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Carus, Julius Victor: Geschichte der Zoologie bis auf Johannes Müller und Charles Darwin. München, 1872.

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Zoologische Kenntnisse des Alterthums.

Man spricht nun zwar von einer Schule der Erasistratäer, ohne
daß es jedoch möglich wäre, andere als ärztliche Leistungen derselben
anzuführen. Es war vielmehr der Einfluß der Alexandriner im Gan-
zen, welcher sowohl nach Athen zurückwirkte als auch Wissenschaftlich-
keit und Studieneifer nach einigen kleinasiatischen Staaten hinüber-
führte, unter denen Bithynien und besonders Pergamum, in Folge des
Ehrgeizes seiner Könige, mit Alexandria wetteifern zu wollen, hervor-
ragen. Ein Pergamener war auch Claudius Galenus (131-201
n. Chr.), der größte aber letzte Anatom des Alterthums. Schon
machte sich aber die praktische Richtung der Zeit geltend, insofern als
Galen zwar Zergliederungen empfiehlt und, da das Zergliedern mensch-
licher Leichen noch nicht gestattet war, Thiere als Gegenstand der Un-
tersuchung theils selbst anwendet, theils anräth, indeß ohne die Aus-
beute der Thieranatomie anders zu verwerthen, als für ärztliche Zwecke.
Galen's Verdienste um die menschliche Anatomie (vielleicht richtiger all-
gemein gesprochen: Säugethieranatomie) sind groß genug, daß ohne
seinem Namen zu nahe zu treten, hier, wo es sich um zootomische Lei-
stungen handelt, versichert werden kann, daß für die Entwickelung der
vergleichenden Anatomie er nur in untergeordneter Weise in Betracht
kommt. Speciellere Angaben, zuweilen den Aristoteles bestätigend,
über Verdauungswerkzeuge, das Herz und die Respirationsorgane an-
derer Säugethiere als des vorzugsweise benutzten Affen finden sich im
sechsten bis achten Buche seiner "Anatomischen
Anleitungen".

Bis hierher waren Griechen die Träger der Wissenschaft. Aus
der ganzen römischen Geschichte ist kein Name anzuführen, welcher sich
mit Rücksicht auf ein selbständiges Weiterführen der Zootomie (wie
schon früher der beschreibenden Zoologie) auch nur entfernt den genann-
ten griechischen Philosophen an die Seite stellen ließe. Nur unter den
Encyklopädisten der Kaiserzeit tritt ein Mann hervor, welcher mit
völliger Beherrschung des vor ihm Geleisteten eigne Untersuchungen im
Interesse der Sache selbst vorgenommen zu haben scheint, L. Appu-
lejus
von Madaura. Es enthält wenigstens seine zur Vertheidigung
gegen die Anklage der Magie verfaßte Apologie mehrere Angaben, welche
auf eine eingehende Beschäftigung nicht bloß mit den Thieren im All-

Zoologiſche Kenntniſſe des Alterthums.

Man ſpricht nun zwar von einer Schule der Eraſiſtratäer, ohne
daß es jedoch möglich wäre, andere als ärztliche Leiſtungen derſelben
anzuführen. Es war vielmehr der Einfluß der Alexandriner im Gan-
zen, welcher ſowohl nach Athen zurückwirkte als auch Wiſſenſchaftlich-
keit und Studieneifer nach einigen kleinaſiatiſchen Staaten hinüber-
führte, unter denen Bithynien und beſonders Pergamum, in Folge des
Ehrgeizes ſeiner Könige, mit Alexandria wetteifern zu wollen, hervor-
ragen. Ein Pergamener war auch Claudius Galenus (131-201
n. Chr.), der größte aber letzte Anatom des Alterthums. Schon
machte ſich aber die praktiſche Richtung der Zeit geltend, inſofern als
Galen zwar Zergliederungen empfiehlt und, da das Zergliedern menſch-
licher Leichen noch nicht geſtattet war, Thiere als Gegenſtand der Un-
terſuchung theils ſelbſt anwendet, theils anräth, indeß ohne die Aus-
beute der Thieranatomie anders zu verwerthen, als für ärztliche Zwecke.
Galen's Verdienſte um die menſchliche Anatomie (vielleicht richtiger all-
gemein geſprochen: Säugethieranatomie) ſind groß genug, daß ohne
ſeinem Namen zu nahe zu treten, hier, wo es ſich um zootomiſche Lei-
ſtungen handelt, verſichert werden kann, daß für die Entwickelung der
vergleichenden Anatomie er nur in untergeordneter Weiſe in Betracht
kommt. Speciellere Angaben, zuweilen den Ariſtoteles beſtätigend,
über Verdauungswerkzeuge, das Herz und die Reſpirationsorgane an-
derer Säugethiere als des vorzugsweiſe benutzten Affen finden ſich im
ſechſten bis achten Buche ſeiner „Anatomiſchen
Anleitungen“.

