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Chamberlain, Houston Stewart: Die Grundlagen des Neunzehnten Jahrhunderts. Bd. 1. München 1899.

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Das Erbe der alten Welt.
nahme der Denker galt, das wurde in Griechenland die er-
habenste "Geheimlehre" ihres ersten grossen Philosophen, verschwand
auch niemals wieder ganz aus den höchsten Regionen ihrer philo-
sophischen Anschauungen, und gewann durch Plato den bestrickenden
Reiz poetischer Gestaltung! Das sind die Leute, die uns Allen angeb-
lich vorgedacht haben sollen, "das gedankenreichste der Völker"!
Nein, die Griechen waren keine grossen Metaphysiker.

Theologie.

Sie waren aber ebensowenig grosse Moralisten und Theologen.
Auch hier nur ein Beispiel statt vieler. Der Dämonenglaube findet
sich allerorten; die Vorstellung eines besonderen Zwischenreiches der
Dämonen (zwischen den Göttern im Himmel und den Menschen auf
Erden) haben die Griechen höchst wahrscheinlich ebenfalls aus Indien
(über Persien) entnommen,1) das bleibt sich jedoch gleich; in der
Philosophie, oder wenn man will, in der "rationellen Religion" fanden
diese Gebilde des Aberglaubens erst durch Plato Aufahme. Rhode
schreibt:2) "Plato zuerst, als Vorgänger vieler Anderen, redet von
einem ganzen Zwischenreich von Dämonen, denen alles zugetraut wird,
was an Wirkungen unsichtbarer Mächte der hohen Götter unwürdig
erscheint. So wird die Gottheit selbst alles Bösen und Niederziehenden
entlastet." Also mit vollem Bewusstsein und aus dem "rationellen",
flagrant anthropomorphischen Grunde, Gott dessen, was uns Menschen
böse dünkt, zu "entlasten", wird derjenige Aberglaube, der den Hellenen
mit Buschmännern und Australnegern gemeinsam war, mit einer
philosophischen und theologischen Aureole geschmückt, den edelsten
Geistern von einem edelsten Geist empfohlen, und allen künftigen
Jahrhunderten als Erbschaft vermacht. Die glücklichen Inder hatten
ihren Dämonenglauben schon längst abgeschüttelt; er galt nur für
das gänzlich unkultivierte Volk; der Philosoph war bei ihnen sogar
zu keinerlei religiöser Handlung mehr verpflichtet, denn ohne sie zu
leugnen, wie der flache Xenophanes, hatte er die Götter als Symbole
einer höheren, von den Sinnen nicht zu fassenden Wahrheit erkennen
gelernt, -- was sollten Dämonen noch solchen Leuten? Homer war
aber auf demselben Wege gewesen, das merke man wohl! Freilich
hemmt die Hand der Athene den voreilig erhobenen Arm des Achilleus,
und flösst Here dem schwankenden Diomedes Mut ein: so göttlich
frei deutet der Dichter, alle Zeiten zu poetischen Gedanken anregend;

1) Colebrooke: Miscellaneons Essays, p. 442.
2) In einer kleinen zusammenfassenden Schrift Die Religion der Griechen, er
schienen 1895 in den Bayreuther Blättern.

Das Erbe der alten Welt.
nahme der Denker galt, das wurde in Griechenland die er-
habenste »Geheimlehre« ihres ersten grossen Philosophen, verschwand
auch niemals wieder ganz aus den höchsten Regionen ihrer philo-
sophischen Anschauungen, und gewann durch Plato den bestrickenden
Reiz poetischer Gestaltung! Das sind die Leute, die uns Allen angeb-
lich vorgedacht haben sollen, »das gedankenreichste der Völker«!
Nein, die Griechen waren keine grossen Metaphysiker.

Theologie.

