Carus, Julius Victor: Geschichte der Zoologie bis auf Johannes Müller und Charles Darwin. München, 1872.Periode der Systematik. Zweckmäßigkeit nicht verkennen zu können meinte. Es kam darauf an,dies wissenschaftlich zu erfassen, das heißt in Bezug auf Form und Le- ben der Thiere allgemeine Wahrheiten zu finden, welche durch das reiche Detail der Einzelerfahrungen Inhalt erhielten. Nun waren abergläubische und teleologische Erklärungen von Alters her überkom- men. Bacon, Descartes, Spinoza, Leibnitz hatten zwar, wie bereits erwähnt, die Methodik zu reformiren begonnen. Es war für die Wis- senschaft von der belebten Natur das Hereinziehen einer letzten supra- naturalistischen Ursache, was Descartes in ein System gebracht hatte, dem hinderlich, was jene am nothwendigsten bedurfte: eine unbefangene Aufnahme der Erfahrungen ohne Vorurtheil und ohne schon vorweg bestimmte Deutungen. Als äußerst wohlthätiger Gährungsstoff wirk- ten daher die Versuche von Gassendi, Hobbes und Locke, das Hauptgewicht auf die sinnliche Erfahrung zu legen, nicht bloß als Aus- gangspunkt allen weiteren Nachdenkens, sondern geradezu als einzige Quelle des Verstandesinhaltes. Es soll nicht etwa der Versuch gemacht werden, die zunächst hier zu schildernden Fortschritte der Zoologie, die oben kurz angedeutet wurden, in einen directen ursächlichen Zusammen- hang mit den Schriften zu bringen, in welchen die Genannten ihre philosophischen Ansichten formulirten. Es liegt vielmehr, -- und dies ist für die geschichtliche Entwickelung der Wissenschaft das bezeichnende Moment, -- beiden Reihen von Erscheinungen dasselbe Streben zu Grunde, sich einerseits der Herrschaft des Autoritätsglaubens, anderer- seits den vorzeitigen und daher häufig unfruchtbaren metaphysischen Verallgemeinerungen zu entledigen. Wie bei den angeführten Leistun- gen der makro- und mikroskopischen Erforschung des thierischen Baues gieng man bei der Betrachtung der Thierwelt überhaupt allmählich nüchterner zu Werke und wurde hiermit zunächst darauf geführt, die Zusammenhanglosigkeit der bisher gewonnenen zoologischen Thatsachen zu empfinden und an deren Beseitigung zu arbeiten. Ehe der Thätigkeit der großen Reformatoren der Zoologie ein- Periode der Syſtematik. Zweckmäßigkeit nicht verkennen zu können meinte. Es kam darauf an,dies wiſſenſchaftlich zu erfaſſen, das heißt in Bezug auf Form und Le- ben der Thiere allgemeine Wahrheiten zu finden, welche durch das reiche Detail der Einzelerfahrungen Inhalt erhielten. Nun waren abergläubiſche und teleologiſche Erklärungen von Alters her überkom- men. Bacon, Descartes, Spinoza, Leibnitz hatten zwar, wie bereits erwähnt, die Methodik zu reformiren begonnen. Es war für die Wiſ- ſenſchaft von der belebten Natur das Hereinziehen einer letzten ſupra- naturaliſtiſchen Urſache, was Descartes in ein Syſtem gebracht hatte, dem hinderlich, was jene am nothwendigſten bedurfte: eine unbefangene Aufnahme der Erfahrungen ohne Vorurtheil und ohne ſchon vorweg beſtimmte Deutungen. Als äußerſt wohlthätiger Gährungsſtoff wirk- ten daher die Verſuche von Gaſſendi, Hobbes und Locke, das Hauptgewicht auf die ſinnliche Erfahrung zu legen, nicht bloß als Aus- gangspunkt allen weiteren Nachdenkens, ſondern geradezu als einzige Quelle des Verſtandesinhaltes. Es ſoll nicht etwa der Verſuch gemacht werden, die zunächſt hier zu ſchildernden Fortſchritte der Zoologie, die oben kurz angedeutet wurden, in einen directen urſächlichen Zuſammen- hang