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Carus, Julius Victor: Geschichte der Zoologie bis auf Johannes Müller und Charles Darwin. München, 1872.

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3. Versuche zur Systematik.
zweihufige oder gespaltene Füße, haben Zähne u. s. f. Es läßt sich aber
nicht nachweisen, daß Aristoteles auf eines dieser Merkmale eine wei-
tere Eintheilung begründet hätte, trotzdem er mehrere kleine Gruppen,
aber keine von der Bedeutung jetziger Ordnungen oder Unterordnun-
gen annahm. Es mögen ihm wohl einzelne solcher größerer Abtheilun-
gen vorgeschwebt haben; doch waren sie namenlos (Hist. anim. I,
6, 35
), d. h. der populäre Sprachgebrauch, dem er selbst zu folgen
räth, bot ihm keine Bezeichnung dar. Nur für Pferd, Esel, Hemionus
u. s. w. gibt es einen Namen, Lophuren oder Schweifschwänze; er
konnte sie deshalb nicht Einhufer nennen, weil er ja selbst einhufige
Schweine anführt, welche nicht hierhergehören.

b) Die Vögel, mit Einschluß des Straußen. Sie sind Flug-
thiere, befiedert, zweifüßig und eierlegend. Von den Ordnungen unter-
schied Aristoteles nur drei sicher: die Raubvögel, die er Gampsonycha,
die Schwimmvögel, die er Steganopoda, und die Stelzvögel, die er
Makroskelen nennt. Er charakterisirt sie so, daß sie gut umgrenzt sind.
Neben ihnen erwähnt er noch mehrere kleinere Gruppen, ohne aber für
mehrere derselben gemeinsame größere "Gattungen" (Ordnungen) auf-zustellen. Auch bildet der Strauß eine Gruppe für sich.

c) Die eierlegenden Vierfüßer, die Reptilien und Am-
phibien, mit Einschluß der Schlangen und des Krokodils. Sie heißen
auch Pholidota, sind ausnahmsweise fußlos, auch lebendiggebärend,
athmen aber durch Lungen. Aristoteles kannte und unterschied auch als
selbständige Gruppen: das Krokodil, die Schildkröten, die Sauren,
Schlangen und Frösche. Doch ist die Charakteristik dieser Abtheilungen
nicht in einer Weise gegeben, daß man sagen könnte, er habe die auch

autem et marina magna mamillas habent sicut balaena secundum genus
suum et delphinus et id quod vocatur chochi
(oder koki, wie es in einem Ve-
netianer Druck von 1495 heißt). Dieses Thier nun nennt er (p. 655b, koki): vi-
tulus marinus, de hoc jam superius diximus, quod vocatur latine helcus.

Das Wort helcus fehlt im Ducange. "Kuki" kommt im Damiri und Kazwini vor
und ist nach Freytag's Lexikon: nomen piscis unicornis et validi. Um die frag-
liche Stelle mit andern in Uebereinstimmung zu bringen, wäre wohl das nächstlie-
gende statt phoke zu lesen phokaina an welches Wort sich vielleiht die Abschreiber
wegen der zweimal hintereinander vorkommenden Endung --aina gestoßen haben.
V. Carus, Gesch. d. Zool. 6

3. Verſuche zur Syſtematik.
zweihufige oder geſpaltene Füße, haben Zähne u. ſ. f. Es läßt ſich aber
nicht nachweiſen, daß Ariſtoteles auf eines dieſer Merkmale eine wei-
tere Eintheilung begründet hätte, trotzdem er mehrere kleine Gruppen,
aber keine von der Bedeutung jetziger Ordnungen oder Unterordnun-
gen annahm. Es mögen ihm wohl einzelne ſolcher größerer Abtheilun-
gen vorgeſchwebt haben; doch waren ſie namenlos (Hist. anim. I,
6, 35
), d. h. der populäre Sprachgebrauch, dem er ſelbſt zu folgen
räth, bot ihm keine Bezeichnung dar. Nur für Pferd, Eſel, Hemionus
u. ſ. w. gibt es einen Namen, Lophuren oder Schweifſchwänze; er
konnte ſie deshalb nicht Einhufer nennen, weil er ja ſelbſt einhufige
Schweine anführt, welche nicht hierhergehören.

b) Die Vögel, mit Einſchluß des Straußen. Sie ſind Flug-
thiere, befiedert, zweifüßig und eierlegend. Von den Ordnungen unter-
ſchied Ariſtoteles nur drei ſicher: die Raubvögel, die er Gampſonycha,
die Schwimmvögel, die er Steganopoda, und die Stelzvögel, die er
Makroſkelen nennt. Er charakteriſirt ſie ſo, daß ſie gut umgrenzt ſind.
Neben ihnen erwähnt er noch mehrere kleinere Gruppen, ohne aber für
mehrere derſelben gemeinſame größere „Gattungen“ (Ordnungen) auf-zuſtellen. Auch bildet der Strauß eine Gruppe für ſich.

