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Carus, Julius Victor: Geschichte der Zoologie bis auf Johannes Müller und Charles Darwin. München, 1872.

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Die Zoologie des Mittelalters.
Leben bekommen und sich bewegen. So will er ferner einen monströsen
zweibeinigen Bock gesehen haben, welcher mit seinen zwei allein vorhan-
denen Vorderbeinen gelaufen sei und dabei das beinlose Hintertheil hoch
in die Höhe gehalten habe, statt es auf der Erde nachzuschleppen. Auch
schildert er ohne ein Bedenken zu äußern, die Sanftmuth des sonst so
wilden Einhorns im Schoße einer Jungfrau, den Pegasus, erwähnt
das Fortschießen der Stacheln beim Stachelschwein u. s. f. Anderes
dagegen berichtigt er oder weist es als unglaubwürdig zurück. Daß die
linken Beine des Dachses kürzer seien als die rechten, erklärt er nach
eigener Anschauung für falsch; ebenso bezeichnet er die Entstehung der
Baumgans auf Bäumen, die Befruchtung des Haselhuhns durch den
Speichel des Männchen als irrig und weist es auch zurück, daß der
Biber sich selbst verstümmele, daß der Storch den Ehebruch seines
Weibchens durch den Geruch erkenne. Andererseits erzählt er aber ohne
ein Wort der Kritik oder des Wunderns zu äußern, daß eine Frau
nicht schwanger werde, so lange sie das aus dem lebendigen Thier ge-
schnittene Fersenbein eines Wiesels umhängen habe.

Die letzte Angabe führt zu der abergläubischen und medicinischen
Verwendung der Thiere, welche wenigstens mit ein paar Worten an-
gedeutet werden muß. Beim Vogel Caladrius, wo er die aus dem Phy-
siologus bekannte Geschichte erzählt und zu erklären sucht, ohne sie
jedoch zu kritisiren, fügt Albert zwar hinzu, daß die Weissagung aus
den Vögeln nicht zur Aufgabe der vorliegenden Speculation gehöre.
Wenn er indeß damit die eine Form von Aberglauben ausschließt, so
bringt er die andere, auf Talismane, Geheimmittel u. dergl. bezügliche,
desto reichlicher an. Mittel zur Erlangung von Liebe, zur Erhaltung
von Zeugungsfähigkeit, Aphrodisiaca jeder Art, Mittel zur Beförde-
rung oder zur Beseitigung des Haarwuchses, daneben auch gegen fal-
lende Sucht, Kolik u. s. w. spielen eine große Rolle223); dabei sind aber
auch Mittel im Dunkeln zu sehen (vergl. den Igel), Flöhe und anderes
Ungeziefer zu vertreiben u. dergl. nicht vergessen.


223) Man vergl. z. B. die Schilderung der damma unter den Vierfüßern,
welche völlig an das gleiche Zeug bei den Kyraniden erinnert, ferner equus,
capra (fel hirci depilat), leopardus
und viele andere.

Die Zoologie des Mittelalters.
Leben bekommen und ſich bewegen. So will er ferner einen monſtröſen
zweibeinigen Bock geſehen haben, welcher mit ſeinen zwei allein vorhan-
denen Vorderbeinen gelaufen ſei und dabei das beinloſe Hintertheil hoch
in die Höhe gehalten habe, ſtatt es auf der Erde nachzuſchleppen. Auch
ſchildert er ohne ein Bedenken zu äußern, die Sanftmuth des ſonſt ſo
wilden Einhorns im Schoße einer Jungfrau, den Pegaſus, erwähnt
das Fortſchießen der Stacheln beim Stachelſchwein u. ſ. f. Anderes
dagegen berichtigt er oder weiſt es als unglaubwürdig zurück. Daß die
linken Beine des Dachſes kürzer ſeien als die rechten, erklärt er nach
eigener Anſchauung für falſch; ebenſo bezeichnet er die Entſtehung der
Baumgans auf Bäumen, die Befruchtung des Haſelhuhns durch den
Speichel des Männchen als irrig und weiſt es auch zurück, daß der
Biber ſich ſelbſt verſtümmele, daß der Storch den Ehebruch ſeines
Weibchens durch den Geruch erkenne. Andererſeits erzählt er aber ohne
ein Wort der Kritik oder des Wunderns zu äußern, daß eine Frau
nicht ſchwanger werde, ſo lange ſie das aus dem lebendigen Thier ge-
ſchnittene Ferſenbein eines Wieſels umhängen habe.

