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Carus, Julius Victor: Geschichte der Zoologie bis auf Johannes Müller und Charles Darwin. München, 1872.

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Periode der Systematik.
dam zum erstenmale die Hinweisung auf jenen durch das Eintreten
eines ruhenden Puppenzustandes bedingten Unterschied, welcher später
zu der logischen Ungeheuerlichkeit einer "halben" Verwandlung geführt
hat. Zu der ersten Gruppe der sich verwandelnden Formen, welche
durch das Fehlen jener ruhenden Puppe ausgezeichnet ist, werden die
Libellen, Wanzen, Grillen, Heuschrecken und Ohrwürmer gebracht.
Die Formen, welche vor der Verwandlung ruhen, zerfallen nach der
Beschaffenheit der Vorderflügel in Scheidenflüglige, die Käfer, und
Scheidenlose, Anelytra, von welchen die einen bestäubte Flügel besitzen
(Farinacea, Schmetterlinge), während die andern häutige Flügel haben
und zwar entweder zwei, Fliegen u. s. f., oder vier, Bienen und Ver-
wandte. Es ist nicht zu läugnen, daß auch hier die Entdeckungen in
der Lebens- und Bildungsgeschichte sowie im Bau der Insecten, welche
die letzten fünfzig Jahre des siebzehnten Jahrhunderts auszeichneten,
in einer so vollendeten Weise zum Ausdruck und zur praktischen Ver-
wendung kamen (wenn letzterer Ausdruck gestattet ist), daß es nur wei-
terer, aber vergleichsweise untergeordneter Detailarbeiten bedurfte, um
das System noch mehr zu klären und in Bezug auf einzelne Formen zu
verbessern.

Ray hat nicht selbst die übrigen niederen Classen des Thierreichs
bearbeitet. Wenn man ihm daher auch nicht das Verdienst zuschreiben
kann, umgestaltend auf die Anschauungen eingewirkt zu haben, welche
unter seinen Zeitgenossen von manchen schwerer zu beobachtenden und
deshalb vielfach irrig aufgefaßten Formen und Lebensvorgängen die
herrschenden waren, so ist er doch der erste neuere Zoolog, welcher
zusammenfassend die Organisationsverhältnisse größerer Gruppen über-
blickte und den ersten Schritt zur Bildung eines Systems that, welches
durch die Art seiner Gründung bis auf die neuere Zeit herab geltend
blieb. Zu Ray's Zeit war der Unterschied zwischen künstlichen und na-
türlichen Systemen noch nicht in derselben Weise entwickelt, wie er
später hervortrat. Man gieng vielmehr von dem allgemeinen Gesichts-
punkte aus, welchen Caesalpin in Bezug auf die Botanik hervorgeho-
ben hatte, daß "alle Wissenschaft in der Zusammenstellung der ähn-
lichen und der Trennung der unähnlichen Dinge bestehe". Dürfte man

Periode der Syſtematik.
dam zum erſtenmale die Hinweiſung auf jenen durch das Eintreten
eines ruhenden Puppenzuſtandes bedingten Unterſchied, welcher ſpäter
zu der logiſchen Ungeheuerlichkeit einer „halben“ Verwandlung geführt
hat. Zu der erſten Gruppe der ſich verwandelnden Formen, welche
durch das Fehlen jener ruhenden Puppe ausgezeichnet iſt, werden die
Libellen, Wanzen, Grillen, Heuſchrecken und Ohrwürmer gebracht.
Die Formen, welche vor der Verwandlung ruhen, zerfallen nach der
Beſchaffenheit der Vorderflügel in Scheidenflüglige, die Käfer, und
Scheidenloſe, Anelytra, von welchen die einen beſtäubte Flügel beſitzen
(Farinacea, Schmetterlinge), während die andern häutige Flügel haben
und zwar entweder zwei, Fliegen u. ſ. f., oder vier, Bienen und Ver-
wandte. Es iſt nicht zu läugnen, daß auch hier die Entdeckungen in
der Lebens- und Bildungsgeſchichte ſowie im Bau der Inſecten, welche
die letzten fünfzig Jahre des ſiebzehnten Jahrhunderts auszeichneten,
in einer ſo vollendeten Weiſe zum Ausdruck und zur praktiſchen Ver-
wendung kamen (wenn letzterer Ausdruck geſtattet iſt), daß es nur wei-
terer, aber vergleichsweiſe untergeordneter Detailarbeiten bedurfte, um
das Syſtem noch mehr zu klären und in Bezug auf einzelne Formen zu
verbeſſern.

