- merksam und wie so ihr ganzes Wollen sich in dem einen Entschluss kundgegeben habe: »entweder frei zu leben, oder tapfer zu Grunde zu gehen« (aut fortiter emori, aut liberos vivere); die Grösse der römischen Macht und ihre Dauer schreibt Augustinus dieser moralischen Grösse zu.
In der allgemeinen Einleitung zu diesem Buche sprach ich von anonymen Kräften, welche das Leben der Völker gestalten; davon haben wir in Rom ein leuchtendes Beispiel. Ich glaube, man könnte ohne zu übertreiben sagen, Roms ganze wahre Grösse war eine solche anonyme »Volksgrösse«. Schlug bei den Athenern der Geist in die Krone, so schlug er hier in Stamm und Wurzeln; Rom war das wurzelhafteste aller Völker. Daher trotzte es auch so vielen Stürmen, und die Weltgeschichte bedurfte fast eines halben Jahrtausends, um den morschen Stamm auszurotten. Daher aber auch das eigentümliche Grau in Grau dieser Geschichte. Bei dem römischen Baum schoss alles ins Holz, wie die Gärtner sagen; er trug wenig Blätter, noch weniger Blüten, der Stamm war aber unvergleichlich stark; an ihm schlangen sich spätere Völker in die Höhe. Der Dichter und der Philosoph konnten in dieser Atmosphäre nicht gedeihen, dieses Volk liebte nur jene Persönlichkeiten, in denen es sich selbst erkannte, jedes Ungewöhnliche erweckte sein Misstrauen; »wer anders sein wollte als die Genossen, hiess in Rom ein schlechter Bürger.«1) Das Volk hatte Recht; der beste Staatsmann für Rom war derjenige, der sich nicht eine Haaresbreite von dem entfernte, was die Allgemeinheit wollte, ein Mann, der es verstand, einmal hier, einmal dort das Sicherheitsventil zu öffnen, den wachsenden Kräften durch verlängerte Kolben, durch die Einrichtung entsprechender Centrifugalkugeln und Drosselklappen zu begegnen, bis die Staatsmaschine sich quasi auto- matisch erweitert und administrativ ergänzt hatte, kurz, ein zuver- lässiger Maschinist: das war der Idealpolitiker für dieses starke, be-
1) Mommsen: Römische Geschichte, 8. Aufl., I, 24.
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Römisches Recht.
bewunderungswürdig starkem Charakter hervor wie Rom, wenn es
nicht selber eine breite, feste und gesunde Grundlage für Charakter-
stärke abgiebt. Was Herder, und mit ihm so viele, Rom nennen,
kann also nur ein Teil von Rom sein, und zwar nicht der wichtigste.
Viel treffender finde ich die Ausführungen des Augustinus in dem
fünften Buch seines De civitate Dei; er macht hier besonders auf die
Abwesenheit der Habgier und des Eigennutzes bei den Römern auf-
merksam und wie so ihr ganzes Wollen sich in dem einen Entschluss
kundgegeben habe: »entweder frei zu leben, oder tapfer zu Grunde
zu gehen« (aut fortiter emori, aut liberos vivere); die Grösse der
römischen Macht und ihre Dauer schreibt Augustinus dieser moralischen
Grösse zu.
In der allgemeinen Einleitung zu diesem Buche sprach ich von
anonymen Kräften, welche das Leben der Völker gestalten; davon
haben wir in Rom ein leuchtendes Beispiel. Ich glaube, man könnte
ohne zu übertreiben sagen, Roms ganze wahre Grösse war eine solche
anonyme »Volksgrösse«. Schlug bei den Athenern der Geist in die
Krone, so schlug er hier in Stamm und Wurzeln; Rom war das
wurzelhafteste aller Völker. Daher trotzte es auch so vielen Stürmen,
und die Weltgeschichte bedurfte fast eines halben Jahrtausends, um
den morschen Stamm auszurotten. Daher aber auch das eigentümliche
Grau in Grau dieser Geschichte. Bei dem römischen Baum schoss
alles ins Holz, wie die Gärtner sagen; er trug wenig Blätter, noch
weniger Blüten, der Stamm war aber unvergleichlich stark; an ihm
schlangen sich spätere Völker in die Höhe. Der Dichter und der
Philosoph konnten in dieser Atmosphäre nicht gedeihen, dieses Volk
liebte nur jene Persönlichkeiten, in denen es sich selbst erkannte,
jedes Ungewöhnliche erweckte sein Misstrauen; »wer anders sein
wollte als die Genossen, hiess in Rom ein schlechter Bürger.« 1) Das
Volk hatte Recht; der beste Staatsmann für Rom war derjenige, der
sich nicht eine Haaresbreite von dem entfernte, was die Allgemeinheit
wollte, ein Mann, der es verstand, einmal hier, einmal dort das
Sicherheitsventil zu öffnen, den wachsenden Kräften durch verlängerte
Kolben, durch die Einrichtung entsprechender Centrifugalkugeln und
Drosselklappen zu begegnen, bis die Staatsmaschine sich quasi auto-
matisch erweitert und administrativ ergänzt hatte, kurz, ein zuver-
lässiger Maschinist: das war der Idealpolitiker für dieses starke, be-
1) Mommsen: Römische Geschichte, 8. Aufl., I, 24.
Chamberlain, Grundlagen des XIX. Jahrhunderts. 9
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Chamberlain, Houston Stewart: Die Grundlagen des Neunzehnten Jahrhunderts. Bd. 1. München 1899, S. 129. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/chamberlain_grundlagen01_1899/152>, abgerufen am 16.02.2025.
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