Carus, Julius Victor: Geschichte der Zoologie bis auf Johannes Müller und Charles Darwin. München, 1872.Periode der Morphologie. Anatomie und wurde 1826 zum außerordentlichen, 1830 zum ordent-lichen Professor daselbst ernannt. Nach Rudolph's Tode kam er 1833 als Professor der Anatomie und Physiologie nach Berlin, wurde 1834 Mitglied der Preußischen Akademie der Wissenschaften und starb dort plötzlich am 28. April 1858. Wie Du Bois-Reymond mit Recht her- vorhebt32) vereinigten sich mehrere Umstände, Müller's Stellung zur Zeit seiner Berufung nach Berlin dort zu einer sehr günstigen zu machen. Cuvier war 1832 gestorben, J. Fr. Meckel ihm 1833 gefolgt, noch ehe Müller nach Berlin gegangen war. Mit des letztern Tode gieng auch dessen Archiv ein, kurze Zeit nachher auch die Zeitschrift von Tie- demann und den beiden Treviranus. Das nun von Müller über- nommene Archiv, welches mehrere Jahre die einzige Zeitschrift für die in ihm vertretenen Fächer blieb, wurde daher in seinen Händen ein mächtiges Mittel zur Förderung des von ihm neu geweckten wissen- schaftlichen Geistes, besonders durch die anfangs von ihm gefertigten Jahresberichte. Daneben erhielt er die Schätze des von Rudolph ge- pflegten anatomischen Museums zu freier Benutzung. Nur einzelne wenige Männer aber haben die ihnen gebotenen Umstände so zum Besten der Wissenschaft zu verwerthen gewußt, wie Müller mit seiner ungeheuren Arbeitskraft, seinem staunenerregenden Fleiße und seinem durchdringenden Verstande. Anfangs noch von den verlockenden Stim- men der Naturphilosophie bestrickt (wofür seine Abhandlung über die Bewegungserscheinungen der Thiere Belege gibt) befreite er sich doch bald von dieser falschen Geistesrichtung. Schon 1824 warnt er vor der falschen Naturphilosophie in der bereits erwähnten Schrift über die Entwickelung der Genitalorgane. Damit verwarf er aber durchaus nicht die geistige Zusammenfassung der Thatsachen. Hier ist es bezeich- nend für Müller's wissenschaftlichen Standpunkt, wenn er sagt, daß nicht die bloße Aufstellung einer Theorie, sondern die Entscheidung über ihre Richtigkeit das Gebiet des empirischen Naturforschers sei. Dem- gemäß nimmt er in Bezug auf den bekannten Streit zwischen Cuvier und Geoffroy eine vermittelnde Stellung ein, indem er zwar keinen 32) Gedächtnißrede auf Johannes Müller. 1860. S. 67.
Periode der Morphologie. Anatomie und wurde 1826 zum außerordentlichen, 1830 zum ordent-lichen Profeſſor daſelbſt ernannt. Nach Rudolph's Tode kam er 1833 als Profeſſor der Anatomie und Phyſiologie nach Berlin, wurde 1834 Mitglied der Preußiſchen Akademie der Wiſſenſchaften und ſtarb dort plötzlich am 28. April 1858. Wie Du Bois-Reymond mit Recht her- vorhebt32) vereinigten ſich mehrere Umſtände, Müller's Stellung zur Zeit ſeiner Berufung nach Berlin dort zu einer ſehr günſtigen zu machen. Cuvier war 1832 geſtorben, J. Fr. Meckel ihm 1833 gefolgt, noch ehe Müller nach Berlin gegangen war. Mit des letztern Tode gieng auch deſſen Archiv ein, kurze Zeit nachher auch die Zeitſchrift von Tie- demann und den beiden Treviranus. Das nun von Müller über- nommene Archiv, welches mehrere Jahre die einzige Zeitſchrift für die in ihm vertretenen Fächer blieb, wurde daher in ſeinen Händen ein mächtiges Mittel zur Förderung des von ihm neu geweckten wiſſen- ſchaftlichen Geiſtes, beſonders durch die anfangs von ihm gefertigten Jahresberichte. Daneben erhielt er die Schätze des von Rudolph ge- pflegten anatomiſchen