Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Carus, Julius Victor: Geschichte der Zoologie bis auf Johannes Müller und Charles Darwin. München, 1872.

Bild:
<< vorherige Seite

Zoologische Kenntnisse des Alterthums.
Entwickelung). Unklar oder falsch sind andere Angaben; so soll der Un-
terschied der Geschlechter sich danach richten, bei welchem der beiden
Erzeuger der von den unterscheidenden Geschlechtstheilen herkommende
Same überwiege. Die Nabelstranggefäße gehen an die Gebärmutter-
wand, damit die Theile des Jungen nach den Theilen der Mutter ge-
formt werden (hier erklärt Aristoteles richtig, daß sie der Ernährung
wegen dahin gehen). Die Zähne endlich sollen deswegen ausfallen,
weil sie in Folge des Säugens vorzeitig entstehen; naturgemäß wäre
es, wenn sie erst dann wüchsen, wenn das Thier fast in der Blüthe sei-
nes Lebens stände79).

Der Hippokratiker hier zu gedenken, könnte natürlich scheinen, da
ja die menschliche Anatomie ihnen besonders nahe lag. Der ganze Ge-
winn, welchen Zootomie und vergleichende Anatomie dieser Schule ver-
dankt, ist aber keineswegs nennenswerth. Es läßt sich auch bei den
Späteren kaum ein Einfluß eines solchen nachweisen. Polybus (un-
gefähr 380 v. Chr.) soll freilich auch die Entwickelung des Hühnchens
untersucht haben. Die über ihn und die Resultate seiner Untersuchungen
auf die Nachwelt gekommenen Angaben sind aber nicht bedeutend ge-
nug, um hier mehr zu thun, als an ihn zu erinnern.

Die Akademiker waren eigentlicher Naturforschung vollständig
fremd. Der teleologische Idealismus Plato's, welcher eine Einsicht in
den Causalzusammenhang der Erscheinungen beim Fehlen des Causali-
tätsbegriffs nicht aufkommen ließ, konnte keine Erklärung, auch keinen
Versuch einer solchen vornehmen. Wo das Bedürfniß einer Verstän-
digung nahe trat, wie im Timaeos, spielen Anklänge an pythagoräische
Zahlen, an das ewige Fließen der Erscheinungen im Sinne Heraklit's,
ja selbst das absolute Sein der Eleaten in die Erörterung hinein. Für
die Auffassung des thierischen Lebens war Plato's Ansicht, daß alle
Theile des Leibes von dem, aus Elementardreiecken bestehenden Marke
ihren Ursprung nehmen, völlig unfruchtbar.


79) Die Stellen finden sich bei Aristoteles, Hist. anim. IX, 39, 162; de
partibus, III, 4, 665a; de gener. anim. II, 4, 64; II, 4, 67; II, 6, 86; II,
8, 126; IV, 1, 4; V, 8, 95; V, 8, 101.

Zoologiſche Kenntniſſe des Alterthums.
Entwickelung). Unklar oder falſch ſind andere Angaben; ſo ſoll der Un-
terſchied der Geſchlechter ſich danach richten, bei welchem der beiden
Erzeuger der von den unterſcheidenden Geſchlechtstheilen herkommende
Same überwiege. Die Nabelſtranggefäße gehen an die Gebärmutter-
wand, damit die Theile des Jungen nach den Theilen der Mutter ge-
formt werden (hier erklärt Ariſtoteles richtig, daß ſie der Ernährung
wegen dahin gehen). Die Zähne endlich ſollen deswegen ausfallen,
weil ſie in Folge des Säugens vorzeitig entſtehen; naturgemäß wäre
es, wenn ſie erſt dann wüchſen, wenn das Thier faſt in der Blüthe ſei-
nes Lebens ſtände79).

Der Hippokratiker hier zu gedenken, könnte natürlich ſcheinen, da
ja die menſchliche Anatomie ihnen beſonders nahe lag. Der ganze Ge-
winn, welchen Zootomie und vergleichende Anatomie dieſer Schule ver-
dankt, iſt aber keineswegs nennenswerth. Es läßt ſich auch bei den
Späteren kaum ein Einfluß eines ſolchen nachweiſen. Polybus (un-
gefähr 380 v. Chr.) ſoll freilich auch die Entwickelung des Hühnchens
unterſucht haben. Die über ihn und die Reſultate ſeiner Unterſuchungen
auf die Nachwelt gekommenen Angaben ſind aber nicht bedeutend ge-
nug, um hier mehr zu thun, als an ihn zu erinnern.

