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Carus, Julius Victor: Geschichte der Zoologie bis auf Johannes Müller und Charles Darwin. München, 1872.

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Periode der Morphologie.
dienste beschränken sich aber nicht bloß auf diesen Nachweis. Nachdem
Werner die verschiedenen über einander liegenden Gebirgsarten als Ur-
gebirge, Uebergangs- und Flötzgebirge bezeichnet und mineralogisch
charakterisirt, damit auch eine zeitliche Aufeinanderfolge ihrer Bildung
ausgesprochen hatte, versuchte zuerst William Smith (1769-1839,
der "Vater der englischen Geognosie") die verschiedenen Formationen
durch die eingeschlossenen Reste zu bestimmen. Hier trat also das geo-
logische Interesse in den Vordergrund, wie denn auch seitdem die Ver-
steinerungskunde als Theil der Geologie betrachtet wurde. Cuvier lenkte
durch Aufstellung der Theorie mehrfacher Erdumwälzungen, in denen
das thierische Leben zeitweise untergieng, um später in neuen Formen
wieder geschaffen zu werden, die Aufmerksamkeit auf die Form und den
Bau der untergegangenen Thiere, welche er auch mit richtiger Einsicht
dem zoologischen System einfügte, ohne demselben freilich die eine der-
artige Einfügung erklärende oder gestattende Form zu geben. Auf den
Fortgang der zoologischen Erkenntniß hatte nun die Paläontologie hier-
nach einen doppelten Einfluß: einmal erweiterte sie die Kenntniß ein-
zelner Formen, von welchen viele sogar den bislang aufgestellten syste-
matischen Gruppen nicht ohne gewissen Zwang eingeordnet werden
konnten, welche also die systematischen Anschauungen umzugestalten
begannen. Auf der andern Seite riefen besonders die Wirbelthierreste
die eingehndsten vergleichenden Untersuchungen hervor, ließen auch
häufig auf entwickelungsgeschichtliche Betrachtungen zurückkommen,
stellten daher die Beziehungen der gegenseitigen Verwandtschaft in ein
neues Licht. Da man durch Vergleichung der ältesten Formen mit
neueren und den jetzt lebenden kennen gelernt hatte, daß die jetzt im Thier-
reiche bestehenden anatomischen Pläne auch beim ersten Auftreten thieri-
schen Lebens auf der Erde die Form der Thiere bestimmt hatten, so
glaubte man in diesem Umstande einen Beleg für die Harmonie der
Schöpfung finden zu müssen, welche trotz der mehrfach sich einander
folgenden Neuschöpfungen der Thierwelt die Vereinigung sämmtlicher
fossiler wie lebender Formen in ein großes System gestattete. Es er-
hielten von diesem Gesichtspunkte aus die vergleichend - anatomischen
Thatsachen ein neues Interesse, da man sich je länger desto weniger der

Periode der Morphologie.
dienſte beſchränken ſich aber nicht bloß auf dieſen Nachweis. Nachdem
Werner die verſchiedenen über einander liegenden Gebirgsarten als Ur-
gebirge, Uebergangs- und Flötzgebirge bezeichnet und mineralogiſch
charakteriſirt, damit auch eine zeitliche Aufeinanderfolge ihrer Bildung
ausgeſprochen hatte, verſuchte zuerſt William Smith (1769-1839,
der „Vater der engliſchen Geognoſie“) die verſchiedenen Formationen
durch die eingeſchloſſenen Reſte zu beſtimmen. Hier trat alſo das geo-
logiſche Intereſſe in den Vordergrund, wie denn auch ſeitdem die Ver-
ſteinerungskunde als Theil der Geologie betrachtet wurde. Cuvier lenkte
durch Aufſtellung der Theorie mehrfacher Erdumwälzungen, in denen
das thieriſche Leben zeitweiſe untergieng, um ſpäter in neuen Formen
wieder geſchaffen zu werden, die Aufmerkſamkeit auf die Form und den
Bau der untergegangenen Thiere, welche er auch mit richtiger Einſicht
dem zoologiſchen Syſtem einfügte, ohne demſelben freilich die eine der-
artige Einfügung erklärende oder geſtattende Form zu geben. Auf den
Fortgang der zoologiſchen Erkenntniß hatte nun die Paläontologie hier-
nach einen doppelten Einfluß: einmal erweiterte ſie die Kenntniß ein-
zelner Formen, von welchen viele ſogar den bislang aufgeſtellten ſyſte-
matiſchen Gruppen nicht ohne gewiſſen Zwang eingeordnet werden
konnten, welche alſo die ſyſtematiſchen Anſchauungen umzugeſtalten
begannen. Auf der andern Seite riefen beſonders die Wirbelthierreſte
die eingehndſten vergleichenden Unterſuchungen hervor, ließen auch
häufig auf entwickelungsgeſchichtliche Betrachtungen zurückkommen,
ſtellten daher die Beziehungen der gegenſeitigen Verwandtſchaft in ein
neues Licht. Da man durch Vergleichung der älteſten Formen mit
neueren und den jetzt lebenden kennen gelernt hatte, daß die jetzt im Thier-
reiche beſtehenden anatomiſchen Pläne auch beim erſten Auftreten thieri-
ſchen Lebens auf der Erde die Form der Thiere beſtimmt hatten, ſo
glaubte man in dieſem Umſtande einen Beleg für die Harmonie der
Schöpfung finden zu müſſen, welche trotz der mehrfach ſich einander
folgenden Neuſchöpfungen der Thierwelt die Vereinigung ſämmtlicher
foſſiler wie lebender Formen in ein großes Syſtem geſtattete. Es er-
hielten von dieſem Geſichtspunkte aus die vergleichend - anatomiſchen
Thatſachen ein neues Intereſſe, da man ſich je länger deſto weniger der

