Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Carus, Julius Victor: Geschichte der Zoologie bis auf Johannes Müller und Charles Darwin. München, 1872.

Bild:
<< vorherige Seite

weniger von Hypothesen beeinflußt zu lösen versuchte. Die Art und
Weise, wie sich die größeren Continente durch Wanderungen von einzel-
nen Punkten aus bevölkert haben, das Vorkommen gleicher Thiere auf
Inseln und den ihnen am nächsten gelegenen Continenten, die ungleiche
Temperatur großer Continentalmassen und an Meeren gelegener Punkte
in gleicher Breite, die mit der räumlichen Trennung der Individuen
von der Stammform allmählich eintretende Abänderung einzelner For-
men, -- alles dies sind Verhältnisse, welche zum erstenmale bei Zim-
mermann
eingehend und im Zusammenhange berücksichtigt und sach-
gemäß besprochen werden57). Damit war aber auch die Frage nach der
ursprünglichen Stammform der Hausthiere und der Möglichkeit der
Umwandlung gewisser Formen von einer praktischen Seite her angeregt.
Kann man auch nicht erwarten, daß beim ersten Auftauchen dieser
Fragen schon alle jene Momente berücksichtigt wurden, welche, jetzt
für wirkungsvoll erkannt, bei einer Erklärung der zoogeographischen
Thatsachen in Rechnung gezogen werden, so bietet doch Zimmermann's
Werk die erste besondere wissenschaftliche Behandlung dieser Seite der
Thiergeschichte dar, wie es auch lange Zeit die einzige blieb.

In der zweiten Hälfte des vorigen Jahrhunderts verdankte die
Zoologie sowohl nach der zuletzt erwähnten Richtung hin, als auch in
den meisten übrigen Zweigen die bedeutungsvollste Anregung dem schon
genannten Pallas, dessen Einwirkung auf den wissenschaftlichen Fort-
schritt sicher noch größer gewesen wäre, wenn er die Resultate seiner
vielseitigen Untersuchungen selbst noch weiter hätte verfolgen können
und nicht durch das massenhaft von ihm zusammengebrachte Material
zur beinahe gleichzeitigen Bearbeitung mehrerer größerer Werke ver-
anlaßt worden wäre. Viele der allgemeinen Anschauungen, welche ein-
zelne Seiten der Betrachtung der Thierwelt in späteren Zeiten umge-

57) Schon 1753 hatte Nic. Desmarets das Vorkommen gewisser Thiere in
England unter anderm als Grund der Ueberzeugung hervorgehoben, daß diese Insel
früher mit dem europäischen Festlande zusammengehangen habe. s. G. Cuvier,
Eloge de N. Desmarets.

weniger von Hypotheſen beeinflußt zu löſen verſuchte. Die Art und
Weiſe, wie ſich die größeren Continente durch Wanderungen von einzel-
nen Punkten aus bevölkert haben, das Vorkommen gleicher Thiere auf
Inſeln und den ihnen am nächſten gelegenen Continenten, die ungleiche
Temperatur großer Continentalmaſſen und an Meeren gelegener Punkte
in gleicher Breite, die mit der räumlichen Trennung der Individuen
von der Stammform allmählich eintretende Abänderung einzelner For-
men, — alles dies ſind Verhältniſſe, welche zum erſtenmale bei Zim-
mermann
eingehend und im Zuſammenhange berückſichtigt und ſach-
gemäß beſprochen werden57). Damit war aber auch die Frage nach der
urſprünglichen Stammform der Hausthiere und der Möglichkeit der
Umwandlung gewiſſer Formen von einer praktiſchen Seite her angeregt.
Kann man auch nicht erwarten, daß beim erſten Auftauchen dieſer
Fragen ſchon alle jene Momente berückſichtigt wurden, welche, jetzt
für wirkungsvoll erkannt, bei einer Erklärung der zoogeographiſchen
Thatſachen in Rechnung gezogen werden, ſo bietet doch Zimmermann's
Werk die erſte beſondere wiſſenſchaftliche Behandlung dieſer Seite der
Thiergeſchichte dar, wie es auch lange Zeit die einzige blieb.

