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Carus, Julius Victor: Geschichte der Zoologie bis auf Johannes Müller und Charles Darwin. München, 1872.

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Periode der Morphologie.
dürftige schärfer erkennen lassen und damit einer weitern Auffassung
dessen vorgearbeitet, was man unter thierischer Form zu verstehen habe.
Je mehr sich aber unter Einwirkung der im Vorstehenden geschilderten
Momente die Thatsachen vervielfältigten, desto natürlicher war es, daß
diese Häufung des Materials den Fortschritt im Allgemeinen etwas
verlangsamte. Die gleichzeitig in weitem Umfange eingeführten neuen
Untersuchungsweisen hatten eine solche Fülle bisher unbekannter Ver-
hältnisse zu Tage gefördert, daß sich das Interesse an dem Thierleben
mit der Kenntnißnahme und naturhistorischen Sammlung und Ordnung
jener befriedigte. Wie in der Entwickelungsgeschichte der Wissenschaft
im Ganzen folgte daher auch beim Anbrechen dieser neueren Zeit dem
Aufleben, oder eigentlich der Neugründung der Zoologie eine Periode
der encyclopädischen Darstellungen, welche unter Benutzung der über-
kommenen Lehrweisen eine systematische Form annahmen. Neben ihnen
traten aber Leistungen auf, welche als sicherer Erwerb der Erkenntniß
und als wirkliche Fortschritte der Wissenschaft den Gang bezeichnen,
welchen der ruhige Fluß der Wissenschaft unbeirrt um die höher gehen-
den Wogen an ihrer Oberfläche einzuschlagen hatte und auch einge-
schlagen hat. Die Bedeutung dieser Arbeiten liegt also in dem Zusam-
menfalle ihres Ziels mit dem der Wissenschaft selbst; sie sprechen für
sich selbst; aber auch jene umfassenderen Sammelwerke haben meist
einen nicht zu unterschätzenden Werth. Denn wenn sie auch aus gleich
zu erwähnenden Gründen weitaus mehr zootomisches Material mit-
theilen als wirklich vergleichende Anatomie, so trugen sie doch wesentlich
dazu bei, die Anerkennung der Lehre von der thierischen Form als selb-
ständige, von der Physiologie durch ihr Ziel und ihre Methode ver-
schiedene, unabhängige und ihr, in ihrer neuern Richtung besonders,
nur coordinirte Wissenschaft zu fördern und die wissenschaftliche Auf-
fassung der thierischen Form allgemeiner zu verbreiten.

Von den thierischen Typen war der der Wirbelthiere nicht bloß der
am frühesten erkannte und am besten bekannte, sondern auch der, welcher
wegen der verhältnißmäßig engen und leichter zu übersehenden Form-
grenzen am ersten zu einer allseitig wissenschaftlichen Durcharbeitung
aufforderte. Beziehungen zu andern Typen lagen anfangs gar nicht

Periode der Morphologie.
dürftige ſchärfer erkennen laſſen und damit einer weitern Auffaſſung
deſſen vorgearbeitet, was man unter thieriſcher Form zu verſtehen habe.
Je mehr ſich aber unter Einwirkung der im Vorſtehenden geſchilderten
Momente die Thatſachen vervielfältigten, deſto natürlicher war es, daß
dieſe Häufung des Materials den Fortſchritt im Allgemeinen etwas
verlangſamte. Die gleichzeitig in weitem Umfange eingeführten neuen
Unterſuchungsweiſen hatten eine ſolche Fülle bisher unbekannter Ver-
hältniſſe zu Tage gefördert, daß ſich das Intereſſe an dem Thierleben
mit der Kenntnißnahme und naturhiſtoriſchen Sammlung und Ordnung
jener befriedigte. Wie in der Entwickelungsgeſchichte der Wiſſenſchaft
im Ganzen folgte daher auch beim Anbrechen dieſer neueren Zeit dem
Aufleben, oder eigentlich der Neugründung der Zoologie eine Periode
der encyclopädiſchen Darſtellungen, welche unter Benutzung der über-
kommenen Lehrweiſen eine ſyſtematiſche Form annahmen. Neben ihnen
traten aber Leiſtungen auf, welche als ſicherer Erwerb der Erkenntniß
und als wirkliche Fortſchritte der Wiſſenſchaft den Gang bezeichnen,
welchen der ruhige Fluß der Wiſſenſchaft unbeirrt um die höher gehen-
den Wogen an ihrer Oberfläche einzuſchlagen hatte und auch einge-
ſchlagen hat. Die Bedeutung dieſer Arbeiten liegt alſo in dem Zuſam-
menfalle ihres Ziels mit dem der Wiſſenſchaft ſelbſt; ſie ſprechen für
ſich ſelbſt; aber auch jene umfaſſenderen Sammelwerke haben meiſt
einen nicht zu unterſchätzenden Werth. Denn wenn ſie auch aus gleich
zu erwähnenden Gründen weitaus mehr zootomiſches Material mit-
theilen als wirklich vergleichende Anatomie, ſo trugen ſie doch weſentlich
dazu bei, die Anerkennung der Lehre von der thieriſchen Form als ſelb-
ſtändige, von der Phyſiologie durch ihr Ziel und ihre Methode ver-
ſchiedene, unabhängige und ihr, in ihrer neuern Richtung beſonders,
nur coordinirte Wiſſenſchaft zu fördern und die wiſſenſchaftliche Auf-
faſſung der thieriſchen Form allgemeiner zu verbreiten.

