1824 Director der nicht katholischen Culte und 1831 Pair von Frank- reich. Cuvier starb am 13. Mai 1832.
Obschon Cuvier seiner Abstammung nach Franzose war, so fühlte er sich doch bis in sein erstes Mannesalter als Deutscher. Im Juli 1789 spricht er noch aus, daß er wie Pfaff Frankreich fremd sei; und von Pfaff nach seiner Meinung über die französische Revolution befragt, sagt er im December 1790: "ich, der als Fremder mit kälterem Auge Alles betrachte"; er freut sich, daß "sein Herzog" nicht gegen die Lütticher marschiren zu lassen brauche. Es scheint sich sogar bei ihm eine Art nationalen Vorurtheils gegen die Franzosen gebildet zu haben, wenn er (1788) äußert, die Franzosen fiengen an ihm zur Last zu werden, wenn er höhnend sagt (Oct. 1788): "so sind die Franzosen, eine Komödie, ein Liedchen kann ihre tiefsten Wunden heilen", wenn er sie nicht für fähig hält, zu ihrer Rettung einen bürgerlichen Krieg zu beginnen. Vor Allem war es aber der Einfluß der deutschen Wissenschaft, welcher ihn anfangs sich Frankreich fremd fühlen ließ. "Wirklich haben die Wissen- schaften äußerst wenige würdige Priester in Frankreich", schreibt er 1788. Dagegen erkannte er Kielmeyer nicht nur wiederholt als seinen Lehrer an, sondern erklärt ausdrücklich, daß dieser ihm den ersten Unterricht im Zergliedern gegeben habe. Er steht (1791 und 1792) mit ihm in Correspondenz und erhält von ihm die Skizze seines Cursus, aus welchem ihm dann Pfaff noch weitere Auszüge schickt. Und aus der in seinen Briefen enthaltenen Kritik der Kielmeyer'schen Theorie geht deut- lich hervor, daß er durch die allgemeinen Sätze derselben besonders be- stimmt wurde, die Veränderungen und allmähliche Complication der einzelnen Organe und Systeme durch das Thierreich zu verfolgen. Außer kleinen entomologischen Arbeiten gehn daher auch seine ersten veröffentlichten Untersuchungen auf die Klärung der Anatomie besonders der so unvollständig bekannten Würmer Linne's aus. 1792 erschien seine Anatomie der Napfschnecke, 1795 seine beiden berühmten Aufsätze15) über Anatomie und Verwandtschaftsverhältnisse der "Würmer", in
15) Der erste in der "Decade philos., litt. et polit. Tom. V., an III (1795), p. 385, der zweite in Millin, Magas. encyclop. 1795. Tom. II. p. 433.
1824 Director der nicht katholiſchen Culte und 1831 Pair von Frank- reich. Cuvier ſtarb am 13. Mai 1832.
Obſchon Cuvier ſeiner Abſtammung nach Franzoſe war, ſo fühlte er ſich doch bis in ſein erſtes Mannesalter als Deutſcher. Im Juli 1789 ſpricht er noch aus, daß er wie Pfaff Frankreich fremd ſei; und von Pfaff nach ſeiner Meinung über die franzöſiſche Revolution befragt, ſagt er im December 1790: „ich, der als Fremder mit kälterem Auge Alles betrachte“; er freut ſich, daß „ſein Herzog“ nicht gegen die Lütticher marſchiren zu laſſen brauche. Es ſcheint ſich ſogar bei ihm eine Art nationalen Vorurtheils gegen die Franzoſen gebildet zu haben, wenn er (1788) äußert, die Franzoſen fiengen an ihm zur Laſt zu werden, wenn er höhnend ſagt (Oct. 1788): „ſo ſind die Franzoſen, eine Komödie, ein Liedchen kann ihre tiefſten Wunden heilen“, wenn er ſie nicht für fähig hält, zu ihrer Rettung einen bürgerlichen Krieg zu beginnen. Vor Allem war es aber der Einfluß der deutſchen Wiſſenſchaft, welcher ihn anfangs ſich Frankreich fremd fühlen ließ. „Wirklich haben die Wiſſen- ſchaften äußerſt wenige würdige Prieſter in Frankreich“, ſchreibt er 1788. Dagegen erkannte er Kielmeyer nicht nur wiederholt als ſeinen Lehrer an, ſondern erklärt ausdrücklich, daß dieſer ihm den erſten Unterricht im Zergliedern gegeben habe. Er ſteht (1791 und 1792) mit ihm in Correſpondenz und erhält von ihm die Skizze ſeines Curſus, aus welchem ihm dann Pfaff noch weitere Auszüge ſchickt. Und aus der in ſeinen Briefen enthaltenen Kritik der Kielmeyer'ſchen Theorie geht deut- lich hervor, daß er durch die allgemeinen Sätze derſelben beſonders be- ſtimmt wurde, die Veränderungen und allmähliche Complication der einzelnen Organe und Syſteme durch das Thierreich zu verfolgen. Außer kleinen entomologiſchen Arbeiten gehn daher auch ſeine erſten veröffentlichten Unterſuchungen auf die Klärung der Anatomie beſonders der ſo unvollſtändig bekannten Würmer Linné's aus. 1792 erſchien ſeine Anatomie der Napfſchnecke, 1795 ſeine beiden berühmten Aufſätze15) über Anatomie und Verwandtſchaftsverhältniſſe der „Würmer“, in
15) Der erſte in der „Décade philos., litt. et polit. Tom. V., an III (1795), p. 385, der zweite in Millin, Magas. encyclop. 1795. Tom. II. p. 433.