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[648/0659] Periode der Morphologie. dienſte beſchränken ſich aber nicht bloß auf dieſen Nachweis. Nachdem Werner die verſchiedenen über einander liegenden Gebirgsarten als Ur- gebirge, Uebergangs- und Flötzgebirge bezeichnet und mineralogiſch charakteriſirt, damit auch eine zeitliche Aufeinanderfolge ihrer Bildung ausgeſprochen hatte, verſuchte zuerſt William Smith (1769-1839, der „Vater der engliſchen Geognoſie“) die verſchiedenen Formationen durch die eingeſchloſſenen Reſte zu beſtimmen. Hier trat alſo das geo- logiſche Intereſſe in den Vordergrund, wie denn auch ſeitdem die Ver- ſteinerungskunde als Theil der Geologie betrachtet wurde. Cuvier lenkte durch Aufſtellung der Theorie mehrfacher Erdumwälzungen, in denen das thieriſche Leben zeitweiſe untergieng, um ſpäter in neuen Formen wieder geſchaffen zu werden, die Aufmerkſamkeit auf die Form und den Bau der untergegangenen Thiere, welche er auch mit richtiger Einſicht dem zoologiſchen Syſtem einfügte, ohne demſelben freilich die eine der- artige Einfügung erklärende oder geſtattende Form zu geben. Auf den Fortgang der zoologiſchen Erkenntniß hatte nun die Paläontologie hier- nach einen doppelten Einfluß: einmal erweiterte ſie die Kenntniß ein- zelner Formen, von welchen viele ſogar den bislang aufgeſtellten ſyſte- matiſchen Gruppen nicht ohne gewiſſen Zwang eingeordnet werden konnten, welche alſo die ſyſtematiſchen Anſchauungen umzugeſtalten begannen. Auf der andern Seite riefen beſonders die Wirbelthierreſte die eingehndſten vergleichenden Unterſuchungen hervor, ließen auch häufig auf entwickelungsgeſchichtliche Betrachtungen zurückkommen, ſtellten daher die Beziehungen der gegenſeitigen Verwandtſchaft in ein neues Licht. Da man durch Vergleichung der älteſten Formen mit neueren und den jetzt lebenden kennen gelernt hatte, daß die jetzt im Thier- reiche beſtehenden anatomiſchen Pläne auch beim erſten Auftreten thieri- ſchen Lebens auf der Erde die Form der Thiere beſtimmt hatten, ſo glaubte man in dieſem Umſtande einen Beleg für die Harmonie der Schöpfung finden zu müſſen, welche trotz der mehrfach ſich einander folgenden Neuſchöpfungen der Thierwelt die Vereinigung ſämmtlicher foſſiler wie lebender Formen in ein großes Syſtem geſtattete. Es er- hielten von dieſem Geſichtspunkte aus die vergleichend - anatomiſchen Thatſachen ein neues Intereſſe, da man ſich je länger deſto weniger der

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Zitationshilfe: Carus, Julius Victor: Geschichte der Zoologie bis auf Johannes Müller und Charles Darwin. München, 1872, S. 648. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/carus_zoologie_1872/659>, abgerufen am 22.11.2024.