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Carus, Julius Victor: Geschichte der Zoologie bis auf Johannes Müller und Charles Darwin. München, 1872.

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Periode der Morphologie.
Weise Vergleichungen zwischen den Organisationsverhältnissen verschie-
dener Thiere anzustellen, und zur Erreichung von Resultaten bei dieser
Arbeit mit bewußter Absicht gewisse allgemeine Grundsätze anwendete;
es ist dies Etienne Geoffroy-Saint-Hilaire, Verwandter
jener beiden Geoffroys, welche sich im vorigen Jahrhundert, der eine
als Chemiker, der andere als Botaniker einen Namen gemacht hatten12).
Nachdem er sich früher vorzugsweise mit Botanik und Mineralogie be-
schäftigt hatte, mußte er sich, mit ein und zwanzig Jahren als Professor
der Zoologie angestellt, die Elemente der Naturgeschichte, wie er selbst
gesteht, erst bei dem Aufstellen und Ordnen der Sammlung des Pflan-
zengartens erwerben. Wichtig wurde für ihn, daß Cuvier 1795 nach
Paris kam; mit diesem lebte und arbeitete er anfangs friedlich zusam-
men, bis sich die Gegensätze der von beiden eingeschlagenen Richtungen
immer schärfer herausstellten. Cuvier bezeichnet es als Ziel jeder guten
Methode, die Wissenschaft auf ihre kürzesten Ausdrücke zu bringen,
d. h. also die Thatsachen unter immer höhere Gattungsbegriffe zu ord-
nen. Geoffroy geht auf Aehnliches aus, stellt aber die allgemeinen
Sätze als Erklärungsgründe auf, während sie doch nur inductiv zu be-
weisende Lehrsätze sind. Nun erklärt er dieselben allerdings einmal als
aus Thatsachen abgeleitet, sagt aber andererseits auch, daß er sie inspi-
ratorisch gefunden habe. Durch den Reiz solch allgemeiner, ganze
Gruppen von Thatsachen umfassender Sätze verleitet und jede meta-
physische Färbung eines Ausdrucks schon für Philosophie haltend nennt
er seine Richtung eine philosophische. Er hielt sich selbst und galt bei
seinen Schülern für den Gründer einer besonderen "anatomischen Phi-
losophie". Nun hätten seine Gesetze oder Principien ganz fruchtbar
werden können, wenn er sie unter gleichzeitiger Anwendung der noth-
wendigen coordinirten Grundsätze benutzt hätte. Im Mangel der

12) Sohn eines Juristen, Jean Gerard Geoffroy, wurde er 1772 in
Etampes
geboren, wurde Schüler Hauy's und Daubenton's, setzte 1792 des schon
verurtheil-
ten Hauy Befreiung durch und wurde von diesem Daubenton warm empfohlen,
welcher
ihm 1793 neben Lamarck die zweite Professur der Zoologie am Museum erwirkte.
Von 1798-1802 war er mit der Napoleonischen Expedition in Aegypten. Er
starb 1844.

Periode der Morphologie.
Weiſe Vergleichungen zwiſchen den Organiſationsverhältniſſen verſchie-
dener Thiere anzuſtellen, und zur Erreichung von Reſultaten bei dieſer
Arbeit mit bewußter Abſicht gewiſſe allgemeine Grundſätze anwendete;
es iſt dies Etienne Geoffroy-Saint-Hilaire, Verwandter
jener beiden Geoffroys, welche ſich im vorigen Jahrhundert, der eine
als Chemiker, der andere als Botaniker einen Namen gemacht hatten12).
Nachdem er ſich früher vorzugsweiſe mit Botanik und Mineralogie be-
ſchäftigt hatte, mußte er ſich, mit ein und zwanzig Jahren als Profeſſor
der Zoologie angeſtellt, die Elemente der Naturgeſchichte, wie er ſelbſt
geſteht, erſt bei dem Aufſtellen und Ordnen der Sammlung des Pflan-
zengartens erwerben. Wichtig wurde für ihn, daß Cuvier 1795 nach
Paris kam; mit dieſem lebte und arbeitete er anfangs friedlich zuſam-
men, bis ſich die Gegenſätze der von beiden eingeſchlagenen Richtungen
immer ſchärfer herausſtellten. Cuvier bezeichnet es als Ziel jeder guten
Methode, die Wiſſenſchaft auf ihre kürzeſten Ausdrücke zu bringen,
d. h. alſo die Thatſachen unter immer höhere Gattungsbegriffe zu ord-
nen. Geoffroy geht auf Aehnliches aus, ſtellt aber die allgemeinen
Sätze als Erklärungsgründe auf, während ſie doch nur inductiv zu be-
weiſende Lehrſätze ſind. Nun erklärt er dieſelben allerdings einmal als
aus Thatſachen abgeleitet, ſagt aber andererſeits auch, daß er ſie inſpi-
ratoriſch gefunden habe. Durch den Reiz ſolch allgemeiner, ganze
Gruppen von Thatſachen umfaſſender Sätze verleitet und jede meta-
phyſiſche Färbung eines Ausdrucks ſchon für Philoſophie haltend nennt
er ſeine Richtung eine philoſophiſche. Er hielt ſich ſelbſt und galt bei
ſeinen Schülern für den Gründer einer beſonderen „anatomiſchen Phi-
loſophie“. Nun hätten ſeine Geſetze oder Principien ganz fruchtbar
werden können, wenn er ſie unter gleichzeitiger Anwendung der noth-
wendigen coordinirten Grundſätze benutzt hätte. Im Mangel der

