Carus, Julius Victor: Geschichte der Zoologie bis auf Johannes Müller und Charles Darwin. München, 1872.2. Kenntniß des thierischen Baues. langsamen Aufkeimen der christlichen Saat hereinbrechenden äußerenund inneren Kämpfen. Doch ist die Reihe nicht bloß vielfach unterbro- chen, sie schließt überhaupt bald ganz und gar ab. Wenn auch das Exil, in welches sich die Wissenschaften nach den Umwälzungen auf dem alten europäischen und vorderasiatischen Culturheerd zurückzogen, Alexandria, nicht unfruchtbar für das Fortbestehen und die weitere Verbreitung griechischen Wissens war91), so war das eigentliche Fort- leben desselben nur ein dürftiges. Doch ist hervorzuheben, daß gerade für Anatomie die alexandrinische Schule ein Lichtpunkt wurde. Der besonders unter Ptolemaeus Philadelphus gepflegte Sinn für natur- historische Studien, welcher freilich auch der an und für sich schon regen Sucht nach Wunderbarem neue Nahrung gab, rief auch die Leistungen der bedeutendsten aller vorchristlichen Anatomen des Alterthums her- vor, des Herophilus und Erasistratus (letzterer ein Schüler und nach Angaben Früherer sogar Enkel des Aristoteles). Der Nach- weis des Ursprungs der Nerven als empfindender Theile vom Gehirn, die Erkennung der Muskeln als der eigentlichen activ bewegenden Theile, das Auffinden von Milchgefäßen außer den bisher gekannten Röhren, den mit Pneuma erfüllten Arterien und den blutführenden Venen (natürlich ohne Ahnung ihres Zusammenhangs) waren That- sachen, welche dem ganzen anatomischen Lehrgebäude neue sicherere Grundlagen gaben. Für vergleichende Anatomie war der Gewinn freilich gering. Es soll zwar Erasistratus vergleichende Untersuchungen über den Hirnbau angestellt haben, wobei er die Entdeckungen des Herophi- lus benutzen konnte. Doch sind die etwaigen Niederschriften hierüber ebenso wie die aus denselben vielleicht abzuleitenden Anregungen schon früh verloren gegangen. 91) Bernhardy sagt (Grundriß der griech. Litter. 4. Bearbeit. 1. Thl.
S. 363): "Wenig von griechischer Litteratur wäre nach Byzanz gelangt und die mo- derne Bildung bodenlos geworden, wenn nicht eine dichte Kette von Gelehrten recht emsige Studien der in Alexandria gehäuften Bücherschätze unter den Ptolemäern und noch lange nach ihrem Aussterben betrieb". Ist auch das letztere in Bezug auf die historische Gründung der modernen Cultur richtig, so scheint doch der Weg über Byzanz, wenigstens für die Naturwissenschaften, nicht bewiesen werden zu können. 2. Kenntniß des thieriſchen Baues. langſamen Aufkeimen der chriſtlichen Saat hereinbrechenden äußerenund inneren Kämpfen. Doch iſt die Reihe nicht bloß vielfach unterbro- chen, ſie ſchließt überhaupt bald ganz und gar ab. Wenn auch das Exil, in welches ſich die Wiſſenſchaften nach den Umwälzungen auf dem alten europäiſchen und vorderaſiatiſchen Culturheerd zurückzogen, Alexandria, nicht unfruchtbar für das Fortbeſtehen und die weitere Verbreitung griechiſchen Wiſſens war91), ſo war das eigentliche Fort- leben deſſelben nur ein dürftiges. Doch iſt hervorzuheben, daß gerade für Anatomie die alexandriniſche Schule ein Lichtpunkt wurde. Der beſonders unter Ptolemaeus Philadelphus gepflegte Sinn für natur- hiſtoriſche Studien, welcher freilich auch der an und für ſich ſchon regen Sucht nach Wunderbarem neue Nahrung gab, rief auch die Leiſtungen der bedeutendſten aller vorchriſtlichen Anatomen des Alterthums her- vor, des Herophilus und Eraſiſtratus (letzterer ein Schüler und nach Angaben Früherer ſogar Enkel des Ariſtoteles). Der Nach- weis des Urſprungs der Nerven als empfindender Theile vom Gehirn, die Erkennung der Muskeln als der eigentlichen activ bewegenden Theile, das Auffinden von Milchgefäßen außer den bisher gekannten Röhren, den mit Pneuma erfüllten Arterien und den blutführenden Venen (natürlich ohne Ahnung ihres Zuſammenhangs) waren That- ſachen, welche dem ganzen anatomiſchen Lehrgebäude neue ſicherere Grundlagen gaben. Für vergleichende Anatomie war der Gewinn freilich gering. Es ſoll zwar Eraſiſtratus vergleichende Unterſuchungen über den Hirnbau angeſtellt haben, wobei er die Entdeckungen des Herophi- lus benutzen konnte. Doch ſind die etwaigen Niederſchriften hierüber ebenſo wie die aus denſelben vielleicht abzuleitenden Anregungen ſchon früh verloren gegangen. 91) Bernhardy ſagt (Grundriß der griech. Litter. 4. Bearbeit. 1. Thl.