mit den Schriften zu bringen, in welchen die Genannten ihre philoſophiſchen Anſichten formulirten. Es liegt vielmehr, — und dies iſt für die geſchichtliche Entwickelung der Wiſſenſchaft das bezeichnende Moment, — beiden Reihen von Erſcheinungen daſſelbe Streben zu Grunde, ſich einerſeits der Herrſchaft des Autoritätsglaubens, anderer- ſeits den vorzeitigen und daher häufig unfruchtbaren metaphyſiſchen Verallgemeinerungen zu entledigen. Wie bei den angeführten Leiſtun- gen der makro- und mikroſkopiſchen Erforſchung des thieriſchen Baues gieng man bei der Betrachtung der Thierwelt überhaupt allmählich nüchterner zu Werke und wurde hiermit zunächſt darauf geführt, die Zuſammenhangloſigkeit der bisher gewonnenen zoologiſchen Thatſachen zu empfinden und an deren Beſeitigung zu arbeiten. Ehe der Thätigkeit der großen Reformatoren der Zoologie ein- <TEI> <text> <body> <div n="1"> <div n="2"> <p><pb facs="#f0437" n="426"/><fw place="top" type="header">Periode der Syſtematik.</fw><lb/> Zweckmäßigkeit nicht verkennen zu können meinte. 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Periode der Syſtematik.
Zweckmäßigkeit nicht verkennen zu können meinte. Es kam darauf an,
dies wiſſenſchaftlich zu erfaſſen, das heißt in Bezug auf Form und Le-
ben der Thiere allgemeine Wahrheiten zu finden, welche durch das
reiche Detail der Einzelerfahrungen Inhalt erhielten. Nun waren
abergläubiſche und teleologiſche Erklärungen von Alters her überkom-
men. Bacon, Descartes, Spinoza, Leibnitz hatten zwar, wie bereits
erwähnt, die Methodik zu reformiren begonnen. Es war für die Wiſ-
ſenſchaft von der belebten Natur das Hereinziehen einer letzten ſupra-
naturaliſtiſchen Urſache, was Descartes in ein Syſtem gebracht hatte,
dem hinderlich, was jene am nothwendigſten bedurfte: eine unbefangene
Aufnahme der Erfahrungen ohne Vorurtheil und ohne ſchon vorweg
beſtimmte Deutungen. Als äußerſt wohlthätiger Gährungsſtoff wirk-
ten daher die Verſuche von Gaſſendi, Hobbes und Locke, das
Hauptgewicht auf die ſinnliche Erfahrung zu legen, nicht bloß als Aus-
gangspunkt allen weiteren Nachdenkens, ſondern geradezu als einzige
Quelle des Verſtandesinhaltes. Es ſoll nicht etwa der Verſuch gemacht
werden, die zunächſt hier zu ſchildernden Fortſchritte der Zoologie, die
oben kurz angedeutet wurden, in einen directen urſächlichen Zuſammen-
hang mit den Schriften zu bringen, in welchen die Genannten ihre
philoſophiſchen Anſichten formulirten. Es liegt vielmehr, — und dies
iſt für die geſchichtliche Entwickelung der Wiſſenſchaft das bezeichnende
Moment, — beiden Reihen von Erſcheinungen daſſelbe Streben zu
Grunde, ſich einerſeits der Herrſchaft des Autoritätsglaubens, anderer-
ſeits den vorzeitigen und daher häufig unfruchtbaren metaphyſiſchen
Verallgemeinerungen zu entledigen. Wie bei den angeführten Leiſtun-
gen der makro- und mikroſkopiſchen Erforſchung des thieriſchen Baues
gieng man bei der Betrachtung der Thierwelt überhaupt allmählich
nüchterner zu Werke und wurde hiermit zunächſt darauf geführt, die
Zuſammenhangloſigkeit der bisher gewonnenen zoologiſchen Thatſachen
zu empfinden und an deren Beſeitigung zu arbeiten.
Ehe der Thätigkeit der großen Reformatoren der Zoologie ein-
gehender gedacht wird, muß noch ein Werk erwähnt werden, welches
ſich zwar noch in manchen Beziehungen den früher aufgeführten Nach-
folgern der encyklopädiſchen Richtung anſchließt, welches aber in anderer
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