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Carus, Julius Victor: Geschichte der Zoologie bis auf Johannes Müller und Charles Darwin. München, 1872.

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Typenlehre. Cuvier.
wie dieselben auch von den Naturforschern bezeichnet werden mögen,
nur leichte, auf die Entwickelung oder das Hinzutreten einiger Theile
gegründete Modificationen sind, in denen aber an der Wesenheit des
Planes nichts geändert ist." Auch sagt Cuvier ausdrücklich, daß die
einzelnen Classen dieser Hauptzweige neben einander stehn, ohne eine
Reihe zu bilden und ohne eine bestimmte Stellung über oder unter ein-
ander zu haben. Diese vier Baupläne sind nach Cuvier die Wirbelthiere,
die Mollusken, die Gliederthiere (zu denen er außer den drei Arthro-
podenclassen als vierte noch die von Lamarck mit dem Namen der Anne-
liden bezeichnete Gruppe der rothblütigen Würmer bringt) und die
Zoophyten oder Strahlthiere. Zu letzterem Typus rechnet er noch die
Eingeweidewürmer (den Ausdruck vermes intestini Linne's nun in
neuer Bedeutung fassend) und die Infusorien. Gegenüber dieser schar-
fen Bezeichnung des Wesens und der Grenzen eines solchen Grund-
plans bei Cuvier braucht nur darauf aufmerksam gemacht zu werden,
daß bei Lamarck die wirbellosen Thiere in sieben Classen getheilt werden,
welche mit den vier Wirbelthierclassen jene elf Classen bilden, in welche
nach ihm das ganze Thierreich zu theilen ist. (Systeme etc. 1801.
p. 35
); es ist dabei von einem Plan oder Typus nicht die Rede; auch
bilden diese Classen eine Reihe, welche im Verhältniß zur fortschreiten-
den Vereinfachung des Baues steht. Hervorzuheben ist aber, daß La-
marck
zum erstenmale den Weg einschlägt, vom Einfachen zum Zusam-
mengesetzten aufzusteigen.

Obgleich im Grunde von nur formellem Belange verdient es doch
bemerkt zu werden, daß der später so geläufig gewordene Ausdruck
Typus von Blainville eingeführt wurde. Derselbe gab 1816 die
Grundzüge einer neuen Classification des Thierreichs, worin (außer dem
früher schon gebrauchten Ausdruck Strahlthiere) zum erstenmale die
Gesammtgestalt der Thiere zur Charakterisirung größerer Abtheilungen
benutzt wurde. Blainville theilt zunächst sämmtliche Thiere in die drei
Unterreiche: die Zygo- oder Artiomorpha, die neuerdings seitlich
symmetrisch genannten, die Actinomorpha, die Strahlthiere, und die
Amorpha oder Heteromorpha, Thiere ohne regelmäßige Form. Das
erste Unterreich zerfällt nun in die beiden Typen der Knochenthiere und

Typenlehre. Cuvier.
wie dieſelben auch von den Naturforſchern bezeichnet werden mögen,
nur leichte, auf die Entwickelung oder das Hinzutreten einiger Theile
gegründete Modificationen ſind, in denen aber an der Weſenheit des
Planes nichts geändert iſt.“ Auch ſagt Cuvier ausdrücklich, daß die
einzelnen Claſſen dieſer Hauptzweige neben einander ſtehn, ohne eine
Reihe zu bilden und ohne eine beſtimmte Stellung über oder unter ein-
ander zu haben. Dieſe vier Baupläne ſind nach Cuvier die Wirbelthiere,
die Mollusken, die Gliederthiere (zu denen er außer den drei Arthro-
podenclaſſen als vierte noch die von Lamarck mit dem Namen der Anne-
liden bezeichnete Gruppe der rothblütigen Würmer bringt) und die
Zoophyten oder Strahlthiere. Zu letzterem Typus rechnet er noch die
Eingeweidewürmer (den Ausdruck vermes intestini Linné's nun in
neuer Bedeutung faſſend) und die Infuſorien. Gegenüber dieſer ſchar-
fen Bezeichnung des Weſens und der Grenzen eines ſolchen Grund-
plans bei Cuvier braucht nur darauf aufmerkſam gemacht zu werden,
daß bei Lamarck die wirbelloſen Thiere in ſieben Claſſen getheilt werden,
welche mit den vier Wirbelthierclaſſen jene elf Claſſen bilden, in welche
nach ihm das ganze Thierreich zu theilen iſt. (Système etc. 1801.
p. 35
); es iſt dabei von einem Plan oder Typus nicht die Rede; auch
bilden dieſe Claſſen eine Reihe, welche im Verhältniß zur fortſchreiten-
den Vereinfachung des Baues ſteht. Hervorzuheben iſt aber, daß La-
marck
zum erſtenmale den Weg einſchlägt, vom Einfachen zum Zuſam-
mengeſetzten aufzuſteigen.