Die Akademiker waren eigentlicher Naturforſchung vollſtändig
fremd. Der teleologiſche Idealismus Plato's, welcher eine Einſicht in
den Cauſalzuſammenhang der Erſcheinungen beim Fehlen des Cauſali-
tätsbegriffs nicht aufkommen ließ, konnte keine Erklärung, auch keinen
Verſuch einer ſolchen vornehmen. Wo das Bedürfniß einer Verſtän-
digung nahe trat, wie im Timaeos, ſpielen Anklänge an pythagoräiſche
Zahlen, an das ewige Fließen der Erſcheinungen im Sinne Heraklit's,
ja ſelbſt das abſolute Sein der Eleaten in die Erörterung hinein. Für
die Auffaſſung des thieriſchen Lebens war Plato's Anſicht, daß alle
Theile des Leibes von dem, aus Elementardreiecken beſtehenden Marke
ihren Urſprung nehmen, völlig unfruchtbar.


79) Die Stellen finden ſich bei Ariſtoteles, Hist. anim. IX, 39, 162; de
partibus, III, 4, 665a; de gener. anim. II, 4, 64; II, 4, 67; II, 6, 86; II,
8, 126; IV, 1, 4; V, 8, 95; V, 8, 101.
<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <div n="2">
          <div n="3">
            <p><pb facs="#f0073" n="62"/><fw place="top" type="header">Zoologi&#x017F;che Kenntni&#x017F;&#x017F;e des Alterthums.</fw><lb/>
Entwickelung). Unklar oder fal&#x017F;ch &#x017F;ind andere Angaben; &#x017F;o &#x017F;oll der Un-<lb/>
ter&#x017F;chied der Ge&#x017F;chlechter &#x017F;ich danach richten, bei welchem der beiden<lb/>
Erzeuger der von den unter&#x017F;cheidenden Ge&#x017F;chlechtstheilen herkommende<lb/>
Same überwiege. Die Nabel&#x017F;tranggefäße gehen an die Gebärmutter-<lb/>
wand, damit die Theile des Jungen nach den Theilen der Mutter ge-<lb/>
formt werden (hier erklärt <persName ref="http://d-nb.info/gnd/118650130">Ari&#x017F;toteles</persName> richtig, daß &#x017F;ie der Ernährung<lb/>
wegen dahin gehen). Die Zähne endlich &#x017F;ollen deswegen ausfallen,<lb/>
weil &#x017F;ie in Folge des Säugens vorzeitig ent&#x017F;tehen; naturgemäß wäre<lb/>
es, wenn &#x017F;ie er&#x017F;t dann wüch&#x017F;en, wenn das Thier fa&#x017F;t in der Blüthe &#x017F;ei-<lb/>
nes Lebens &#x017F;tände<note place="foot" n="79)">Die Stellen finden &#x017F;ich bei <persName ref="http://d-nb.info/gnd/118650130">Ari&#x017F;toteles</persName>, <hi rendition="#aq">Hist. anim. IX, 39, 162; de<lb/>
partibus, III, 4, 665a; de gener. anim. II, 4, 64; II, 4, 67; II, 6, 86; II,<lb/>
8, 126; IV, 1, 4; V, 8, 95; V, 8, 101.</hi></note>.</p><lb/>
            <p>Der Hippokratiker hier zu gedenken, könnte natürlich &#x017F;cheinen, da<lb/>
ja die men&#x017F;chliche Anatomie ihnen be&#x017F;onders nahe lag. Der ganze Ge-<lb/>
winn, welchen Zootomie und vergleichende Anatomie die&#x017F;er Schule ver-<lb/>
dankt, i&#x017F;t aber keineswegs nennenswerth. Es läßt &#x017F;ich auch bei den<lb/>
Späteren kaum ein Einfluß eines &#x017F;olchen nachwei&#x017F;en. <hi rendition="#g"><persName ref="http://d-nb.info/gnd/11874142X">Polybus</persName></hi> (un-<lb/>
gefähr 380 v. Chr.) &#x017F;oll freilich auch die Entwickelung des Hühnchens<lb/>
unter&#x017F;ucht haben. Die über ihn und die Re&#x017F;ultate &#x017F;einer Unter&#x017F;uchungen<lb/>
auf die Nachwelt gekommenen Angaben &#x017F;ind aber nicht bedeutend ge-<lb/>
nug, um hier mehr zu thun, als an ihn zu erinnern.</p><lb/>
            <p>Die Akademiker waren eigentlicher Naturfor&#x017F;chung voll&#x017F;tändig<lb/>
fremd. Der teleologi&#x017F;che Idealismus <persName ref="http://d-nb.info/gnd/118594893">Plato</persName>'s, welcher eine Ein&#x017F;icht in<lb/>
den Cau&#x017F;alzu&#x017F;ammenhang der Er&#x017F;cheinungen beim Fehlen des Cau&#x017F;ali-<lb/>