Sie waren aber ebensowenig grosse Moralisten und Theologen.
Auch hier nur ein Beispiel statt vieler. Der Dämonenglaube findet
sich allerorten; die Vorstellung eines besonderen Zwischenreiches der
Dämonen (zwischen den Göttern im Himmel und den Menschen auf
Erden) haben die Griechen höchst wahrscheinlich ebenfalls aus Indien
(über Persien) entnommen,1) das bleibt sich jedoch gleich; in der
Philosophie, oder wenn man will, in der »rationellen Religion« fanden
diese Gebilde des Aberglaubens erst durch Plato Aufahme. Rhode
schreibt:2) »Plato zuerst, als Vorgänger vieler Anderen, redet von
einem ganzen Zwischenreich von Dämonen, denen alles zugetraut wird,
was an Wirkungen unsichtbarer Mächte der hohen Götter unwürdig
erscheint. So wird die Gottheit selbst alles Bösen und Niederziehenden
entlastet.« Also mit vollem Bewusstsein und aus dem »rationellen«,
flagrant anthropomorphischen Grunde, Gott dessen, was uns Menschen
böse dünkt, zu »entlasten«, wird derjenige Aberglaube, der den Hellenen
mit Buschmännern und Australnegern gemeinsam war, mit einer
philosophischen und theologischen Aureole geschmückt, den edelsten
Geistern von einem edelsten Geist empfohlen, und allen künftigen
Jahrhunderten als Erbschaft vermacht. Die glücklichen Inder hatten
ihren Dämonenglauben schon längst abgeschüttelt; er galt nur für
das gänzlich unkultivierte Volk; der Philosoph war bei ihnen sogar
zu keinerlei religiöser Handlung mehr verpflichtet, denn ohne sie zu
leugnen, wie der flache Xenophanes, hatte er die Götter als Symbole
einer höheren, von den Sinnen nicht zu fassenden Wahrheit erkennen
gelernt, — was sollten Dämonen noch solchen Leuten? Homer war
aber auf demselben Wege gewesen, das merke man wohl! Freilich
hemmt die Hand der Athene den voreilig erhobenen Arm des Achilleus,
und flösst Here dem schwankenden Diomedes Mut ein: so göttlich
frei deutet der Dichter, alle Zeiten zu poetischen Gedanken anregend;

1) Colebrooke: Miscellaneons Essays, p. 442.
2) In einer kleinen zusammenfassenden Schrift Die Religion der Griechen, er
schienen 1895 in den Bayreuther Blättern.
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[112/0135] Das Erbe der alten Welt. nahme der Denker galt, das wurde in Griechenland die er- habenste »Geheimlehre« ihres ersten grossen Philosophen, verschwand auch niemals wieder ganz aus den höchsten Regionen ihrer philo- sophischen Anschauungen, und gewann durch Plato den bestrickenden Reiz poetischer Gestaltung! Das sind die Leute, die uns Allen angeb- lich vorgedacht haben sollen, »das gedankenreichste der Völker«! Nein, die Griechen waren keine grossen Metaphysiker. Sie waren aber ebensowenig grosse Moralisten und Theologen. Auch hier nur ein Beispiel statt vieler. Der Dämonenglaube findet sich allerorten; die Vorstellung eines besonderen Zwischenreiches der Dämonen (zwischen den Göttern im Himmel und den Menschen auf Erden) haben die Griechen höchst wahrscheinlich ebenfalls aus Indien (über Persien) entnommen, 1) das bleibt sich jedoch gleich; in der Philosophie, oder wenn man will, in der »rationellen Religion« fanden diese Gebilde des Aberglaubens erst durch Plato Aufahme. Rhode schreibt: 2) »Plato zuerst, als Vorgänger vieler Anderen, redet von einem ganzen Zwischenreich von Dämonen, denen alles zugetraut wird, was an Wirkungen unsichtbarer Mächte der hohen Götter unwürdig erscheint. So wird die Gottheit selbst alles Bösen und Niederziehenden entlastet.« Also mit vollem Bewusstsein und aus dem »rationellen«, flagrant anthropomorphischen Grunde, Gott dessen, was uns Menschen böse dünkt, zu »entlasten«, wird derjenige Aberglaube, der den Hellenen mit Buschmännern und Australnegern gemeinsam war, mit einer philosophischen und theologischen Aureole geschmückt, den edelsten Geistern von einem edelsten Geist empfohlen, und allen künftigen Jahrhunderten als Erbschaft vermacht. Die glücklichen Inder hatten ihren Dämonenglauben schon längst abgeschüttelt; er galt nur für das gänzlich unkultivierte Volk; der Philosoph war bei ihnen sogar zu keinerlei religiöser Handlung mehr verpflichtet, denn ohne sie zu leugnen, wie der flache Xenophanes, hatte er die Götter als Symbole einer höheren, von den Sinnen nicht zu fassenden Wahrheit erkennen gelernt, — was sollten Dämonen noch solchen Leuten? Homer war aber auf demselben Wege gewesen, das merke man wohl! Freilich hemmt die Hand der Athene den voreilig erhobenen Arm des Achilleus, und flösst Here dem schwankenden Diomedes Mut ein: so göttlich frei deutet der Dichter, alle Zeiten zu poetischen Gedanken anregend; 1) Colebrooke: Miscellaneons Essays, p. 442. 2) In einer kleinen zusammenfassenden Schrift Die Religion der Griechen, er schienen 1895 in den Bayreuther Blättern.

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Zitationshilfe: Chamberlain, Houston Stewart: Die Grundlagen des Neunzehnten Jahrhunderts. Bd. 1. München 1899, S. 112. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/chamberlain_grundlagen01_1899/135>, abgerufen am 24.11.2024.