Obgleich im Grunde von nur formellem Belange verdient es doch
bemerkt zu werden, daß der ſpäter ſo geläufig gewordene Ausdruck
Typus von Blainville eingeführt wurde. Derſelbe gab 1816 die
Grundzüge einer neuen Claſſification des Thierreichs, worin (außer dem
früher ſchon gebrauchten Ausdruck Strahlthiere) zum erſtenmale die
Geſammtgeſtalt der Thiere zur Charakteriſirung größerer Abtheilungen
benutzt wurde. Blainville theilt zunächſt ſämmtliche Thiere in die drei
Unterreiche: die Zygo- oder Artiomorpha, die neuerdings ſeitlich
ſymmetriſch genannten, die Actinomorpha, die Strahlthiere, und die
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[615/0626] Typenlehre. Cuvier. wie dieſelben auch von den Naturforſchern bezeichnet werden mögen, nur leichte, auf die Entwickelung oder das Hinzutreten einiger Theile gegründete Modificationen ſind, in denen aber an der Weſenheit des Planes nichts geändert iſt.“ Auch ſagt Cuvier ausdrücklich, daß die einzelnen Claſſen dieſer Hauptzweige neben einander ſtehn, ohne eine Reihe zu bilden und ohne eine beſtimmte Stellung über oder unter ein- ander zu haben. Dieſe vier Baupläne ſind nach Cuvier die Wirbelthiere, die Mollusken, die Gliederthiere (zu denen er außer den drei Arthro- podenclaſſen als vierte noch die von Lamarck mit dem Namen der Anne- liden bezeichnete Gruppe der rothblütigen Würmer bringt) und die Zoophyten oder Strahlthiere. Zu letzterem Typus rechnet er noch die Eingeweidewürmer (den Ausdruck vermes intestini Linné's nun in neuer Bedeutung faſſend) und die Infuſorien. Gegenüber dieſer ſchar- fen Bezeichnung des Weſens und der Grenzen eines ſolchen Grund- plans bei Cuvier braucht nur darauf aufmerkſam gemacht zu werden, daß bei Lamarck die wirbelloſen Thiere in ſieben Claſſen getheilt werden, welche mit den vier Wirbelthierclaſſen jene elf Claſſen bilden, in welche nach ihm das ganze Thierreich zu theilen iſt. (Système etc. 1801. p. 35); es iſt dabei von einem Plan oder Typus nicht die Rede; auch bilden dieſe Claſſen eine Reihe, welche im Verhältniß zur fortſchreiten- den Vereinfachung des Baues ſteht. Hervorzuheben iſt aber, daß La- marck zum erſtenmale den Weg einſchlägt, vom Einfachen zum Zuſam- mengeſetzten aufzuſteigen. Obgleich im Grunde von nur formellem Belange verdient es doch bemerkt zu werden, daß der ſpäter ſo geläufig gewordene Ausdruck Typus von Blainville eingeführt wurde. Derſelbe gab 1816 die Grundzüge einer neuen Claſſification des Thierreichs, worin (außer dem früher ſchon gebrauchten Ausdruck Strahlthiere) zum erſtenmale die Geſammtgeſtalt der Thiere zur Charakteriſirung größerer Abtheilungen benutzt wurde. Blainville theilt zunächſt ſämmtliche Thiere in die drei Unterreiche: die Zygo- oder Artiomorpha, die neuerdings ſeitlich ſymmetriſch genannten, die Actinomorpha, die Strahlthiere, und die Amorpha oder Heteromorpha, Thiere ohne regelmäßige Form. Das erſte Unterreich zerfällt nun in die beiden Typen der Knochenthiere und

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Zitationshilfe: Carus, Julius Victor: Geschichte der Zoologie bis auf Johannes Müller und Charles Darwin. München, 1872, S. 615. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/carus_zoologie_1872/626>, abgerufen am 22.11.2024.