Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Carus, Julius Victor: Geschichte der Zoologie bis auf Johannes Müller und Charles Darwin. München, 1872.

Bild:
<< vorherige Seite

Periode der Systematik.
ihres Bestehens nichts bekannt, was auf eine einigermaßen würdige
Verwerthung des reichen Materials schließen ließe. Ebensowenig weiß
man von den Thieren in der Menagerie Karl's II von England. An-
ders war es in Paris, wo Ludwig XIV nicht bloß eine Menagerie an-
legte, sondern auch sowohl die lebenden Thiere als besonders die doch
unvermeidlichen Verluste durch Tod wissenschaftlichen Untersuchungen
bestimmte, und zwar in Verbindung mit den entsprechenden Samm-
lungen. Hier war es, wo die drei oben genannten Anatomen wirkten.
Der Jüngste von ihnen war Guichard Joseph Duverney (1648
-1730); von ihm rühren sehr viele jener Zergliederungen her, welche
in den "Abhandlungen zur Naturgeschichte der Thiere" (zuerst Paris,
1676 in Folio, dann vollständig in drei Quartbänden Paris 1732
-34; auch übersetzt) enthalten sind, obschon manche von ihnen wohl
unter Perrault's Namen erschienen, welcher zum Theil die Tafeln
zeichnete. Duverney hat man vorzüglich eine genauere Kenntniß vom
Bau der Fischkiemen zu verdanken. Der nächst Aeltere war Jean
Mery
(1645-1722), welcher außer einer Anzahl von Thierzerglie-
derungen in der genannten Sammlung durch eine Theorie des Fötal-
kreislaufes bekannt worden ist. Zur Aufklärung desselben war er be-
sonders auf Untersuchung der Circulationsverhältnisse der Reptilien
geführt worden. Der älteste und einflußreichste dieser drei Männer
war Claude Perrault (1613-1688), welcher ebensowohl als
Physiker und Zootom, wie als Architekt und Erbauer der Colonnaden
des Louvre bekannt ist. Allerdings blieben schon die beiden zuerst Ge-
nannten nicht überall bei den einfachen Resultaten ihrer Zergliederun-
gen stehen, sondern suchten dieselben für gewisse sie gerade interessirende
allgemeine Fragen zu verwerthen; am vollständigsten nutzte sie aber
Perrault aus, indem er auf Grund seiner Einzelerfahrungen ein förm-
liches System der Zootomie aufstellte, welches zwar insofern verglei-
chend zu nennen ist, als er die analogen Organe zusammenfassend er-
örtert, aber doch den morphologischen Verhältnissen ebensowenig Rech-
nung trug, wie alle in jener Zeit kund gewordenen Verallgemeinerun-
gen. Die physiologische oder vielleicht richtiger bezeichnet teleologische
Richtung Perraults geht schon aus dem Titel hervor, welchen er der

Periode der Syſtematik.
ihres Beſtehens nichts bekannt, was auf eine einigermaßen würdige
Verwerthung des reichen Materials ſchließen ließe. Ebenſowenig weiß
man von den Thieren in der Menagerie Karl's II von England. An-
ders war es in Paris, wo Ludwig XIV nicht bloß eine Menagerie an-
legte, ſondern auch ſowohl die lebenden Thiere als beſonders die doch
unvermeidlichen Verluſte durch Tod wiſſenſchaftlichen Unterſuchungen
beſtimmte, und zwar in Verbindung mit den entſprechenden Samm-
lungen. Hier war es, wo die drei oben genannten Anatomen wirkten.
Der Jüngſte von ihnen war Guichard Joſeph Duverney (1648
-1730); von ihm rühren ſehr viele jener Zergliederungen her, welche
in den „Abhandlungen zur Naturgeſchichte der Thiere“ (zuerſt Paris,
1676 in Folio, dann vollſtändig in drei Quartbänden Paris 1732
-34; auch überſetzt) enthalten ſind, obſchon manche von ihnen wohl
unter Perrault's Namen erſchienen, welcher zum Theil die Tafeln
zeichnete. Duverney hat man vorzüglich eine genauere Kenntniß vom
Bau der Fiſchkiemen zu verdanken. Der nächſt Aeltere war Jean
Mery
(1645-1722), welcher außer einer Anzahl von Thierzerglie-
derungen in der genannten Sammlung durch eine Theorie des Fötal-
kreislaufes bekannt worden iſt. Zur Aufklärung deſſelben war er be-
ſonders auf Unterſuchung der Circulationsverhältniſſe der Reptilien
geführt worden. Der älteſte und einflußreichſte dieſer drei Männer
war Claude Perrault (1613-1688), welcher ebenſowohl als
Phyſiker und Zootom, wie als Architekt und Erbauer der Colonnaden
des Louvre bekannt iſt. Allerdings blieben ſchon die beiden zuerſt Ge-
nannten nicht überall bei den einfachen Reſultaten ihrer Zergliederun-
gen ſtehen, ſondern ſuchten dieſelben für gewiſſe ſie gerade intereſſirende
allgemeine Fragen zu verwerthen; am vollſtändigſten nutzte ſie aber
Perrault aus, indem er auf Grund ſeiner Einzelerfahrungen ein förm-
liches Syſtem der Zootomie aufſtellte, welches zwar inſofern verglei-
chend zu nennen iſt, als er die analogen Organe zuſammenfaſſend er-
örtert, aber doch den morphologiſchen Verhältniſſen ebenſowenig Rech-
nung trug, wie alle in jener Zeit kund gewordenen Verallgemeinerun-
gen. Die phyſiologiſche oder vielleicht richtiger bezeichnet teleologiſche
Richtung Perraults geht ſchon aus dem Titel hervor, welchen er der