Muſeums zu freier Benutzung. Nur einzelne wenige Männer aber haben die ihnen gebotenen Umſtände ſo zum Beſten der Wiſſenſchaft zu verwerthen gewußt, wie Müller mit ſeiner ungeheuren Arbeitskraft, ſeinem ſtaunenerregenden Fleiße und ſeinem durchdringenden Verſtande. Anfangs noch von den verlockenden Stim- men der Naturphiloſophie beſtrickt (wofür ſeine Abhandlung über die Bewegungserſcheinungen der Thiere Belege gibt) befreite er ſich doch bald von dieſer falſchen Geiſtesrichtung. Schon 1824 warnt er vor der falſchen Naturphiloſophie in der bereits erwähnten Schrift über die Entwickelung der Genitalorgane. Damit verwarf er aber durchaus nicht die geiſtige Zuſammenfaſſung der Thatſachen. Hier iſt es bezeich- nend für Müller's wiſſenſchaftlichen Standpunkt, wenn er ſagt, daß nicht die bloße Aufſtellung einer Theorie, ſondern die Entſcheidung über ihre Richtigkeit das Gebiet des empiriſchen Naturforſchers ſei. Dem- gemäß nimmt er in Bezug auf den bekannten Streit zwiſchen Cuvier und Geoffroy eine vermittelnde Stellung ein, indem er zwar keinen 32) Gedächtnißrede auf Johannes Müller. 1860. S. 67.
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Periode der Morphologie.
Anatomie und wurde 1826 zum außerordentlichen, 1830 zum ordent-
lichen Profeſſor daſelbſt ernannt. Nach Rudolph's Tode kam er 1833
als Profeſſor der Anatomie und Phyſiologie nach Berlin, wurde 1834
Mitglied der Preußiſchen Akademie der Wiſſenſchaften und ſtarb dort
plötzlich am 28. April 1858. Wie Du Bois-Reymond mit Recht her-
vorhebt 32) vereinigten ſich mehrere Umſtände, Müller's Stellung zur
Zeit ſeiner Berufung nach Berlin dort zu einer ſehr günſtigen zu machen.
Cuvier war 1832 geſtorben, J. Fr. Meckel ihm 1833 gefolgt, noch
ehe Müller nach Berlin gegangen war. Mit des letztern Tode gieng
auch deſſen Archiv ein, kurze Zeit nachher auch die Zeitſchrift von Tie-
demann und den beiden Treviranus. Das nun von Müller über-
nommene Archiv, welches mehrere Jahre die einzige Zeitſchrift für die
in ihm vertretenen Fächer blieb, wurde daher in ſeinen Händen ein
mächtiges Mittel zur Förderung des von ihm neu geweckten wiſſen-
ſchaftlichen Geiſtes, beſonders durch die anfangs von ihm gefertigten
Jahresberichte. Daneben erhielt er die Schätze des von Rudolph ge-
pflegten anatomiſchen Muſeums zu freier Benutzung. Nur einzelne
wenige Männer aber haben die ihnen gebotenen Umſtände ſo zum
Beſten der Wiſſenſchaft zu verwerthen gewußt, wie Müller mit ſeiner
ungeheuren Arbeitskraft, ſeinem ſtaunenerregenden Fleiße und ſeinem
durchdringenden Verſtande. Anfangs noch von den verlockenden Stim-
men der Naturphiloſophie beſtrickt (wofür ſeine Abhandlung über die
Bewegungserſcheinungen der Thiere Belege gibt) befreite er ſich doch
bald von dieſer falſchen Geiſtesrichtung. Schon 1824 warnt er vor
der falſchen Naturphiloſophie in der bereits erwähnten Schrift über die
Entwickelung der Genitalorgane. Damit verwarf er aber durchaus
nicht die geiſtige Zuſammenfaſſung der Thatſachen. Hier iſt es bezeich-
nend für Müller's wiſſenſchaftlichen Standpunkt, wenn er ſagt, daß
nicht die bloße Aufſtellung einer Theorie, ſondern die Entſcheidung über
ihre Richtigkeit das Gebiet des empiriſchen Naturforſchers ſei. Dem-
gemäß nimmt er in Bezug auf den bekannten Streit zwiſchen Cuvier
und Geoffroy eine vermittelnde Stellung ein, indem er zwar keinen
32) Gedächtnißrede auf Johannes Müller. 1860. S. 67.
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