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Carus, Julius Victor: Geschichte der Zoologie bis auf Johannes Müller und Charles Darwin. München, 1872.

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Periode der Morphologie.
neuerdings Agassiz in ihnen nur Entwickelungsformen höherer Thiere
erblickt, in deren betreffende Classe er sie trotz der Vereinfachung ihres
Baues einordnet.

Coelenteraten. Von Baer bemerkte mit Recht, daß Cuvier
deshalb alle niedrig organisirten Thiere zur strahligen Form gebracht
habe, weil er mit dem Begriffe des Typus die Idee einer bestimmten
Ausbildungsstufe der Organisation verbunden habe. Der Typus der
Zoophyten bedurfte daher einer strengen Durchsicht. Nach Entfernung
der Protozoen in dem erwähnten engen Sinne blieben noch Strahlthiere
und Eingeweidewürmer hier vereinigt. Von den hier zunächst zu be-
handelnden Thieren mit strahligem Körperbau wurde anfänglich beson-
ders diese charakteristische Gestalt in den Vordergrund gestellt. So
vereinigte Lamarck die Echinodermen mit den Medusen unter der
näheren Bezeichnung der Radiaires und nannte die letzteren R. molasses,
eine Anordnung, welcher noch Burmeister (1837) folgte. Die Polypen
wurden dann den beiden genannten Gruppen als durch den Besitz eines
Tentakelkranzes charakterisirt gegenübergestellt. Unter den Polypen unter-
schieden zuerst Audouin und Milne Edwards 1828 zwei Formen,
von denen die eine mit Darm, Mund und After versehen war und für
den Tunicaten (Ascidien) verwandt erklärt wurde. Dieselbe Ansicht
sprach 1829 Wilh. Rapp (1794-1865) aus. Für diese Gruppe
stellte John Vaughan Thompson 1830 den Namen Polyzoae,
Ehrenberg den der Bryozoen auf, wogegen die übrigen Polypen von
letzterem als Anthozoen bezeichnet wurden. Aber schon Audouin und
Milne Edwards hatten (1828) innerhalb dieser Polypen zwei durch
ihre Organisation von einander verschiedene Formen erkannt, deren
eine nur eine in ihr Körperparenchym eingesenkte verdauende Höhle
ohne selbständige Wandungen und ohne Gefäße und Respirationsorgane,
die andere einen sich in die Leibeshöhle öffnenden Magenschlauch besitzt.
Die ersteren wurden schon von Ehrenberg Dimorphaea genannt und
von Steenstrup nach den entwickelungsgeschichtlichen Beobachtungen
von von Siebold und Sars als genetisch in nahem Zusammenhange
mit den Medusen stehend nachgewiesen. Es sind dies die Hydroiden;
die übrigen sind die echten Polypen, für welche der Ehrenberg'sche Name

Periode der Morphologie.
neuerdings Agaſſiz in ihnen nur Entwickelungsformen höherer Thiere
erblickt, in deren betreffende Claſſe er ſie trotz der Vereinfachung ihres
Baues einordnet.