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Obſchon Cuvier ſeiner Abſtammung nach Franzoſe war, ſo fühlte
er ſich doch bis in ſein erſtes Mannesalter als Deutſcher. Im Juli
1789 ſpricht er noch aus, daß er wie Pfaff Frankreich fremd ſei; und
von Pfaff nach ſeiner Meinung über die franzöſiſche Revolution befragt,
ſagt er im December 1790: „ich, der als Fremder mit kälterem Auge
Alles betrachte“; er freut ſich, daß „ſein Herzog“ nicht
gegen die Lütticher
marſchiren zu laſſen brauche. Es ſcheint ſich ſogar bei ihm eine Art
nationalen Vorurtheils gegen die Franzoſen gebildet zu haben, wenn er
(1788) äußert, die Franzoſen fiengen an ihm zur Laſt zu werden, wenn
er höhnend ſagt (Oct. 1788): „ſo ſind die Franzoſen, eine Komödie,
ein Liedchen kann ihre tiefſten Wunden heilen“, wenn er ſie nicht für
fähig hält, zu ihrer Rettung einen bürgerlichen Krieg zu beginnen. Vor
Allem war es aber der Einfluß der deutſchen Wiſſenſchaft, welcher ihn
anfangs ſich Frankreich fremd fühlen ließ. „Wirklich haben die Wiſſen-
ſchaften äußerſt wenige würdige Prieſter in Frankreich“, ſchreibt er 1788.
Dagegen erkannte er Kielmeyer nicht nur wiederholt als ſeinen Lehrer
an, ſondern erklärt ausdrücklich, daß dieſer ihm den erſten Unterricht
im Zergliedern gegeben habe. Er ſteht (1791 und 1792) mit ihm in
Correſpondenz und erhält von ihm die Skizze ſeines Curſus, aus
welchem ihm dann Pfaff noch weitere Auszüge ſchickt. Und aus der in
ſeinen Briefen enthaltenen Kritik der Kielmeyer'ſchen Theorie geht deut-
lich hervor, daß er durch die allgemeinen Sätze derſelben beſonders be-
ſtimmt wurde, die Veränderungen und allmähliche Complication der
einzelnen Organe und Syſteme durch das Thierreich zu verfolgen.
Außer kleinen entomologiſchen Arbeiten gehn daher auch ſeine erſten
veröffentlichten Unterſuchungen auf die Klärung der Anatomie beſonders
der ſo unvollſtändig bekannten Würmer Linné's aus. 1792 erſchien
ſeine Anatomie der Napfſchnecke, 1795 ſeine beiden berühmten Aufſätze 15)
über Anatomie und Verwandtſchaftsverhältniſſe der „Würmer“, in
15) Der erſte in der „Décade philos., litt. et polit. Tom. V.,
an III (1795),
p. 385, der zweite in Millin, Magas. encyclop. 1795. Tom. II. p.
433.
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Carus, Julius Victor: Geschichte der Zoologie bis auf Johannes Müller und Charles Darwin. München, 1872, S. 599. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/carus_zoologie_1872/610>, abgerufen am 22.11.2024.
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