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Carus, Julius Victor: Geschichte der Zoologie bis auf Johannes Müller und Charles Darwin. München, 1872.

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Periode der Morphologie.
lich war ja bereits seit Bonnet's Untersuchungen, welche 1815 noch von
Joh. Friedr. Kyber ausführlich bestätigt worden waren, die unge-
schlechtliche Fortpflanzungsweise der Blattläuse bekannt. Im Jahre
1842 veröffentlichte nun Joh. Iapetus Smith Steenstrup (geb.
1813) in Kopenhagen eine Schrift, in welcher er die genannten Fälle
dieser Entwickelungsweise mit der von ihm aufgefundenen ähnlichen
Entwickelungsweise der trematoden Eingeweidewürmer unter dem Na-
men des Generationswechsels36) vereinigte und damit die Thatsachen
zuerst in die einer weitern Behandlung zugängliche Form brachte. Die
merkwürdige Erscheinung daß in mehreren Fällen des Generations-
wechsels eine Vermehrung der Individuenzahl während der Entwickelung
eines einzelnen Eies stattfindet, eine Erscheinung, welche indirect auch
Steenstrup zur Auffassung des Generationswechsels als einer Form
von Brutpflege geführt hat, veranlaßte natürlich zunächst Untersuchun-
gen über die nähere Bestimmung dessen, was man als Individuum
anzusehen habe. Nun hatte bereits 1827 Henri Milne Edwards37)
das sehr fruchtbare Princip der Arbeitstheilung in das Gebiet der
Physiologie eingeführt. Im Anschluß an diesen Gedanken faßte 1851
R. Leuckart die sich in Folge einer solchen Vertheilung der Functionen
auf die einzelnen Individuen einer Art ergebenden Verschiedenheiten,
wie sie in mannichfacher Weise bei colonienweise lebenden Thieren wie
bei Thierstöcken sich finden, unter dem Ausdrucke des Polymorphismus
der Individuen zusammen. Es wurde hierdurch die Deutung mancher
eigenthümlichen Formen (z. B. der Röhrenquallen, deren naturgemäße
Auffassung viel Schwierigkeit gemacht hatte) wesentlich gefördert. Das
bei dieser Betrachtung der Individualität in den Vordergrund tretende
biologische Moment ließ auch Leuckart in dem Generationswechsel nur
einen durch Arbeitstheilung auf dem Gebiete der Entwickelungsgeschichte

36) In einer 1849 erschienenen Schrift nannte R. Owen den Generationswechsel
Metagenesis, ein seitdem ziemlich verbreiteter Ausdruck.
37) Dictionn. class. d'hist. nat. Artikel: Organisation des Animaux. --
Henri Milne Edwards ist 1800 in Bruges geboren, jüngerer Bruder des 1776
in Jamaika gebornen Physiologen Will. Frederic Edwards; er wurde 1838 Sup-
pleant, 1844 Nachfolger Et. Geoffroy St. Hilaire's am Pflanzengarten.

Periode der Morphologie.
lich war ja bereits ſeit Bonnet's Unterſuchungen, welche 1815 noch von
Joh. Friedr. Kyber ausführlich beſtätigt worden waren, die unge-
ſchlechtliche Fortpflanzungsweiſe der Blattläuſe bekannt. Im Jahre
1842 veröffentlichte nun Joh. Iapetus Smith Steenſtrup (geb.
1813) in Kopenhagen eine Schrift, in welcher er die genannten Fälle
dieſer Entwickelungsweiſe mit der von ihm aufgefundenen ähnlichen
Entwickelungsweiſe der trematoden Eingeweidewürmer unter dem Na-
men des Generationswechſels36) vereinigte und damit die Thatſachen
zuerſt in die einer weitern Behandlung zugängliche Form brachte. Die
merkwürdige Erſcheinung daß in mehreren Fällen des Generations-
wechſels eine Vermehrung der Individuenzahl während der Entwickelung
eines einzelnen Eies ſtattfindet, eine Erſcheinung, welche indirect auch
Steenſtrup zur Auffaſſung des Generationswechſels als einer Form
von Brutpflege geführt hat, veranlaßte natürlich zunächſt Unterſuchun-
gen über die nähere Beſtimmung deſſen, was man als Individuum
anzuſehen habe. Nun hatte bereits 1827 Henri Milne Edwards37)
das ſehr fruchtbare Princip der Arbeitstheilung in das Gebiet der
Phyſiologie eingeführt. Im Anſchluß an dieſen Gedanken faßte 1851
R. Leuckart die ſich in Folge einer ſolchen Vertheilung der Functionen
auf die einzelnen Individuen einer Art ergebenden Verſchiedenheiten,
wie ſie in mannichfacher Weiſe bei colonienweiſe lebenden Thieren wie
bei Thierſtöcken ſich finden, unter dem Ausdrucke des Polymorphismus
der Individuen zuſammen. Es wurde hierdurch die Deutung mancher
eigenthümlichen Formen (z. B. der Röhrenquallen, deren naturgemäße
Auffaſſung viel Schwierigkeit gemacht hatte) weſentlich gefördert. Das
bei dieſer Betrachtung der Individualität in den Vordergrund tretende
biologiſche Moment ließ auch Leuckart in dem Generationswechſel nur
einen durch Arbeitstheilung auf dem Gebiete der Entwickelungsgeſchichte