Bis hierher waren Griechen die Träger der Wiſſenſchaft. Aus
der ganzen römiſchen Geſchichte iſt kein Name anzuführen, welcher ſich
mit Rückſicht auf ein ſelbſtändiges Weiterführen der Zootomie (wie
ſchon früher der beſchreibenden Zoologie) auch nur entfernt den genann-
ten griechiſchen Philoſophen an die Seite ſtellen ließe. Nur unter den
Encyklopädiſten der Kaiſerzeit tritt ein Mann hervor, welcher mit
völliger Beherrſchung des vor ihm Geleiſteten eigne Unterſuchungen im
Intereſſe der Sache ſelbſt vorgenommen zu haben ſcheint, L. Appu-
lejus
von Madaura. Es enthält wenigſtens ſeine zur Vertheidigung
gegen die Anklage der Magie verfaßte Apologie mehrere Angaben, welche
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[74/0085] Zoologiſche Kenntniſſe des Alterthums. Man ſpricht nun zwar von einer Schule der Eraſiſtratäer, ohne daß es jedoch möglich wäre, andere als ärztliche Leiſtungen derſelben anzuführen. Es war vielmehr der Einfluß der Alexandriner im Gan- zen, welcher ſowohl nach Athen zurückwirkte als auch Wiſſenſchaftlich- keit und Studieneifer nach einigen kleinaſiatiſchen Staaten hinüber- führte, unter denen Bithynien und beſonders Pergamum, in Folge des Ehrgeizes ſeiner Könige, mit Alexandria wetteifern zu wollen, hervor- ragen. Ein Pergamener war auch Claudius Galenus (131-201 n. Chr.), der größte aber letzte Anatom des Alterthums. Schon machte ſich aber die praktiſche Richtung der Zeit geltend, inſofern als Galen zwar Zergliederungen empfiehlt und, da das Zergliedern menſch- licher Leichen noch nicht geſtattet war, Thiere als Gegenſtand der Un- terſuchung theils ſelbſt anwendet, theils anräth, indeß ohne die Aus- beute der Thieranatomie anders zu verwerthen, als für ärztliche Zwecke. Galen's Verdienſte um die menſchliche Anatomie (vielleicht richtiger all- gemein geſprochen: Säugethieranatomie) ſind groß genug, daß ohne ſeinem Namen zu nahe zu treten, hier, wo es ſich um zootomiſche Lei- ſtungen handelt, verſichert werden kann, daß für die Entwickelung der vergleichenden Anatomie er nur in untergeordneter Weiſe in Betracht kommt. Speciellere Angaben, zuweilen den Ariſtoteles beſtätigend, über Verdauungswerkzeuge, das Herz und die Reſpirationsorgane an- derer Säugethiere als des vorzugsweiſe benutzten Affen finden ſich im ſechſten bis achten Buche ſeiner „Anatomiſchen Anleitungen“. Bis hierher waren Griechen die Träger der Wiſſenſchaft. Aus der ganzen römiſchen Geſchichte iſt kein Name anzuführen, welcher ſich mit Rückſicht auf ein ſelbſtändiges Weiterführen der Zootomie (wie ſchon früher der beſchreibenden Zoologie) auch nur entfernt den genann- ten griechiſchen Philoſophen an die Seite ſtellen ließe. Nur unter den Encyklopädiſten der Kaiſerzeit tritt ein Mann hervor, welcher mit völliger Beherrſchung des vor ihm Geleiſteten eigne Unterſuchungen im Intereſſe der Sache ſelbſt vorgenommen zu haben ſcheint, L. Appu- lejus von Madaura. Es enthält wenigſtens ſeine zur Vertheidigung gegen die Anklage der Magie verfaßte Apologie mehrere Angaben, welche auf eine eingehende Beſchäftigung nicht bloß mit den Thieren im All-

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Zitationshilfe: Carus, Julius Victor: Geschichte der Zoologie bis auf Johannes Müller und Charles Darwin. München, 1872, S. 74. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/carus_zoologie_1872/85>, abgerufen am 24.11.2024.