In der zweiten Hälfte des vorigen Jahrhunderts verdankte die
Zoologie ſowohl nach der zuletzt erwähnten Richtung hin, als auch in
den meiſten übrigen Zweigen die bedeutungsvollſte Anregung dem ſchon
genannten Pallas, deſſen Einwirkung auf den wiſſenſchaftlichen Fort-
ſchritt ſicher noch größer geweſen wäre, wenn er die Reſultate ſeiner
vielſeitigen Unterſuchungen ſelbſt noch weiter hätte verfolgen können
und nicht durch das maſſenhaft von ihm zuſammengebrachte Material
zur beinahe gleichzeitigen Bearbeitung mehrerer größerer Werke ver-
anlaßt worden wäre. Viele der allgemeinen Anſchauungen, welche ein-
zelne Seiten der Betrachtung der Thierwelt in ſpäteren Zeiten umge-

57) Schon 1753 hatte Nic. Desmarets das Vorkommen gewiſſer Thiere in
England unter anderm als Grund der Ueberzeugung hervorgehoben, daß dieſe Inſel
früher mit dem europäiſchen Feſtlande zuſammengehangen habe. ſ. G. Cuvier,
Eloge de N. Desmarets.
<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <div n="2">
          <p><pb facs="#f0546" n="535"/><fw place="top" type="header"><persName ref="http://d-nb.info/gnd/118591371">Peter Simon Pallas</persName>.</fw><lb/>
weniger von Hypothe&#x017F;en beeinflußt zu lö&#x017F;en ver&#x017F;uchte. Die Art und<lb/>
Wei&#x017F;e, wie &#x017F;ich die größeren Continente durch Wanderungen von einzel-<lb/>
nen Punkten aus bevölkert haben, das Vorkommen gleicher Thiere auf<lb/>
In&#x017F;eln und den ihnen am näch&#x017F;ten gelegenen Continenten, die ungleiche<lb/>
Temperatur großer Continentalma&#x017F;&#x017F;en und an Meeren gelegener Punkte<lb/>
in gleicher Breite, die mit der räumlichen Trennung der Individuen<lb/>
von der Stammform allmählich eintretende Abänderung einzelner For-<lb/>
men, &#x2014; alles dies &#x017F;ind Verhältni&#x017F;&#x017F;e, welche zum er&#x017F;tenmale bei <hi rendition="#g"><persName ref="http://d-nb.info/gnd/11882435X">Zim-<lb/>
mermann</persName></hi> eingehend und im Zu&#x017F;ammenhange berück&#x017F;ichtigt und &#x017F;ach-<lb/>
gemäß be&#x017F;prochen werden<note place="foot" n="57)">Schon 1753 hatte <persName ref="http://d-nb.info/gnd/117632937">Nic. <hi rendition="#g">Desmarets</hi></persName> das Vorkommen gewi&#x017F;&#x017F;er Thiere in<lb/>
England unter anderm als Grund der Ueberzeugung hervorgehoben, daß die&#x017F;e In&#x017F;el<lb/>
früher mit dem europäi&#x017F;chen Fe&#x017F;tlande zu&#x017F;ammengehangen habe. &#x017F;. <hi rendition="#aq"><persName ref="http://d-nb.info/gnd/118677578">G. <hi rendition="#g">Cuvier</hi></persName>,<lb/>
Eloge de <persName ref="http://d-nb.info/gnd/117632937">N. <hi rendition="#g">Desmarets</hi></persName>.</hi></note>. Damit war aber auch die Frage nach der<lb/>
ur&#x017F;prünglichen Stammform der Hausthiere und der Möglichkeit der<lb/>
Umwandlung gewi&#x017F;&#x017F;er Formen von einer prakti&#x017F;chen Seite her angeregt.<lb/>
Kann man auch nicht erwarten, daß beim er&#x017F;ten Auftauchen die&#x017F;er<lb/>
Fragen &#x017F;chon alle jene Momente berück&#x017F;ichtigt wurden, welche, jetzt<lb/>
für wirkungsvoll erkannt, bei einer Erklärung der zoogeographi&#x017F;chen<lb/>
That&#x017F;achen in Rechnung gezogen werden, &#x017F;o bietet doch <persName ref="http://d-nb.info/gnd/11882435X">Zimmermann</persName>'s<lb/>
Werk die er&#x017F;te be&#x017F;ondere wi&#x017F;&#x017F;en&#x017F;chaftliche Behandlung die&#x017F;er Seite der<lb/>
Thierge&#x017F;chichte dar, wie es auch lange Zeit die einzige blieb.</p>
        </div><lb/>
        <div n="2">
          <head> <hi rendition="#b"><persName ref="http://d-nb.info/gnd/118591371">Peter Simon Pallas</persName>.</hi> </head><lb/>
          <p>In der zweiten Hälfte des vorigen Jahrhunderts verdankte die<lb/>