Von den thieriſchen Typen war der der Wirbelthiere nicht bloß der
am früheſten erkannte und am beſten bekannte, ſondern auch der, welcher
wegen der verhältnißmäßig engen und leichter zu überſehenden Form-
grenzen am erſten zu einer allſeitig wiſſenſchaftlichen Durcharbeitung
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[634/0645] Periode der Morphologie. dürftige ſchärfer erkennen laſſen und damit einer weitern Auffaſſung deſſen vorgearbeitet, was man unter thieriſcher Form zu verſtehen habe. Je mehr ſich aber unter Einwirkung der im Vorſtehenden geſchilderten Momente die Thatſachen vervielfältigten, deſto natürlicher war es, daß dieſe Häufung des Materials den Fortſchritt im Allgemeinen etwas verlangſamte. Die gleichzeitig in weitem Umfange eingeführten neuen Unterſuchungsweiſen hatten eine ſolche Fülle bisher unbekannter Ver- hältniſſe zu Tage gefördert, daß ſich das Intereſſe an dem Thierleben mit der Kenntnißnahme und naturhiſtoriſchen Sammlung und Ordnung jener befriedigte. Wie in der Entwickelungsgeſchichte der Wiſſenſchaft im Ganzen folgte daher auch beim Anbrechen dieſer neueren Zeit dem Aufleben, oder eigentlich der Neugründung der Zoologie eine Periode der encyclopädiſchen Darſtellungen, welche unter Benutzung der über- kommenen Lehrweiſen eine ſyſtematiſche Form annahmen. Neben ihnen traten aber Leiſtungen auf, welche als ſicherer Erwerb der Erkenntniß und als wirkliche Fortſchritte der Wiſſenſchaft den Gang bezeichnen, welchen der ruhige Fluß der Wiſſenſchaft unbeirrt um die höher gehen- den Wogen an ihrer Oberfläche einzuſchlagen hatte und auch einge- ſchlagen hat. Die Bedeutung dieſer Arbeiten liegt alſo in dem Zuſam- menfalle ihres Ziels mit dem der Wiſſenſchaft ſelbſt; ſie ſprechen für ſich ſelbſt; aber auch jene umfaſſenderen Sammelwerke haben meiſt einen nicht zu unterſchätzenden Werth. Denn wenn ſie auch aus gleich zu erwähnenden Gründen weitaus mehr zootomiſches Material mit- theilen als wirklich vergleichende Anatomie, ſo trugen ſie doch weſentlich dazu bei, die Anerkennung der Lehre von der thieriſchen Form als ſelb- ſtändige, von der Phyſiologie durch ihr Ziel und ihre Methode ver- ſchiedene, unabhängige und ihr, in ihrer neuern Richtung beſonders, nur coordinirte Wiſſenſchaft zu fördern und die wiſſenſchaftliche Auf- faſſung der thieriſchen Form allgemeiner zu verbreiten. Von den thieriſchen Typen war der der Wirbelthiere nicht bloß der am früheſten erkannte und am beſten bekannte, ſondern auch der, welcher wegen der verhältnißmäßig engen und leichter zu überſehenden Form- grenzen am erſten zu einer allſeitig wiſſenſchaftlichen Durcharbeitung aufforderte. Beziehungen zu andern Typen lagen anfangs gar nicht

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Zitationshilfe: Carus, Julius Victor: Geschichte der Zoologie bis auf Johannes Müller und Charles Darwin. München, 1872, S. 634. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/carus_zoologie_1872/645>, abgerufen am 26.11.2024.