tätsbegriffs nicht aufkommen ließ, konnte keine Erklärung, auch keinen<lb/>
Ver&#x017F;uch einer &#x017F;olchen vornehmen. Wo das Bedürfniß einer Ver&#x017F;tän-<lb/>
digung nahe trat, wie im Timaeos, &#x017F;pielen Anklänge an pythagoräi&#x017F;che<lb/>
Zahlen, an das ewige Fließen der Er&#x017F;cheinungen im Sinne Heraklit's,<lb/>
ja &#x017F;elb&#x017F;t das ab&#x017F;olute Sein der Eleaten in die Erörterung hinein. Für<lb/>
die Auffa&#x017F;&#x017F;ung des thieri&#x017F;chen Lebens war <persName ref="http://d-nb.info/gnd/118594893">Plato</persName>'s An&#x017F;icht, daß alle<lb/>
Theile des Leibes von dem, aus Elementardreiecken be&#x017F;tehenden Marke<lb/>
ihren Ur&#x017F;prung nehmen, völlig unfruchtbar.</p><lb/>
          </div>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[62/0073] Zoologiſche Kenntniſſe des Alterthums. Entwickelung). Unklar oder falſch ſind andere Angaben; ſo ſoll der Un- terſchied der Geſchlechter ſich danach richten, bei welchem der beiden Erzeuger der von den unterſcheidenden Geſchlechtstheilen herkommende Same überwiege. Die Nabelſtranggefäße gehen an die Gebärmutter- wand, damit die Theile des Jungen nach den Theilen der Mutter ge- formt werden (hier erklärt Ariſtoteles richtig, daß ſie der Ernährung wegen dahin gehen). Die Zähne endlich ſollen deswegen ausfallen, weil ſie in Folge des Säugens vorzeitig entſtehen; naturgemäß wäre es, wenn ſie erſt dann wüchſen, wenn das Thier faſt in der Blüthe ſei- nes Lebens ſtände 79). Der Hippokratiker hier zu gedenken, könnte natürlich ſcheinen, da ja die menſchliche Anatomie ihnen beſonders nahe lag. Der ganze Ge- winn, welchen Zootomie und vergleichende Anatomie dieſer Schule ver- dankt, iſt aber keineswegs nennenswerth. Es läßt ſich auch bei den Späteren kaum ein Einfluß eines ſolchen nachweiſen. Polybus (un- gefähr 380 v. Chr.) ſoll freilich auch die Entwickelung des Hühnchens unterſucht haben. Die über ihn und die Reſultate ſeiner Unterſuchungen auf die Nachwelt gekommenen Angaben ſind aber nicht bedeutend ge- nug, um hier mehr zu thun, als an ihn zu erinnern. Die Akademiker waren eigentlicher Naturforſchung vollſtändig fremd. Der teleologiſche Idealismus Plato's, welcher eine Einſicht in den Cauſalzuſammenhang der Erſcheinungen beim Fehlen des Cauſali- tätsbegriffs nicht aufkommen ließ, konnte keine Erklärung, auch keinen Verſuch einer ſolchen vornehmen. Wo das Bedürfniß einer Verſtän- digung nahe trat, wie im Timaeos, ſpielen Anklänge an pythagoräiſche Zahlen, an das ewige Fließen der Erſcheinungen im Sinne Heraklit's, ja ſelbſt das abſolute Sein der Eleaten in die Erörterung hinein. Für die Auffaſſung des thieriſchen Lebens war Plato's Anſicht, daß alle Theile des Leibes von dem, aus Elementardreiecken beſtehenden Marke ihren Urſprung nehmen, völlig unfruchtbar. 79) Die Stellen finden ſich bei Ariſtoteles, Hist. anim. IX, 39, 162; de partibus, III, 4, 665a; de gener. anim. II, 4, 64; II, 4, 67; II, 6, 86; II, 8, 126; IV, 1, 4; V, 8, 95; V, 8, 101.

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien im Double-Keying-Verfahren von Muttersprachlern erfasst und in XML/TEI P5 nach DTA-Basisformat kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/carus_zoologie_1872
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/carus_zoologie_1872/73
Zitationshilfe: Carus, Julius Victor: Geschichte der Zoologie bis auf Johannes Müller und Charles Darwin. München, 1872, S. 62. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/carus_zoologie_1872/73>, abgerufen am 27.11.2024.