S. 363): „Wenig von griechiſcher Litteratur wäre nach Byzanz gelangt und die mo- derne Bildung bodenlos geworden, wenn nicht eine dichte Kette von Gelehrten recht emſige Studien der in Alexandria gehäuften Bücherſchätze unter den Ptolemäern und noch lange nach ihrem Ausſterben betrieb“. Iſt auch das letztere in Bezug auf die hiſtoriſche Gründung der modernen Cultur richtig, ſo ſcheint doch der Weg über Byzanz, wenigſtens für die Naturwiſſenſchaften, nicht bewieſen werden zu können. <TEI> <text> <body> <div n="1"> <div n="2"> <div n="3"> <p><pb facs="#f0084" n="73"/><fw place="top" type="header">2. Kenntniß des thieriſchen Baues.</fw><lb/> langſamen Aufkeimen der chriſtlichen Saat hereinbrechenden äußeren<lb/> und inneren Kämpfen. Doch iſt die Reihe nicht bloß vielfach unterbro-<lb/> chen, ſie ſchließt überhaupt bald ganz und gar ab. Wenn auch das<lb/> Exil, in welches ſich die Wiſſenſchaften nach den Umwälzungen auf<lb/> dem alten europäiſchen und vorderaſiatiſchen Culturheerd zurückzogen,<lb/> Alexandria, nicht unfruchtbar für das Fortbeſtehen und die weitere<lb/> Verbreitung griechiſchen Wiſſens war<note place="foot" n="91)"><hi rendition="#g"><persName ref="http://d-nb.info/gnd/116146516">Bernhardy</persName></hi> ſagt (Grundriß der griech. Litter. 4. Bearbeit. 1. Thl.<lb/> S. 363): „Wenig von griechiſcher Litteratur wäre nach Byzanz gelangt und die mo-<lb/> derne Bildung bodenlos geworden, wenn nicht eine dichte Kette von Gelehrten recht<lb/> emſige Studien der in Alexandria gehäuften Bücherſchätze unter den Ptolemäern<lb/> und noch lange nach ihrem Ausſterben betrieb“. Iſt auch das letztere in Bezug auf<lb/> die hiſtoriſche Gründung der modernen Cultur richtig, ſo ſcheint doch der Weg über<lb/> Byzanz, wenigſtens für die Naturwiſſenſchaften, nicht bewieſen werden zu können.</note>, ſo war das eigentliche Fort-<lb/> leben deſſelben nur ein dürftiges. Doch iſt hervorzuheben, daß gerade<lb/> für Anatomie die alexandriniſche Schule ein Lichtpunkt wurde. Der<lb/> beſonders unter <persName ref="nognd">Ptolemaeus Philadelphus</persName> gepflegte Sinn für natur-<lb/> hiſtoriſche Studien, welcher freilich auch der an und für ſich ſchon regen<lb/> Sucht nach Wunderbarem neue Nahrung gab, rief auch die Leiſtungen<lb/> der bedeutendſten aller vorchriſtlichen Anatomen des Alterthums her-<lb/> vor, des <hi rendition="#g"><persName ref="http://d-nb.info/gnd/118983229">Herophilus</persName></hi> und <hi rendition="#g"><persName ref="http://d-nb.info/gnd/102392293">Eraſiſtratus</persName></hi> (letzterer ein Schüler<lb/> und nach Angaben Früherer ſogar Enkel des <persName ref="http://d-nb.info/gnd/118650130">Ariſtoteles</persName>). Der Nach-<lb/> weis des Urſprungs der Nerven als empfindender Theile vom Gehirn,<lb/> die Erkennung der Muskeln als der eigentlichen activ bewegenden<lb/> Theile, das Auffinden von Milchgefäßen außer den bisher gekannten<lb/> Röhren, den mit Pneuma erfüllten