Ray hat nicht ſelbſt die übrigen niederen Claſſen des Thierreichs
bearbeitet. Wenn man ihm daher auch nicht das Verdienſt zuſchreiben
kann, umgeſtaltend auf die Anſchauungen eingewirkt zu haben, welche
unter ſeinen Zeitgenoſſen von manchen ſchwerer zu beobachtenden und
deshalb vielfach irrig aufgefaßten Formen und Lebensvorgängen die
herrſchenden waren, ſo iſt er doch der erſte neuere Zoolog, welcher
zuſammenfaſſend die Organiſationsverhältniſſe größerer Gruppen über-
blickte und den erſten Schritt zur Bildung eines Syſtems that, welches
durch die Art ſeiner Gründung bis auf die neuere Zeit herab geltend
blieb. Zu Ray's Zeit war der Unterſchied zwiſchen künſtlichen und na-
türlichen Syſtemen noch nicht in derſelben Weiſe entwickelt, wie er
ſpäter hervortrat. Man gieng vielmehr von dem allgemeinen Geſichts-
punkte aus, welchen Caeſalpin in Bezug auf die Botanik hervorgeho-
ben hatte, daß „alle Wiſſenſchaft in der Zuſammenſtellung der ähn-
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[446/0457] Periode der Syſtematik. dam zum erſtenmale die Hinweiſung auf jenen durch das Eintreten eines ruhenden Puppenzuſtandes bedingten Unterſchied, welcher ſpäter zu der logiſchen Ungeheuerlichkeit einer „halben“ Verwandlung geführt hat. Zu der erſten Gruppe der ſich verwandelnden Formen, welche durch das Fehlen jener ruhenden Puppe ausgezeichnet iſt, werden die Libellen, Wanzen, Grillen, Heuſchrecken und Ohrwürmer gebracht. Die Formen, welche vor der Verwandlung ruhen, zerfallen nach der Beſchaffenheit der Vorderflügel in Scheidenflüglige, die Käfer, und Scheidenloſe, Anelytra, von welchen die einen beſtäubte Flügel beſitzen (Farinacea, Schmetterlinge), während die andern häutige Flügel haben und zwar entweder zwei, Fliegen u. ſ. f., oder vier, Bienen und Ver- wandte. Es iſt nicht zu läugnen, daß auch hier die Entdeckungen in der Lebens- und Bildungsgeſchichte ſowie im Bau der Inſecten, welche die letzten fünfzig Jahre des ſiebzehnten Jahrhunderts auszeichneten, in einer ſo vollendeten Weiſe zum Ausdruck und zur praktiſchen Ver- wendung kamen (wenn letzterer Ausdruck geſtattet iſt), daß es nur wei- terer, aber vergleichsweiſe untergeordneter Detailarbeiten bedurfte, um das Syſtem noch mehr zu klären und in Bezug auf einzelne Formen zu verbeſſern. Ray hat nicht ſelbſt die übrigen niederen Claſſen des Thierreichs bearbeitet. Wenn man ihm daher auch nicht das Verdienſt zuſchreiben kann, umgeſtaltend auf die Anſchauungen eingewirkt zu haben, welche unter ſeinen Zeitgenoſſen von manchen ſchwerer zu beobachtenden und deshalb vielfach irrig aufgefaßten Formen und Lebensvorgängen die herrſchenden waren, ſo iſt er doch der erſte neuere Zoolog, welcher zuſammenfaſſend die Organiſationsverhältniſſe größerer Gruppen über- blickte und den erſten Schritt zur Bildung eines Syſtems that, welches durch die Art ſeiner Gründung bis auf die neuere Zeit herab geltend blieb. Zu Ray's Zeit war der Unterſchied zwiſchen künſtlichen und na- türlichen Syſtemen noch nicht in derſelben Weiſe entwickelt, wie er ſpäter hervortrat. Man gieng vielmehr von dem allgemeinen Geſichts- punkte aus, welchen Caeſalpin in Bezug auf die Botanik hervorgeho- ben hatte, daß „alle Wiſſenſchaft in der Zuſammenſtellung der ähn- lichen und der Trennung der unähnlichen Dinge beſtehe“. Dürfte man

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Zitationshilfe: Carus, Julius Victor: Geschichte der Zoologie bis auf Johannes Müller und Charles Darwin. München, 1872, S. 446. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/carus_zoologie_1872/457>, abgerufen am 25.11.2024.