12) Sohn eines Juriſten, Jean Gérard Geoffroy, wurde er 1772 in
Etampes
geboren, wurde Schüler Hauy's und Daubenton's, ſetzte 1792 des ſchon
verurtheil-
ten Hauy Befreiung durch und wurde von dieſem Daubenton warm empfohlen,
welcher
ihm 1793 neben Lamarck die zweite Profeſſur der Zoologie am Muſeum erwirkte.
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[594/0605] Periode der Morphologie. Weiſe Vergleichungen zwiſchen den Organiſationsverhältniſſen verſchie- dener Thiere anzuſtellen, und zur Erreichung von Reſultaten bei dieſer Arbeit mit bewußter Abſicht gewiſſe allgemeine Grundſätze anwendete; es iſt dies Etienne Geoffroy-Saint-Hilaire, Verwandter jener beiden Geoffroys, welche ſich im vorigen Jahrhundert, der eine als Chemiker, der andere als Botaniker einen Namen gemacht hatten 12). Nachdem er ſich früher vorzugsweiſe mit Botanik und Mineralogie be- ſchäftigt hatte, mußte er ſich, mit ein und zwanzig Jahren als Profeſſor der Zoologie angeſtellt, die Elemente der Naturgeſchichte, wie er ſelbſt geſteht, erſt bei dem Aufſtellen und Ordnen der Sammlung des Pflan- zengartens erwerben. Wichtig wurde für ihn, daß Cuvier 1795 nach Paris kam; mit dieſem lebte und arbeitete er anfangs friedlich zuſam- men, bis ſich die Gegenſätze der von beiden eingeſchlagenen Richtungen immer ſchärfer herausſtellten. Cuvier bezeichnet es als Ziel jeder guten Methode, die Wiſſenſchaft auf ihre kürzeſten Ausdrücke zu bringen, d. h. alſo die Thatſachen unter immer höhere Gattungsbegriffe zu ord- nen. Geoffroy geht auf Aehnliches aus, ſtellt aber die allgemeinen Sätze als Erklärungsgründe auf, während ſie doch nur inductiv zu be- weiſende Lehrſätze ſind. Nun erklärt er dieſelben allerdings einmal als aus Thatſachen abgeleitet, ſagt aber andererſeits auch, daß er ſie inſpi- ratoriſch gefunden habe. Durch den Reiz ſolch allgemeiner, ganze Gruppen von Thatſachen umfaſſender Sätze verleitet und jede meta- phyſiſche Färbung eines Ausdrucks ſchon für Philoſophie haltend nennt er ſeine Richtung eine philoſophiſche. Er hielt ſich ſelbſt und galt bei ſeinen Schülern für den Gründer einer beſonderen „anatomiſchen Phi- loſophie“. Nun hätten ſeine Geſetze oder Principien ganz fruchtbar werden können, wenn er ſie unter gleichzeitiger Anwendung der noth- wendigen coordinirten Grundſätze benutzt hätte. Im Mangel der 12) Sohn eines Juriſten, Jean Gérard Geoffroy, wurde er 1772 in Etampes geboren, wurde Schüler Hauy's und Daubenton's, ſetzte 1792 des ſchon verurtheil- ten Hauy Befreiung durch und wurde von dieſem Daubenton warm empfohlen, welcher ihm 1793 neben Lamarck die zweite Profeſſur der Zoologie am Muſeum erwirkte. Von 1798-1802 war er mit der Napoleoniſchen Expedition in Aegypten. Er ſtarb 1844.

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Zitationshilfe: Carus, Julius Victor: Geschichte der Zoologie bis auf Johannes Müller und Charles Darwin. München, 1872, S. 594. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/carus_zoologie_1872/605>, abgerufen am 22.11.2024.