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Carus, Julius Victor: Geschichte der Zoologie bis auf Johannes Müller und Charles Darwin. München, 1872.

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übrigbleibenden Fische nur nach der Stellung der Bauchflossen ein. Und
wenn auch entschieden ein wichtiger morphologischer Fortschritt in der
hier zum ersten Male auftretenden Anerkennung der Identität zwischen
den Gliedmaßen anderer Wirbelthiere und den paarigen Flossen der
Fische ausgedrückt ist,50) so ist doch die Eintheilung sämmtlicher Knochen-
fische, -- denn diese sind übriggeblieben -- nur nach diesem
Merkmale
durchaus künstlich und unnatürlich. Die Gruppen Apodes, Jugulares,
Thoracici
und Abdominales, je nachdem die Bauchflossen entweder
fehlen, oder vor den Brustflossen oder unter ihnen oder hinter ihnen
stehen, sind zwar in einzelnen Fällen als kleinere Untergruppen geblie-
ben; doch ist der ihrer Bildung zu Grunde liegende Charakter in keiner
Weise als ein die ganze Classe durchgreifend theilender anzusehen.

Die "Insecten", Linne's fünfte Classe, sind
bei ihm wie bei
Ray den Entoma des Aristoteles gleich; denn wenn er auch nur bei-
läufig auf die Gliederung (sogar nur des Abdomen, s. 10. Ausgabe,
S. 339) hinweist, so umfaßt er doch bei Aufstellung des Systems
sämmtliche Arthropodenclassen, freilich nicht in gleicher Ausführlichkeit.
Zu den oben erwähnten Charakteren der Insecten tritt von der zehnten
Ausgabe an noch eine Reihe meist von den Hexapoden entnomme-
ner, aber auf genaue Beobachtung beruhender Merkmale, so z. B. die
quere Bewegung der Kinnladen u. a. Auf die Entwickelungsgeschichte
und die Verwandlungsweise geht jedoch Linne erst in zweiter Linie ein.
Er weicht also von Swammerdam und Ray in bedeutender Weise und
zwar im Sinne einer allseitigen Berücksichtigung der Lebensvorgänge
der zu schildernden Thiere nicht vortheilhaft ab. Doch sind auf der an-
deren Seite die Vortheile, welche seiner Eintheilungsweise innewohnen
und welche dieselbe zu der bis heute am allgemeinsten befolgten und allen
übrigen Versuchen als Anhaltepunkt dienenden gemacht haben, so be-
deutend, daß man das einseitige Hervortreten nur äußerer Merkmale
wohl nirgends so wenig empfindet, als gerade hier. Daß natürlich bei
der Einweisung der einzelnen Gattungen Verstöße gegen die natürliche

50) "propriam tentabo viam a
Pedibus ante alas, sub alis, pone alis
sitis.
"

übrigbleibenden Fiſche nur nach der Stellung der Bauchfloſſen ein. Und
wenn auch entſchieden ein wichtiger morphologiſcher Fortſchritt in der
hier zum erſten Male auftretenden Anerkennung der Identität zwiſchen
den Gliedmaßen anderer Wirbelthiere und den paarigen Floſſen der
Fiſche ausgedrückt iſt,50) ſo iſt doch die Eintheilung ſämmtlicher Knochen-
fiſche, — denn dieſe ſind übriggeblieben — nur nach dieſem
Merkmale
durchaus künſtlich und unnatürlich. Die Gruppen Apodes, Jugulares,
Thoracici
und Abdominales, je nachdem die Bauchfloſſen entweder
fehlen, oder vor den Bruſtfloſſen oder unter ihnen oder hinter ihnen
ſtehen, ſind zwar in einzelnen Fällen als kleinere Untergruppen geblie-
ben; doch iſt der ihrer Bildung zu Grunde liegende Charakter in keiner
Weiſe als ein die ganze Claſſe durchgreifend theilender anzuſehen.