Arterien und den blutführenden<lb/> Venen (natürlich ohne Ahnung ihres Zuſammenhangs) waren That-<lb/> ſachen, welche dem ganzen anatomiſchen Lehrgebäude neue ſicherere<lb/> Grundlagen gaben. Für vergleichende Anatomie war der Gewinn freilich<lb/> gering. Es ſoll zwar <persName ref="http://d-nb.info/gnd/102392293">Eraſiſtratus</persName> vergleichende Unterſuchungen über<lb/> den Hirnbau angeſtellt haben, wobei er die Entdeckungen des Herophi-<lb/> lus benutzen konnte. Doch ſind die etwaigen Niederſchriften hierüber<lb/> ebenſo wie die aus denſelben vielleicht abzuleitenden Anregungen ſchon<lb/> früh verloren gegangen.</p><lb/> </div> </div> </div> </body> </text> </TEI> [73/0084]
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Exil, in welches ſich die Wiſſenſchaften nach den Umwälzungen auf
dem alten europäiſchen und vorderaſiatiſchen Culturheerd zurückzogen,
Alexandria, nicht unfruchtbar für das Fortbeſtehen und die weitere
Verbreitung griechiſchen Wiſſens war 91), ſo war das eigentliche Fort-
leben deſſelben nur ein dürftiges. Doch iſt hervorzuheben, daß gerade
für Anatomie die alexandriniſche Schule ein Lichtpunkt wurde. Der
beſonders unter Ptolemaeus Philadelphus gepflegte Sinn für natur-
hiſtoriſche Studien, welcher freilich auch der an und für ſich ſchon regen
Sucht nach Wunderbarem neue Nahrung gab, rief auch die Leiſtungen
der bedeutendſten aller vorchriſtlichen Anatomen des Alterthums her-
vor, des Herophilus und Eraſiſtratus (letzterer ein Schüler
und nach Angaben Früherer ſogar Enkel des Ariſtoteles). Der Nach-
weis des Urſprungs der Nerven als empfindender Theile vom Gehirn,
die Erkennung der Muskeln als der eigentlichen activ bewegenden
Theile, das Auffinden von Milchgefäßen außer den bisher gekannten
Röhren, den mit Pneuma erfüllten Arterien und den blutführenden
Venen (natürlich ohne Ahnung ihres Zuſammenhangs) waren That-
ſachen, welche dem ganzen anatomiſchen Lehrgebäude neue ſicherere
Grundlagen gaben. Für vergleichende Anatomie war der Gewinn freilich
gering. Es ſoll zwar Eraſiſtratus vergleichende Unterſuchungen über
den Hirnbau angeſtellt haben, wobei er die Entdeckungen des Herophi-
lus benutzen konnte. Doch ſind die etwaigen Niederſchriften hierüber
ebenſo wie die aus denſelben vielleicht abzuleitenden Anregungen ſchon
früh verloren gegangen.
91) Bernhardy ſagt (Grundriß der griech. Litter. 4. Bearbeit. 1. Thl.
S. 363): „Wenig von griechiſcher Litteratur wäre nach Byzanz gelangt und die mo-
derne Bildung bodenlos geworden, wenn nicht eine dichte Kette von Gelehrten recht
emſige Studien der in Alexandria gehäuften Bücherſchätze unter den Ptolemäern
und noch lange nach ihrem Ausſterben betrieb“. Iſt auch das letztere in Bezug auf
die hiſtoriſche Gründung der modernen Cultur richtig, ſo ſcheint doch der Weg über
Byzanz, wenigſtens für die Naturwiſſenſchaften, nicht bewieſen werden zu können.
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