36) In einer 1849 erſchienenen Schrift nannte R. Owen den Generationswechſel
Metageneſis, ein ſeitdem ziemlich verbreiteter Ausdruck.
37) Dictionn. class. d'hist. nat. Artikel: Organisation des Animaux.
Henri Milne Edwards iſt 1800 in Bruges geboren, jüngerer Bruder des 1776
in Jamaika gebornen Phyſiologen Will. Frederic Edwards; er wurde 1838 Sup-
pleant, 1844 Nachfolger Et. Geoffroy St. Hilaire's am Pflanzengarten.
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[644/0655] Periode der Morphologie. lich war ja bereits ſeit Bonnet's Unterſuchungen, welche 1815 noch von Joh. Friedr. Kyber ausführlich beſtätigt worden waren, die unge- ſchlechtliche Fortpflanzungsweiſe der Blattläuſe bekannt. Im Jahre 1842 veröffentlichte nun Joh. Iapetus Smith Steenſtrup (geb. 1813) in Kopenhagen eine Schrift, in welcher er die genannten Fälle dieſer Entwickelungsweiſe mit der von ihm aufgefundenen ähnlichen Entwickelungsweiſe der trematoden Eingeweidewürmer unter dem Na- men des Generationswechſels 36) vereinigte und damit die Thatſachen zuerſt in die einer weitern Behandlung zugängliche Form brachte. Die merkwürdige Erſcheinung daß in mehreren Fällen des Generations- wechſels eine Vermehrung der Individuenzahl während der Entwickelung eines einzelnen Eies ſtattfindet, eine Erſcheinung, welche indirect auch Steenſtrup zur Auffaſſung des Generationswechſels als einer Form von Brutpflege geführt hat, veranlaßte natürlich zunächſt Unterſuchun- gen über die nähere Beſtimmung deſſen, was man als Individuum anzuſehen habe. Nun hatte bereits 1827 Henri Milne Edwards 37) das ſehr fruchtbare Princip der Arbeitstheilung in das Gebiet der Phyſiologie eingeführt. Im Anſchluß an dieſen Gedanken faßte 1851 R. Leuckart die ſich in Folge einer ſolchen Vertheilung der Functionen auf die einzelnen Individuen einer Art ergebenden Verſchiedenheiten, wie ſie in mannichfacher Weiſe bei colonienweiſe lebenden Thieren wie bei Thierſtöcken ſich finden, unter dem Ausdrucke des Polymorphismus der Individuen zuſammen. Es wurde hierdurch die Deutung mancher eigenthümlichen Formen (z. B. der Röhrenquallen, deren naturgemäße Auffaſſung viel Schwierigkeit gemacht hatte) weſentlich gefördert. Das bei dieſer Betrachtung der Individualität in den Vordergrund tretende biologiſche Moment ließ auch Leuckart in dem Generationswechſel nur einen durch Arbeitstheilung auf dem Gebiete der Entwickelungsgeſchichte 36) In einer 1849 erſchienenen Schrift nannte R. Owen den Generationswechſel Metageneſis, ein ſeitdem ziemlich verbreiteter Ausdruck. 37) Dictionn. class. d'hist. nat. Artikel: Organisation des Animaux. — Henri Milne Edwards iſt 1800 in Bruges geboren, jüngerer Bruder des 1776 in Jamaika gebornen Phyſiologen Will. Frederic Edwards; er wurde 1838 Sup- pleant, 1844 Nachfolger Et. Geoffroy St. Hilaire's am Pflanzengarten.

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Zitationshilfe: Carus, Julius Victor: Geschichte der Zoologie bis auf Johannes Müller und Charles Darwin. München, 1872, S. 644. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/carus_zoologie_1872/655>, abgerufen am 22.11.2024.