Die „Inſecten“, Linné's fünfte Claſſe, ſind
bei ihm wie bei
Ray den Entoma des Ariſtoteles gleich; denn wenn er auch nur bei-
läufig auf die Gliederung (ſogar nur des Abdomen, ſ. 10. Ausgabe,
S. 339) hinweiſt, ſo umfaßt er doch bei Aufſtellung des Syſtems
ſämmtliche Arthropodenclaſſen, freilich nicht in gleicher Ausführlichkeit.
Zu den oben erwähnten Charakteren der Inſecten tritt von der zehnten
Ausgabe an noch eine Reihe meiſt von den Hexapoden entnomme-
ner, aber auf genaue Beobachtung beruhender Merkmale, ſo z. B. die
quere Bewegung der Kinnladen u. a. Auf die Entwickelungsgeſchichte
und die Verwandlungsweiſe geht jedoch Linné erſt in zweiter Linie ein.
Er weicht alſo von Swammerdam und Ray in bedeutender Weiſe und
zwar im Sinne einer allſeitigen Berückſichtigung der Lebensvorgänge
der zu ſchildernden Thiere nicht vortheilhaft ab. Doch ſind auf der an-
deren Seite die Vortheile, welche ſeiner Eintheilungsweiſe innewohnen
und welche dieſelbe zu der bis heute am allgemeinſten befolgten und allen
übrigen Verſuchen als Anhaltepunkt dienenden gemacht haben, ſo be-
deutend, daß man das einſeitige Hervortreten nur äußerer Merkmale
wohl nirgends ſo wenig empfindet, als gerade hier. Daß natürlich bei
der Einweiſung der einzelnen Gattungen Verſtöße gegen die natürliche

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[511/0522] Carl von Linné. übrigbleibenden Fiſche nur nach der Stellung der Bauchfloſſen ein. Und wenn auch entſchieden ein wichtiger morphologiſcher Fortſchritt in der hier zum erſten Male auftretenden Anerkennung der Identität zwiſchen den Gliedmaßen anderer Wirbelthiere und den paarigen Floſſen der Fiſche ausgedrückt iſt, 50) ſo iſt doch die Eintheilung ſämmtlicher Knochen- fiſche, — denn dieſe ſind übriggeblieben — nur nach dieſem Merkmale durchaus künſtlich und unnatürlich. Die Gruppen Apodes, Jugulares, Thoracici und Abdominales, je nachdem die Bauchfloſſen entweder fehlen, oder vor den Bruſtfloſſen oder unter ihnen oder hinter ihnen ſtehen, ſind zwar in einzelnen Fällen als kleinere Untergruppen geblie- ben; doch iſt der ihrer Bildung zu Grunde liegende Charakter in keiner Weiſe als ein die ganze Claſſe durchgreifend theilender anzuſehen. Die „Inſecten“, Linné's fünfte Claſſe, ſind bei ihm wie bei Ray den Entoma des Ariſtoteles gleich; denn wenn er auch nur bei- läufig auf die Gliederung (ſogar nur des Abdomen, ſ. 10. Ausgabe, S. 339) hinweiſt, ſo umfaßt er doch bei Aufſtellung des Syſtems ſämmtliche Arthropodenclaſſen, freilich nicht in gleicher Ausführlichkeit. Zu den oben erwähnten Charakteren der Inſecten tritt von der zehnten Ausgabe an noch eine Reihe meiſt von den Hexapoden entnomme- ner, aber auf genaue Beobachtung beruhender Merkmale, ſo z. B. die quere Bewegung der Kinnladen u. a. Auf die Entwickelungsgeſchichte und die Verwandlungsweiſe geht jedoch Linné erſt in zweiter Linie ein. Er weicht alſo von Swammerdam und Ray in bedeutender Weiſe und zwar im Sinne einer allſeitigen Berückſichtigung der Lebensvorgänge der zu ſchildernden Thiere nicht vortheilhaft ab. Doch ſind auf der an- deren Seite die Vortheile, welche ſeiner Eintheilungsweiſe innewohnen und welche dieſelbe zu der bis heute am allgemeinſten befolgten und allen übrigen Verſuchen als Anhaltepunkt dienenden gemacht haben, ſo be- deutend, daß man das einſeitige Hervortreten nur äußerer Merkmale wohl nirgends ſo wenig empfindet, als gerade hier. Daß natürlich bei der Einweiſung der einzelnen Gattungen Verſtöße gegen die natürliche 50) »propriam tentabo viam a Pedibus ante alas, sub alis, pone alis sitis.«

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Zitationshilfe: Carus, Julius Victor: Geschichte der Zoologie bis auf Johannes Müller und Charles Darwin. München, 1872, S. 511. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/carus_zoologie_1872/522>, abgerufen am 22.11.2024.