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Chamberlain, Houston Stewart: Die Grundlagen des Neunzehnten Jahrhunderts. Bd. 1. München 1899.

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Römisches Recht.
geboren; vielleicht erscheint sie uns aber nur darum schlimmer als
alle früheren, weil sie uns -- in der Zeit -- näher steht; wir daher
am ausführlichsten über sie benachrichtigt sind, auch weil wir den
von Caesar herbeigeführten Ausgang kennen. Ich meinesteils halte
aber die geschichtsphilosophische Auslegung dieser Vorfälle für ein
pures Gedankending. Weder die rauhe Faust des ungestümen, von
der Leidenschaft hingerissenen Plebejers Marius, noch die tigermässige
Grausamkeit des kühl berechnenden Patriziers Sulla hätten der römischen
Verfassung tötliche Wunden beigebracht. Selbst das Allerbedenklichste:
die Befreiung vieler Tausende von Sklaven und die Verleihung der
Bürgerwürde an viele Tausende von Freigesprochenen (und zwar aus
politischen, unmoralischen Gründen) hätte Rom in kurzer Zeit über-
wunden. Rom besass die Lebenskraft, das Sklavenblut zu adeln, das
heisst, ihm den bestimmten römischen Charakter mitzuteilen. Einzig
eine ganz gewaltige Persönlichkeit, einer jener abnormen Willenshelden,
wie die Welt sie in einem Jahrtausend kaum einmal hervorbringt,
vermochte es, einen solchen Staat zu Grunde zu richten. Man sagt,
Caesar sei ein Retter Roms gewesen, nur zu früh hinweggerafft, ehe
er sein Werk vollenden konnte: das ist falsch. Als der grosse Mann
mit seinem Heere an den Ufern des Rubicon angelangt war, soll er
unentschlossen Halt geboten und die Tragweite seines Thuns noch
einmal sich überlegt haben: setze er nicht hinüber, so gerate er selber
in Gefahr, überschreite er die ihm vom heiligen Gesetz gesteckte
Grenze, so rufe er Gefahr herauf über die ganze Welt (d. h. über
den römischen Staat); er entschied für seinen Ehrgeiz und gegen Rom.
Die Anekdote mag erfunden sein, Caesar wenigstens lässt uns in
seinem "Bürgerkrieg" keinen derartigen inneren Gewissenskampf
schauen; die Situation aber wird dadurch genau bezeichnet. Ein
Mann kann noch so gross sein, frei ist er nie, seine Vergangenheit
schreibt seiner Gegenwart gebieterisch die Richtung vor; hat er einmal
das Schlechtere erwählt, so muss er fortan schaden, er mag wollen
oder nicht, und schwingt er sich auch zum Alleinherrscher auf, im
Wahne nunmehr lauter Gutes wirken zu können, so wird er an sich
selber erfahren, dass "die Macht der Könige am wirksamsten in der
Zerstörung ist." An Pompejus hatte Caesar noch von Ariminum aus
geschrieben: das Interesse der Republik liege ihm mehr am Herzen
als das eigene Leben;1) noch nicht lange jedoch war Caesar Gutes

1) De bello civili, I, 9. Nebenbei gesagt, echt römisch, in einem solchen
Augenblick einen so platten Ausdruck zu gebrauchen!

Römisches Recht.
geboren; vielleicht erscheint sie uns aber nur darum schlimmer als
alle früheren, weil sie uns — in der Zeit — näher steht; wir daher
am ausführlichsten über sie benachrichtigt sind, auch weil wir den
von Caesar herbeigeführten Ausgang kennen. Ich meinesteils halte
aber die geschichtsphilosophische Auslegung dieser Vorfälle für ein
pures Gedankending. Weder die rauhe Faust des ungestümen, von
der Leidenschaft hingerissenen Plebejers Marius, noch die tigermässige
Grausamkeit des kühl berechnenden Patriziers Sulla hätten der römischen
Verfassung tötliche Wunden beigebracht. Selbst das Allerbedenklichste:
die Befreiung vieler Tausende von Sklaven und die Verleihung der
Bürgerwürde an viele Tausende von Freigesprochenen (und zwar aus
politischen, unmoralischen Gründen) hätte Rom in kurzer Zeit über-
wunden. Rom besass die Lebenskraft, das Sklavenblut zu adeln, das
heisst, ihm den bestimmten römischen Charakter mitzuteilen. Einzig
eine ganz gewaltige Persönlichkeit, einer jener abnormen Willenshelden,
wie die Welt sie in einem Jahrtausend kaum einmal hervorbringt,
vermochte es, einen solchen Staat zu Grunde zu richten. Man sagt,
Caesar sei ein Retter Roms gewesen, nur zu früh hinweggerafft, ehe
er sein Werk vollenden konnte: das ist falsch. Als der grosse Mann
mit seinem Heere an den Ufern des Rubicon angelangt war, soll er
unentschlossen Halt geboten und die Tragweite seines Thuns noch
einmal sich überlegt haben: setze er nicht hinüber, so gerate er selber
in Gefahr, überschreite er die ihm vom heiligen Gesetz gesteckte
Grenze, so rufe er Gefahr herauf über die ganze Welt (d. h. über
den römischen Staat); er entschied für seinen Ehrgeiz und gegen Rom.
Die Anekdote mag erfunden sein, Caesar wenigstens lässt uns in
seinem »Bürgerkrieg« keinen derartigen inneren Gewissenskampf
schauen; die Situation aber wird dadurch genau bezeichnet. Ein
Mann kann noch so gross sein, frei ist er nie, seine Vergangenheit
schreibt seiner Gegenwart gebieterisch die Richtung vor; hat er einmal
das Schlechtere erwählt, so muss er fortan schaden, er mag wollen
oder nicht, und schwingt er sich auch zum Alleinherrscher auf, im
Wahne nunmehr lauter Gutes wirken zu können, so wird er an sich
selber erfahren, dass »die Macht der Könige am wirksamsten in der
Zerstörung ist.« An Pompejus hatte Caesar noch von Ariminum aus
geschrieben: das Interesse der Republik liege ihm mehr am Herzen
als das eigene Leben;1) noch nicht lange jedoch war Caesar Gutes