Zoologie &#x017F;owohl nach der zuletzt erwähnten Richtung hin, als auch in<lb/>
den mei&#x017F;ten übrigen Zweigen die bedeutungsvoll&#x017F;te Anregung dem &#x017F;chon<lb/>
genannten <persName ref="http://d-nb.info/gnd/118591371">Pallas</persName>, de&#x017F;&#x017F;en Einwirkung auf den wi&#x017F;&#x017F;en&#x017F;chaftlichen Fort-<lb/>
&#x017F;chritt &#x017F;icher noch größer gewe&#x017F;en wäre, wenn er die Re&#x017F;ultate &#x017F;einer<lb/>
viel&#x017F;eitigen Unter&#x017F;uchungen &#x017F;elb&#x017F;t noch weiter hätte verfolgen können<lb/>
und nicht durch das ma&#x017F;&#x017F;enhaft von ihm zu&#x017F;ammengebrachte Material<lb/>
zur beinahe gleichzeitigen Bearbeitung mehrerer größerer Werke ver-<lb/>
anlaßt worden wäre. Viele der allgemeinen An&#x017F;chauungen, welche ein-<lb/>
zelne Seiten der Betrachtung der Thierwelt in &#x017F;päteren Zeiten umge-<lb/></p>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[535/0546] Peter Simon Pallas. weniger von Hypotheſen beeinflußt zu löſen verſuchte. Die Art und Weiſe, wie ſich die größeren Continente durch Wanderungen von einzel- nen Punkten aus bevölkert haben, das Vorkommen gleicher Thiere auf Inſeln und den ihnen am nächſten gelegenen Continenten, die ungleiche Temperatur großer Continentalmaſſen und an Meeren gelegener Punkte in gleicher Breite, die mit der räumlichen Trennung der Individuen von der Stammform allmählich eintretende Abänderung einzelner For- men, — alles dies ſind Verhältniſſe, welche zum erſtenmale bei Zim- mermann eingehend und im Zuſammenhange berückſichtigt und ſach- gemäß beſprochen werden 57). Damit war aber auch die Frage nach der urſprünglichen Stammform der Hausthiere und der Möglichkeit der Umwandlung gewiſſer Formen von einer praktiſchen Seite her angeregt. Kann man auch nicht erwarten, daß beim erſten Auftauchen dieſer Fragen ſchon alle jene Momente berückſichtigt wurden, welche, jetzt für wirkungsvoll erkannt, bei einer Erklärung der zoogeographiſchen Thatſachen in Rechnung gezogen werden, ſo bietet doch Zimmermann's Werk die erſte beſondere wiſſenſchaftliche Behandlung dieſer Seite der Thiergeſchichte dar, wie es auch lange Zeit die einzige blieb. Peter Simon Pallas. In der zweiten Hälfte des vorigen Jahrhunderts verdankte die Zoologie ſowohl nach der zuletzt erwähnten Richtung hin, als auch in den meiſten übrigen Zweigen die bedeutungsvollſte Anregung dem ſchon genannten Pallas, deſſen Einwirkung auf den wiſſenſchaftlichen Fort- ſchritt ſicher noch größer geweſen wäre, wenn er die Reſultate ſeiner vielſeitigen Unterſuchungen ſelbſt noch weiter hätte verfolgen können und nicht durch das maſſenhaft von ihm zuſammengebrachte Material zur beinahe gleichzeitigen Bearbeitung mehrerer größerer Werke ver- anlaßt worden wäre. Viele der allgemeinen Anſchauungen, welche ein- zelne Seiten der Betrachtung der Thierwelt in ſpäteren Zeiten umge- 57) Schon 1753 hatte Nic. Desmarets das Vorkommen gewiſſer Thiere in England unter anderm als Grund der Ueberzeugung hervorgehoben, daß dieſe Inſel früher mit dem europäiſchen Feſtlande zuſammengehangen habe. ſ. G. Cuvier, Eloge de N. Desmarets.

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien im Double-Keying-Verfahren von Muttersprachlern erfasst und in XML/TEI P5 nach DTA-Basisformat kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/carus_zoologie_1872
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/carus_zoologie_1872/546
Zitationshilfe: Carus, Julius Victor: Geschichte der Zoologie bis auf Johannes Müller und Charles Darwin. München, 1872, S. 535. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/carus_zoologie_1872/546>, abgerufen am 22.12.2024.