Die letzte Angabe führt zu der abergläubiſchen und mediciniſchen
Verwendung der Thiere, welche wenigſtens mit ein paar Worten an-
gedeutet werden muß. Beim Vogel Caladrius, wo er die aus dem Phy-
ſiologus bekannte Geſchichte erzählt und zu erklären ſucht, ohne ſie
jedoch zu kritiſiren, fügt Albert zwar hinzu, daß die Weiſſagung aus
den Vögeln nicht zur Aufgabe der vorliegenden Speculation gehöre.
Wenn er indeß damit die eine Form von Aberglauben ausſchließt, ſo
bringt er die andere, auf Talismane, Geheimmittel u. dergl. bezügliche,
deſto reichlicher an. Mittel zur Erlangung von Liebe, zur Erhaltung
von Zeugungsfähigkeit, Aphrodiſiaca jeder Art, Mittel zur Beförde-
rung oder zur Beſeitigung des Haarwuchſes, daneben auch gegen fal-
lende Sucht, Kolik u. ſ. w. ſpielen eine große Rolle223); dabei ſind aber
auch Mittel im Dunkeln zu ſehen (vergl. den Igel), Flöhe und anderes
Ungeziefer zu vertreiben u. dergl. nicht vergeſſen.


223) Man vergl. z. B. die Schilderung der damma unter den Vierfüßern,
welche völlig an das gleiche Zeug bei den Kyraniden erinnert, ferner equus,
capra (fel hirci depilat), leopardus
und viele andere.
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[232/0243] Die Zoologie des Mittelalters. Leben bekommen und ſich bewegen. So will er ferner einen monſtröſen zweibeinigen Bock geſehen haben, welcher mit ſeinen zwei allein vorhan- denen Vorderbeinen gelaufen ſei und dabei das beinloſe Hintertheil hoch in die Höhe gehalten habe, ſtatt es auf der Erde nachzuſchleppen. Auch ſchildert er ohne ein Bedenken zu äußern, die Sanftmuth des ſonſt ſo wilden Einhorns im Schoße einer Jungfrau, den Pegaſus, erwähnt das Fortſchießen der Stacheln beim Stachelſchwein u. ſ. f. Anderes dagegen berichtigt er oder weiſt es als unglaubwürdig zurück. Daß die linken Beine des Dachſes kürzer ſeien als die rechten, erklärt er nach eigener Anſchauung für falſch; ebenſo bezeichnet er die Entſtehung der Baumgans auf Bäumen, die Befruchtung des Haſelhuhns durch den Speichel des Männchen als irrig und weiſt es auch zurück, daß der Biber ſich ſelbſt verſtümmele, daß der Storch den Ehebruch ſeines Weibchens durch den Geruch erkenne. Andererſeits erzählt er aber ohne ein Wort der Kritik oder des Wunderns zu äußern, daß eine Frau nicht ſchwanger werde, ſo lange ſie das aus dem lebendigen Thier ge- ſchnittene Ferſenbein eines Wieſels umhängen habe. Die letzte Angabe führt zu der abergläubiſchen und mediciniſchen Verwendung der Thiere, welche wenigſtens mit ein paar Worten an- gedeutet werden muß. Beim Vogel Caladrius, wo er die aus dem Phy- ſiologus bekannte Geſchichte erzählt und zu erklären ſucht, ohne ſie jedoch zu kritiſiren, fügt Albert zwar hinzu, daß die Weiſſagung aus den Vögeln nicht zur Aufgabe der vorliegenden Speculation gehöre. Wenn er indeß damit die eine Form von Aberglauben ausſchließt, ſo bringt er die andere, auf Talismane, Geheimmittel u. dergl. bezügliche, deſto reichlicher an. Mittel zur Erlangung von Liebe, zur Erhaltung von Zeugungsfähigkeit, Aphrodiſiaca jeder Art, Mittel zur Beförde- rung oder zur Beſeitigung des Haarwuchſes, daneben auch gegen fal- lende Sucht, Kolik u. ſ. w. ſpielen eine große Rolle 223); dabei ſind aber auch Mittel im Dunkeln zu ſehen (vergl. den Igel), Flöhe und anderes Ungeziefer zu vertreiben u. dergl. nicht vergeſſen. 223) Man vergl. z. B. die Schilderung der damma unter den Vierfüßern, welche völlig an das gleiche Zeug bei den Kyraniden erinnert, ferner equus, capra (fel hirci depilat), leopardus und viele andere.

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Zitationshilfe: Carus, Julius Victor: Geschichte der Zoologie bis auf Johannes Müller und Charles Darwin. München, 1872, S. 232. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/carus_zoologie_1872/243>, abgerufen am 23.11.2024.