<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <div n="2">
          <p><pb facs="#f0435" n="424"/><fw place="top" type="header">Periode der Sy&#x017F;tematik.</fw><lb/>
ihres Be&#x017F;tehens nichts bekannt, was auf eine einigermaßen würdige<lb/>
Verwerthung des reichen Materials &#x017F;chließen ließe. Eben&#x017F;owenig weiß<lb/>
man von den Thieren in der Menagerie <persName ref="http://d-nb.info/gnd/118560042">Karl</persName>'s <hi rendition="#aq">II</hi> von England. An-<lb/>
ders war es in Paris, wo <persName ref="http://d-nb.info/gnd/118816829">Ludwig</persName> <hi rendition="#aq">XIV</hi> nicht bloß eine Menagerie an-<lb/>
legte, &#x017F;ondern auch &#x017F;owohl die lebenden Thiere als be&#x017F;onders die doch<lb/>
unvermeidlichen Verlu&#x017F;te durch Tod wi&#x017F;&#x017F;en&#x017F;chaftlichen Unter&#x017F;uchungen<lb/>
be&#x017F;timmte, und zwar in Verbindung mit den ent&#x017F;prechenden Samm-<lb/>
lungen. Hier war es, wo die drei oben genannten Anatomen wirkten.<lb/>
Der Jüng&#x017F;te von ihnen war <hi rendition="#g"><persName ref="http://d-nb.info/gnd/117664030">Guichard Jo&#x017F;eph Duverney</persName></hi> (1648<lb/>
-1730); von ihm rühren &#x017F;ehr viele jener Zergliederungen her, welche<lb/>
in den &#x201E;Abhandlungen zur Naturge&#x017F;chichte der Thiere&#x201C; (zuer&#x017F;t Paris,<lb/>
1676 in Folio, dann voll&#x017F;tändig in drei Quartbänden Paris 1732<lb/>
-34; auch über&#x017F;etzt) enthalten &#x017F;ind, ob&#x017F;chon manche von ihnen wohl<lb/>
unter <persName ref="http://d-nb.info/gnd/118740016">Perrault</persName>'s Namen er&#x017F;chienen, welcher zum Theil die Tafeln<lb/>
zeichnete. <persName ref="http://d-nb.info/gnd/117664030">Duverney</persName> hat man vorzüglich eine genauere Kenntniß vom<lb/>
Bau der Fi&#x017F;chkiemen zu verdanken. Der näch&#x017F;t Aeltere war <hi rendition="#g"><persName ref="http://d-nb.info/gnd/117567892">Jean<lb/>
Mery</persName></hi> (1645-1722), welcher außer einer Anzahl von Thierzerglie-<lb/>
derungen in der genannten Sammlung durch eine Theorie des Fötal-<lb/>
kreislaufes bekannt worden i&#x017F;t. Zur Aufklärung de&#x017F;&#x017F;elben war er be-<lb/>
&#x017F;onders auf Unter&#x017F;uchung der Circulationsverhältni&#x017F;&#x017F;e der Reptilien<lb/>
geführt worden. Der älte&#x017F;te und einflußreich&#x017F;te die&#x017F;er drei Männer<lb/>
war <hi rendition="#g"><persName ref="http://d-nb.info/gnd/118740016">Claude Perrault</persName></hi> (1613-1688), welcher eben&#x017F;owohl als<lb/>
Phy&#x017F;iker und Zootom, wie als Architekt und Erbauer der Colonnaden<lb/>
des Louvre bekannt i&#x017F;t. Allerdings blieben &#x017F;chon die beiden zuer&#x017F;t Ge-<lb/>
nannten nicht überall bei den einfachen Re&#x017F;ultaten ihrer Zergliederun-<lb/>
gen &#x017F;tehen, &#x017F;ondern &#x017F;uchten die&#x017F;elben für gewi&#x017F;&#x017F;e &#x017F;ie gerade intere&#x017F;&#x017F;irende<lb/>
allgemeine Fragen zu verwerthen; am voll&#x017F;tändig&#x017F;ten nutzte &#x017F;ie aber<lb/><persName ref="http://d-nb.info/gnd/118740016">Perrault</persName> aus, indem er auf Grund &#x017F;einer Einzelerfahrungen ein förm-<lb/>
liches Sy&#x017F;tem der Zootomie auf&#x017F;tellte, welches zwar in&#x017F;ofern verglei-<lb/>
chend zu nennen i&#x017F;t, als er die analogen Organe zu&#x017F;ammenfa&#x017F;&#x017F;end er-<lb/>