c) Die eierlegenden Vierfüßer, die Reptilien und Am-
phibien, mit Einſchluß der Schlangen und des Krokodils. Sie heißen
auch Pholidota, ſind ausnahmsweiſe fußlos, auch lebendiggebärend,
athmen aber durch Lungen. Ariſtoteles kannte und unterſchied auch als
ſelbſtändige Gruppen: das Krokodil, die Schildkröten, die Sauren,
Schlangen und Fröſche. Doch iſt die Charakteriſtik dieſer Abtheilungen
nicht in einer Weiſe gegeben, daß man ſagen könnte, er habe die auch

autem et marina magna mamillas habent sicut balaena secundum genus
suum et delphinus et id quod vocatur chochi
(oder koki, wie es in einem Ve-
netianer Druck von 1495 heißt). Dieſes Thier nun nennt er (p. 655b, koki): vi-
tulus marinus, de hoc jam superius diximus, quod vocatur latine helcus.

Das Wort helcus fehlt im Ducange. „Kuki“ kommt im Damiri und Kazwini vor
und iſt nach Freytag's Lexikon: nomen piscis unicornis et validi. Um die frag-
liche Stelle mit andern in Uebereinſtimmung zu bringen, wäre wohl das nächſtlie-
gende ſtatt φώκη zu leſen φώκαινα an welches Wort ſich vielleiht die Abſchreiber
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V. Carus, Geſch. d. Zool. 6
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[81/0092] 3. Verſuche zur Syſtematik. zweihufige oder geſpaltene Füße, haben Zähne u. ſ. f. Es läßt ſich aber nicht nachweiſen, daß Ariſtoteles auf eines dieſer Merkmale eine wei- tere Eintheilung begründet hätte, trotzdem er mehrere kleine Gruppen, aber keine von der Bedeutung jetziger Ordnungen oder Unterordnun- gen annahm. Es mögen ihm wohl einzelne ſolcher größerer Abtheilun- gen vorgeſchwebt haben; doch waren ſie namenlos (Hist. anim. I, 6, 35), d. h. der populäre Sprachgebrauch, dem er ſelbſt zu folgen räth, bot ihm keine Bezeichnung dar. Nur für Pferd, Eſel, Hemionus u. ſ. w. gibt es einen Namen, Lophuren oder Schweifſchwänze; er konnte ſie deshalb nicht Einhufer nennen, weil er ja ſelbſt einhufige Schweine anführt, welche nicht hierhergehören. b) Die Vögel, mit Einſchluß des Straußen. Sie ſind Flug- thiere, befiedert, zweifüßig und eierlegend. Von den Ordnungen unter- ſchied Ariſtoteles nur drei ſicher: die Raubvögel, die er Gampſonycha, die Schwimmvögel, die er Steganopoda, und die Stelzvögel, die er Makroſkelen nennt. Er charakteriſirt ſie ſo, daß ſie gut umgrenzt ſind. Neben ihnen erwähnt er noch mehrere kleinere Gruppen, ohne aber für mehrere derſelben gemeinſame größere „Gattungen“ (Ordnungen) auf-zuſtellen. Auch bildet der Strauß eine Gruppe für ſich. c) Die eierlegenden Vierfüßer, die Reptilien und Am- phibien, mit Einſchluß der Schlangen und des Krokodils. Sie heißen auch Pholidota, ſind ausnahmsweiſe fußlos, auch lebendiggebärend, athmen aber durch Lungen. Ariſtoteles kannte und unterſchied auch als ſelbſtändige Gruppen: das Krokodil, die Schildkröten, die Sauren, Schlangen und Fröſche. Doch iſt die Charakteriſtik dieſer Abtheilungen nicht in einer Weiſe gegeben, daß man ſagen könnte, er habe die auch 97) 97) autem et marina magna mamillas habent sicut balaena secundum genus suum et delphinus et id quod vocatur chochi(oder koki, wie es in einem Ve- netianer Druck von 1495 heißt). Dieſes Thier nun nennt er (p. 655b, koki): vi- tulus marinus, de hoc jam superius diximus, quod vocatur latine helcus. Das Wort helcus fehlt im Ducange. „Kuki“ kommt im Damiri und Kazwini vor und iſt nach Freytag's Lexikon: nomen piscis unicornis et validi. Um die frag- liche Stelle mit andern in Uebereinſtimmung zu bringen, wäre wohl das nächſtlie- gende ſtatt φώκη zu leſen φώκαινα an welches Wort ſich vielleiht die Abſchreiber wegen der zweimal hintereinander vorkommenden Endung —αινα geſtoßen haben. V. Carus, Geſch. d. Zool. 6

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Zitationshilfe: Carus, Julius Victor: Geschichte der Zoologie bis auf Johannes Müller und Charles Darwin. München, 1872, S. 81. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/carus_zoologie_1872/92>, abgerufen am 27.11.2024.