Coelenteraten. Von Baer bemerkte mit Recht, daß Cuvier
deshalb alle niedrig organiſirten Thiere zur ſtrahligen Form gebracht
habe, weil er mit dem Begriffe des Typus die Idee einer beſtimmten
Ausbildungsſtufe der Organiſation verbunden habe. Der Typus der
Zoophyten bedurfte daher einer ſtrengen Durchſicht. Nach Entfernung
der Protozoen in dem erwähnten engen Sinne blieben noch Strahlthiere
und Eingeweidewürmer hier vereinigt. Von den hier zunächſt zu be-
handelnden Thieren mit ſtrahligem Körperbau wurde anfänglich beſon-
ders dieſe charakteriſtiſche Geſtalt in den Vordergrund geſtellt. So
vereinigte Lamarck die Echinodermen mit den Meduſen unter der
näheren Bezeichnung der Radiaires und nannte die letzteren R. molasses,
eine Anordnung, welcher noch Burmeiſter (1837) folgte. Die Polypen
wurden dann den beiden genannten Gruppen als durch den Beſitz eines
Tentakelkranzes charakteriſirt gegenübergeſtellt. Unter den Polypen unter-
ſchieden zuerſt Audouin und Milne Edwards 1828 zwei Formen,
von denen die eine mit Darm, Mund und After verſehen war und für
den Tunicaten (Ascidien) verwandt erklärt wurde. Dieſelbe Anſicht
ſprach 1829 Wilh. Rapp (1794-1865) aus. Für dieſe Gruppe
ſtellte John Vaughan Thompſon 1830 den Namen Polyzoae,
Ehrenberg den der Bryozoen auf, wogegen die übrigen Polypen von
letzterem als Anthozoen bezeichnet wurden. Aber ſchon Audouin und
Milne Edwards hatten (1828) innerhalb dieſer Polypen zwei durch
ihre Organiſation von einander verſchiedene Formen erkannt, deren
eine nur eine in ihr Körperparenchym eingeſenkte verdauende Höhle
ohne ſelbſtändige Wandungen und ohne Gefäße und Reſpirationsorgane,
die andere einen ſich in die Leibeshöhle öffnenden Magenſchlauch beſitzt.
Die erſteren wurden ſchon von Ehrenberg Dimorphaea genannt und
von Steenſtrup nach den entwickelungsgeſchichtlichen Beobachtungen
von von Siebold und Sars als genetiſch in nahem Zuſammenhange
mit den Meduſen ſtehend nachgewieſen. Es ſind dies die Hydroiden;
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[684/0695] Periode der Morphologie. neuerdings Agaſſiz in ihnen nur Entwickelungsformen höherer Thiere erblickt, in deren betreffende Claſſe er ſie trotz der Vereinfachung ihres Baues einordnet. Coelenteraten. Von Baer bemerkte mit Recht, daß Cuvier deshalb alle niedrig organiſirten Thiere zur ſtrahligen Form gebracht habe, weil er mit dem Begriffe des Typus die Idee einer beſtimmten Ausbildungsſtufe der Organiſation verbunden habe. Der Typus der Zoophyten bedurfte daher einer ſtrengen Durchſicht. Nach Entfernung der Protozoen in dem erwähnten engen Sinne blieben noch Strahlthiere und Eingeweidewürmer hier vereinigt. Von den hier zunächſt zu be- handelnden Thieren mit ſtrahligem Körperbau wurde anfänglich beſon- ders dieſe charakteriſtiſche Geſtalt in den Vordergrund geſtellt. So vereinigte Lamarck die Echinodermen mit den Meduſen unter der näheren Bezeichnung der Radiaires und nannte die letzteren R. molasses, eine Anordnung, welcher noch Burmeiſter (1837) folgte. Die Polypen wurden dann den beiden genannten Gruppen als durch den Beſitz eines Tentakelkranzes charakteriſirt gegenübergeſtellt. Unter den Polypen unter- ſchieden zuerſt Audouin und Milne Edwards 1828 zwei Formen, von denen die eine mit Darm, Mund und After verſehen war und für den Tunicaten (Ascidien) verwandt erklärt wurde. Dieſelbe Anſicht ſprach 1829 Wilh. Rapp (1794-1865) aus. Für dieſe Gruppe ſtellte John Vaughan Thompſon 1830 den Namen Polyzoae, Ehrenberg den der Bryozoen auf, wogegen die übrigen Polypen von letzterem als Anthozoen bezeichnet wurden. Aber ſchon Audouin und Milne Edwards hatten (1828) innerhalb dieſer Polypen zwei durch ihre Organiſation von einander verſchiedene Formen erkannt, deren eine nur eine in ihr Körperparenchym eingeſenkte verdauende Höhle ohne ſelbſtändige Wandungen und ohne Gefäße und Reſpirationsorgane, die andere einen ſich in die Leibeshöhle öffnenden Magenſchlauch beſitzt. Die erſteren wurden ſchon von Ehrenberg Dimorphaea genannt und von Steenſtrup nach den entwickelungsgeſchichtlichen Beobachtungen von von Siebold und Sars als genetiſch in nahem Zuſammenhange mit den Meduſen ſtehend nachgewieſen. Es ſind dies die Hydroiden; die übrigen ſind die echten Polypen, für welche der Ehrenberg'ſche Name

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Zitationshilfe: Carus, Julius Victor: Geschichte der Zoologie bis auf Johannes Müller und Charles Darwin. München, 1872, S. 684. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/carus_zoologie_1872/695>, abgerufen am 22.07.2024.