örtert, aber doch den morphologi&#x017F;chen Verhältni&#x017F;&#x017F;en eben&#x017F;owenig Rech-<lb/>
nung trug, wie alle in jener Zeit kund gewordenen Verallgemeinerun-<lb/>
gen. Die phy&#x017F;iologi&#x017F;che oder vielleicht richtiger bezeichnet teleologi&#x017F;che<lb/>
Richtung <persName ref="http://d-nb.info/gnd/118740016">Perrault</persName>s geht &#x017F;chon aus dem Titel hervor, welchen er der<lb/></p>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[424/0435] Periode der Syſtematik. ihres Beſtehens nichts bekannt, was auf eine einigermaßen würdige Verwerthung des reichen Materials ſchließen ließe. Ebenſowenig weiß man von den Thieren in der Menagerie Karl's II von England. An- ders war es in Paris, wo Ludwig XIV nicht bloß eine Menagerie an- legte, ſondern auch ſowohl die lebenden Thiere als beſonders die doch unvermeidlichen Verluſte durch Tod wiſſenſchaftlichen Unterſuchungen beſtimmte, und zwar in Verbindung mit den entſprechenden Samm- lungen. Hier war es, wo die drei oben genannten Anatomen wirkten. Der Jüngſte von ihnen war Guichard Joſeph Duverney (1648 -1730); von ihm rühren ſehr viele jener Zergliederungen her, welche in den „Abhandlungen zur Naturgeſchichte der Thiere“ (zuerſt Paris, 1676 in Folio, dann vollſtändig in drei Quartbänden Paris 1732 -34; auch überſetzt) enthalten ſind, obſchon manche von ihnen wohl unter Perrault's Namen erſchienen, welcher zum Theil die Tafeln zeichnete. Duverney hat man vorzüglich eine genauere Kenntniß vom Bau der Fiſchkiemen zu verdanken. Der nächſt Aeltere war Jean Mery (1645-1722), welcher außer einer Anzahl von Thierzerglie- derungen in der genannten Sammlung durch eine Theorie des Fötal- kreislaufes bekannt worden iſt. Zur Aufklärung deſſelben war er be- ſonders auf Unterſuchung der Circulationsverhältniſſe der Reptilien geführt worden. Der älteſte und einflußreichſte dieſer drei Männer war Claude Perrault (1613-1688), welcher ebenſowohl als Phyſiker und Zootom, wie als Architekt und Erbauer der Colonnaden des Louvre bekannt iſt. Allerdings blieben ſchon die beiden zuerſt Ge- nannten nicht überall bei den einfachen Reſultaten ihrer Zergliederun- gen ſtehen, ſondern ſuchten dieſelben für gewiſſe ſie gerade intereſſirende allgemeine Fragen zu verwerthen; am vollſtändigſten nutzte ſie aber Perrault aus, indem er auf Grund ſeiner Einzelerfahrungen ein förm- liches Syſtem der Zootomie aufſtellte, welches zwar inſofern verglei- chend zu nennen iſt, als er die analogen Organe zuſammenfaſſend er- örtert, aber doch den morphologiſchen Verhältniſſen ebenſowenig Rech- nung trug, wie alle in jener Zeit kund gewordenen Verallgemeinerun- gen. Die phyſiologiſche oder vielleicht richtiger bezeichnet teleologiſche Richtung Perraults geht ſchon aus dem Titel hervor, welchen er der

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien im Double-Keying-Verfahren von Muttersprachlern erfasst und in XML/TEI P5 nach DTA-Basisformat kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/carus_zoologie_1872
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/carus_zoologie_1872/435
Zitationshilfe: Carus, Julius Victor: Geschichte der Zoologie bis auf Johannes Müller und Charles Darwin. München, 1872, S. 424. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/carus_zoologie_1872/435>, abgerufen am 22.11.2024.