1) De bello civili, I, 9. Nebenbei gesagt, echt römisch, in einem solchen
Augenblick einen so platten Ausdruck zu gebrauchen!
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[127/0150] Römisches Recht. geboren; vielleicht erscheint sie uns aber nur darum schlimmer als alle früheren, weil sie uns — in der Zeit — näher steht; wir daher am ausführlichsten über sie benachrichtigt sind, auch weil wir den von Caesar herbeigeführten Ausgang kennen. Ich meinesteils halte aber die geschichtsphilosophische Auslegung dieser Vorfälle für ein pures Gedankending. Weder die rauhe Faust des ungestümen, von der Leidenschaft hingerissenen Plebejers Marius, noch die tigermässige Grausamkeit des kühl berechnenden Patriziers Sulla hätten der römischen Verfassung tötliche Wunden beigebracht. Selbst das Allerbedenklichste: die Befreiung vieler Tausende von Sklaven und die Verleihung der Bürgerwürde an viele Tausende von Freigesprochenen (und zwar aus politischen, unmoralischen Gründen) hätte Rom in kurzer Zeit über- wunden. Rom besass die Lebenskraft, das Sklavenblut zu adeln, das heisst, ihm den bestimmten römischen Charakter mitzuteilen. Einzig eine ganz gewaltige Persönlichkeit, einer jener abnormen Willenshelden, wie die Welt sie in einem Jahrtausend kaum einmal hervorbringt, vermochte es, einen solchen Staat zu Grunde zu richten. Man sagt, Caesar sei ein Retter Roms gewesen, nur zu früh hinweggerafft, ehe er sein Werk vollenden konnte: das ist falsch. Als der grosse Mann mit seinem Heere an den Ufern des Rubicon angelangt war, soll er unentschlossen Halt geboten und die Tragweite seines Thuns noch einmal sich überlegt haben: setze er nicht hinüber, so gerate er selber in Gefahr, überschreite er die ihm vom heiligen Gesetz gesteckte Grenze, so rufe er Gefahr herauf über die ganze Welt (d. h. über den römischen Staat); er entschied für seinen Ehrgeiz und gegen Rom. Die Anekdote mag erfunden sein, Caesar wenigstens lässt uns in seinem »Bürgerkrieg« keinen derartigen inneren Gewissenskampf schauen; die Situation aber wird dadurch genau bezeichnet. Ein Mann kann noch so gross sein, frei ist er nie, seine Vergangenheit schreibt seiner Gegenwart gebieterisch die Richtung vor; hat er einmal das Schlechtere erwählt, so muss er fortan schaden, er mag wollen oder nicht, und schwingt er sich auch zum Alleinherrscher auf, im Wahne nunmehr lauter Gutes wirken zu können, so wird er an sich selber erfahren, dass »die Macht der Könige am wirksamsten in der Zerstörung ist.« An Pompejus hatte Caesar noch von Ariminum aus geschrieben: das Interesse der Republik liege ihm mehr am Herzen als das eigene Leben; 1) noch nicht lange jedoch war Caesar Gutes 1) De bello civili, I, 9. Nebenbei gesagt, echt römisch, in einem solchen Augenblick einen so platten Ausdruck zu gebrauchen!

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Zitationshilfe: Chamberlain, Houston Stewart: Die Grundlagen des Neunzehnten Jahrhunderts. Bd. 1. München 1899, S. 127. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/chamberlain_grundlagen01_1899/150>, abgerufen am 22.11.2024.